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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.

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Es dauerte nicht lange, so gerieth der Hund einem Wild auf die Fährte und wollte hinter ihm her: kaum aber war er ein paar Schritte gelaufen, so ward er durch einen tiefen Pfuhl aufgehalten und ein nackter Arm streckte sich aus dem Wasser, packte ihn und zog ihn hinab. Als der Jäger das sah, gieng er zurück und holte drei Männer, die mußten mit Eimern kommen und das Wasser ausschöpfen. Als sie auf den Grund sehen konnten, so lag da ein wilder Mann, der braun am Leib war, wie rostiges Eisen, und dem die Haare über das Gesicht bis zu den Knien herab hiengen. Sie banden ihn mit Stricken und führten ihn fort, der König aber ließ ihn in einen großen eisernen Käfig auf seinen Hof setzen und verbot bei Lebensstrafe die Thüre des Käfigs zu öffnen und die Königin mußte den Schlüssel selbst in Verwahrung nehmen. Von nun an konnte ein jeder wieder mit Sicherheit in den Wald gehen.

Der König hatte einen Sohn von acht Jahren, der spielte einmal auf dem Hof, und bei dem Spiel fiel ihm sein goldener Ball in den Käfig. Der Knabe lief hin und sprach 'gib mir meinen Ball heraus.' 'Nicht eher,' antwortete der Mann, 'als bis du mir die Thüre aufgemacht hast.' 'Nein,' sagte der Knabe, 'das thue ich nicht, das hat der König verboten,' und lief fort. Am anderen Tag kam er wieder und forderte seinen Ball: der wilde Mann sagte 'öffne meine Thüre,' aber der Knabe wollte nicht. Am dritten Tag war der König auf die Jagd geritten, da kam der Knabe nochmals und sagte 'wenn ich auch wollte, ich kann die Thüre nicht öffnen, ich habe den Schlüssel nicht.' Da sprach der wilde Mann 'er liegt unter dem Kopfkissen deiner Mutter, da

Es dauerte nicht lange, so gerieth der Hund einem Wild auf die Fährte und wollte hinter ihm her: kaum aber war er ein paar Schritte gelaufen, so ward er durch einen tiefen Pfuhl aufgehalten und ein nackter Arm streckte sich aus dem Wasser, packte ihn und zog ihn hinab. Als der Jäger das sah, gieng er zurück und holte drei Männer, die mußten mit Eimern kommen und das Wasser ausschöpfen. Als sie auf den Grund sehen konnten, so lag da ein wilder Mann, der braun am Leib war, wie rostiges Eisen, und dem die Haare über das Gesicht bis zu den Knien herab hiengen. Sie banden ihn mit Stricken und führten ihn fort, der König aber ließ ihn in einen großen eisernen Käfig auf seinen Hof setzen und verbot bei Lebensstrafe die Thüre des Käfigs zu öffnen und die Königin mußte den Schlüssel selbst in Verwahrung nehmen. Von nun an konnte ein jeder wieder mit Sicherheit in den Wald gehen.

Der König hatte einen Sohn von acht Jahren, der spielte einmal auf dem Hof, und bei dem Spiel fiel ihm sein goldener Ball in den Käfig. Der Knabe lief hin und sprach ‘gib mir meinen Ball heraus.’ ‘Nicht eher,’ antwortete der Mann, ‘als bis du mir die Thüre aufgemacht hast.’ ‘Nein,’ sagte der Knabe, ‘das thue ich nicht, das hat der König verboten,’ und lief fort. Am anderen Tag kam er wieder und forderte seinen Ball: der wilde Mann sagte ‘öffne meine Thüre,’ aber der Knabe wollte nicht. Am dritten Tag war der König auf die Jagd geritten, da kam der Knabe nochmals und sagte ‘wenn ich auch wollte, ich kann die Thüre nicht öffnen, ich habe den Schlüssel nicht.’ Da sprach der wilde Mann ‘er liegt unter dem Kopfkissen deiner Mutter, da

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[282/0294] Es dauerte nicht lange, so gerieth der Hund einem Wild auf die Fährte und wollte hinter ihm her: kaum aber war er ein paar Schritte gelaufen, so ward er durch einen tiefen Pfuhl aufgehalten und ein nackter Arm streckte sich aus dem Wasser, packte ihn und zog ihn hinab. Als der Jäger das sah, gieng er zurück und holte drei Männer, die mußten mit Eimern kommen und das Wasser ausschöpfen. Als sie auf den Grund sehen konnten, so lag da ein wilder Mann, der braun am Leib war, wie rostiges Eisen, und dem die Haare über das Gesicht bis zu den Knien herab hiengen. Sie banden ihn mit Stricken und führten ihn fort, der König aber ließ ihn in einen großen eisernen Käfig auf seinen Hof setzen und verbot bei Lebensstrafe die Thüre des Käfigs zu öffnen und die Königin mußte den Schlüssel selbst in Verwahrung nehmen. Von nun an konnte ein jeder wieder mit Sicherheit in den Wald gehen. Der König hatte einen Sohn von acht Jahren, der spielte einmal auf dem Hof, und bei dem Spiel fiel ihm sein goldener Ball in den Käfig. Der Knabe lief hin und sprach ‘gib mir meinen Ball heraus.’ ‘Nicht eher,’ antwortete der Mann, ‘als bis du mir die Thüre aufgemacht hast.’ ‘Nein,’ sagte der Knabe, ‘das thue ich nicht, das hat der König verboten,’ und lief fort. Am anderen Tag kam er wieder und forderte seinen Ball: der wilde Mann sagte ‘öffne meine Thüre,’ aber der Knabe wollte nicht. Am dritten Tag war der König auf die Jagd geritten, da kam der Knabe nochmals und sagte ‘wenn ich auch wollte, ich kann die Thüre nicht öffnen, ich habe den Schlüssel nicht.’ Da sprach der wilde Mann ‘er liegt unter dem Kopfkissen deiner Mutter, da

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1850/294>, abgerufen am 26.04.2024.