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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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bloß auf dem wahrgenommenen Umstand, daß mehrere Dichter
der maneßischen Sammlung das Beiwort: Meister, vor sich
tragen; ich darf annehmen, daß er sonst weder vom Wesen
der Minne- noch auch der Meistersänger, weder der alten
noch der neuen, die zur Ausführung seiner Vermuthung er-
forderliche Erkenntniß gehabt haben wird. Ich bin übrigens
selber so wenig bemüht gewesen, meine Meinung neu zu ma-
chen, als ich vielmehr das Alter der ihr entgegenstehenden
angefochten und die Uebereinstimmung früherer Jahrhunderte
in meinen Vortheil gezogen habe.

Was das Interesse der ganzen Frage anlangt, so würde
man noch viel zu wenig dafür anführen, wenn man nur be-
merkte, daß eine Geschichte der Poesie nichts tauge, welche
einzelnen Schwierigkeiten vorbeiginge, weil man sie für klein
und wenig halten könnte. Hängt in ihr nicht alles zusammen
und soll nicht alles offenbar werden? Ein noch so unscheinen-
der Punct leitet auf den tiefeingreifendsten, in dem Kleinen
liegen die Spuren des Größten, Göttlichen so wohl als
Menschlichen; darum aber, weil das Wahre und Poetische
den Kern und die Schale durchdringt, muß es auch in beiden
erkannt werden. Ich halte daher; in der Ueberzeugung, wie
nothwendig es sey, die Gründlichkeit und Innigkeit der Form
darzulegen, die von mir angeregte Untersuchung für eine sehr
wichtige in unserer altdeutschen Poesie, und wünsche nur, daß
meine Entscheidung des Gegenstandes nicht ganz unwürdig
ausgefallen sey, so unvollständig und mangelhaft sie in der
einzelnen Ausführung erst noch bleiben mußte.

Wie in ihr ein Wortspiel obwalten soll 203), hat mir nie
eingeleuchtet, gerade am Wort war mir nichts gelegen, ich
will nur das 14te, 15te und 16te Jahrhundert aus dem 13ten
verstehen. In ähnlichem Sinn, wie Docen, könnte z. B.

203) Hagen im N. l. A. 1808. Col. 84.

bloß auf dem wahrgenommenen Umſtand, daß mehrere Dichter
der maneßiſchen Sammlung das Beiwort: Meiſter, vor ſich
tragen; ich darf annehmen, daß er ſonſt weder vom Weſen
der Minne- noch auch der Meiſterſaͤnger, weder der alten
noch der neuen, die zur Ausfuͤhrung ſeiner Vermuthung er-
forderliche Erkenntniß gehabt haben wird. Ich bin uͤbrigens
ſelber ſo wenig bemuͤht geweſen, meine Meinung neu zu ma-
chen, als ich vielmehr das Alter der ihr entgegenſtehenden
angefochten und die Uebereinſtimmung fruͤherer Jahrhunderte
in meinen Vortheil gezogen habe.

Was das Intereſſe der ganzen Frage anlangt, ſo wuͤrde
man noch viel zu wenig dafuͤr anfuͤhren, wenn man nur be-
merkte, daß eine Geſchichte der Poeſie nichts tauge, welche
einzelnen Schwierigkeiten vorbeiginge, weil man ſie fuͤr klein
und wenig halten koͤnnte. Haͤngt in ihr nicht alles zuſammen
und ſoll nicht alles offenbar werden? Ein noch ſo unſcheinen-
der Punct leitet auf den tiefeingreifendſten, in dem Kleinen
liegen die Spuren des Groͤßten, Goͤttlichen ſo wohl als
Menſchlichen; darum aber, weil das Wahre und Poetiſche
den Kern und die Schale durchdringt, muß es auch in beiden
erkannt werden. Ich halte daher; in der Ueberzeugung, wie
nothwendig es ſey, die Gruͤndlichkeit und Innigkeit der Form
darzulegen, die von mir angeregte Unterſuchung fuͤr eine ſehr
wichtige in unſerer altdeutſchen Poeſie, und wuͤnſche nur, daß
meine Entſcheidung des Gegenſtandes nicht ganz unwuͤrdig
ausgefallen ſey, ſo unvollſtaͤndig und mangelhaft ſie in der
einzelnen Ausfuͤhrung erſt noch bleiben mußte.

Wie in ihr ein Wortſpiel obwalten ſoll 203), hat mir nie
eingeleuchtet, gerade am Wort war mir nichts gelegen, ich
will nur das 14te, 15te und 16te Jahrhundert aus dem 13ten
verſtehen. In aͤhnlichem Sinn, wie Docen, koͤnnte z. B.

203) Hagen im N. l. A. 1808. Col. 84.
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[172/0182] bloß auf dem wahrgenommenen Umſtand, daß mehrere Dichter der maneßiſchen Sammlung das Beiwort: Meiſter, vor ſich tragen; ich darf annehmen, daß er ſonſt weder vom Weſen der Minne- noch auch der Meiſterſaͤnger, weder der alten noch der neuen, die zur Ausfuͤhrung ſeiner Vermuthung er- forderliche Erkenntniß gehabt haben wird. Ich bin uͤbrigens ſelber ſo wenig bemuͤht geweſen, meine Meinung neu zu ma- chen, als ich vielmehr das Alter der ihr entgegenſtehenden angefochten und die Uebereinſtimmung fruͤherer Jahrhunderte in meinen Vortheil gezogen habe. Was das Intereſſe der ganzen Frage anlangt, ſo wuͤrde man noch viel zu wenig dafuͤr anfuͤhren, wenn man nur be- merkte, daß eine Geſchichte der Poeſie nichts tauge, welche einzelnen Schwierigkeiten vorbeiginge, weil man ſie fuͤr klein und wenig halten koͤnnte. Haͤngt in ihr nicht alles zuſammen und ſoll nicht alles offenbar werden? Ein noch ſo unſcheinen- der Punct leitet auf den tiefeingreifendſten, in dem Kleinen liegen die Spuren des Groͤßten, Goͤttlichen ſo wohl als Menſchlichen; darum aber, weil das Wahre und Poetiſche den Kern und die Schale durchdringt, muß es auch in beiden erkannt werden. Ich halte daher; in der Ueberzeugung, wie nothwendig es ſey, die Gruͤndlichkeit und Innigkeit der Form darzulegen, die von mir angeregte Unterſuchung fuͤr eine ſehr wichtige in unſerer altdeutſchen Poeſie, und wuͤnſche nur, daß meine Entſcheidung des Gegenſtandes nicht ganz unwuͤrdig ausgefallen ſey, ſo unvollſtaͤndig und mangelhaft ſie in der einzelnen Ausfuͤhrung erſt noch bleiben mußte. Wie in ihr ein Wortſpiel obwalten ſoll 203), hat mir nie eingeleuchtet, gerade am Wort war mir nichts gelegen, ich will nur das 14te, 15te und 16te Jahrhundert aus dem 13ten verſtehen. In aͤhnlichem Sinn, wie Docen, koͤnnte z. B. 203) Hagen im N. l. A. 1808. Col. 84.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 172. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/182>, abgerufen am 26.04.2024.