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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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der Nazionen.
liche Vollkommenheiten zu finden glaubte, suchte er die
Befriedigung seiner Wünsche und immer zunehmenden
Bedürfnisse in der Geselschaft mit andern Familien.
Daraus entstanden theils durch Unteriochung, theils
durch freiwillige Unterwerfung mit der Zeit bürgerliche
Geselschaften, deren scheinbare Vortheile einer geordne-
tern noch volkomnern gemeinschaftlichen Unterstützung,
die ursprüngliche Freiheit vergessen machten. Aber auch
diese politische Vereinigung gnügte dem rastlosen Vol-
kommenheitstriebe der Menschen noch nicht. Um auch
an denienigen Vergnügen Theil zu nehmen, welche sie
bey andern Nazionen sahen, oder um die ihrigen wenig-
stens ruhiger und sicherer zu geniessen, hielten sie die ge-
selschaftliche Verbindung mehrerer Völker für nothwen-
dig. Diese erfolgte daher in keiner andern Absicht, als
um sich wechselseitigen Beistand zu leisten, und
ihre gemeinschaftliche Wohlfahrt mit vereinig-
ten Kräften zu befördern
.

*] Wolf proleg. §. 8. Vattel prelim. §. 12.
§. 8.
Grundgesetze der Völkergeselschaften.

Jede Geselschaft muß ihre dem gemeinschaftlichen
Zweck angemessenen Gesetze haben. Einzelne Menschen
und Völker, im natürlichen Zustande, ohne geselschaft-
liche Verbindung, waren nur für sich und für ihr eignes
Wohl besorgt: um sich die Beihülfe anderer zu versichern,
traten sie in eine Geselschaft. Hier müssen sie daher
alles, was in ihrem Vermögen steht, zur gemein-
schaftlichen Wohlfahrt und Volkommenheit bei-
tragen, so weit die Pflichten gegen sich selbst es
erlauben
a]. Dies ist der algemeinste, der Natur einer
solchen Vereinigung angemessenste Grundsatz, daraus
müssen die Regeln in einzelnen Fällen hergeleitet werden,

auch

der Nazionen.
liche Vollkommenheiten zu finden glaubte, ſuchte er die
Befriedigung ſeiner Wuͤnſche und immer zunehmenden
Beduͤrfniſſe in der Geſelſchaft mit andern Familien.
Daraus entſtanden theils durch Unteriochung, theils
durch freiwillige Unterwerfung mit der Zeit buͤrgerliche
Geſelſchaften, deren ſcheinbare Vortheile einer geordne-
tern noch volkomnern gemeinſchaftlichen Unterſtuͤtzung,
die urſpruͤngliche Freiheit vergeſſen machten. Aber auch
dieſe politiſche Vereinigung gnuͤgte dem raſtloſen Vol-
kommenheitstriebe der Menſchen noch nicht. Um auch
an denienigen Vergnuͤgen Theil zu nehmen, welche ſie
bey andern Nazionen ſahen, oder um die ihrigen wenig-
ſtens ruhiger und ſicherer zu genieſſen, hielten ſie die ge-
ſelſchaftliche Verbindung mehrerer Voͤlker fuͤr nothwen-
dig. Dieſe erfolgte daher in keiner andern Abſicht, als
um ſich wechſelſeitigen Beiſtand zu leiſten, und
ihre gemeinſchaftliche Wohlfahrt mit vereinig-
ten Kraͤften zu befoͤrdern
.

*] Wolf proleg. §. 8. Vattel prélim. §. 12.
§. 8.
Grundgeſetze der Voͤlkergeſelſchaften.

Jede Geſelſchaft muß ihre dem gemeinſchaftlichen
Zweck angemeſſenen Geſetze haben. Einzelne Menſchen
und Voͤlker, im natuͤrlichen Zuſtande, ohne geſelſchaft-
liche Verbindung, waren nur fuͤr ſich und fuͤr ihr eignes
Wohl beſorgt: um ſich die Beihuͤlfe anderer zu verſichern,
traten ſie in eine Geſelſchaft. Hier muͤſſen ſie daher
alles, was in ihrem Vermoͤgen ſteht, zur gemein-
ſchaftlichen Wohlfahrt und Volkommenheit bei-
tragen, ſo weit die Pflichten gegen ſich ſelbſt es
erlauben
a]. Dies iſt der algemeinſte, der Natur einer
ſolchen Vereinigung angemeſſenſte Grundſatz, daraus
muͤſſen die Regeln in einzelnen Faͤllen hergeleitet werden,

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[155/0181] der Nazionen. liche Vollkommenheiten zu finden glaubte, ſuchte er die Befriedigung ſeiner Wuͤnſche und immer zunehmenden Beduͤrfniſſe in der Geſelſchaft mit andern Familien. Daraus entſtanden theils durch Unteriochung, theils durch freiwillige Unterwerfung mit der Zeit buͤrgerliche Geſelſchaften, deren ſcheinbare Vortheile einer geordne- tern noch volkomnern gemeinſchaftlichen Unterſtuͤtzung, die urſpruͤngliche Freiheit vergeſſen machten. Aber auch dieſe politiſche Vereinigung gnuͤgte dem raſtloſen Vol- kommenheitstriebe der Menſchen noch nicht. Um auch an denienigen Vergnuͤgen Theil zu nehmen, welche ſie bey andern Nazionen ſahen, oder um die ihrigen wenig- ſtens ruhiger und ſicherer zu genieſſen, hielten ſie die ge- ſelſchaftliche Verbindung mehrerer Voͤlker fuͤr nothwen- dig. Dieſe erfolgte daher in keiner andern Abſicht, als um ſich wechſelſeitigen Beiſtand zu leiſten, und ihre gemeinſchaftliche Wohlfahrt mit vereinig- ten Kraͤften zu befoͤrdern. *] Wolf proleg. §. 8. Vattel prélim. §. 12. §. 8. Grundgeſetze der Voͤlkergeſelſchaften. Jede Geſelſchaft muß ihre dem gemeinſchaftlichen Zweck angemeſſenen Geſetze haben. Einzelne Menſchen und Voͤlker, im natuͤrlichen Zuſtande, ohne geſelſchaft- liche Verbindung, waren nur fuͤr ſich und fuͤr ihr eignes Wohl beſorgt: um ſich die Beihuͤlfe anderer zu verſichern, traten ſie in eine Geſelſchaft. Hier muͤſſen ſie daher alles, was in ihrem Vermoͤgen ſteht, zur gemein- ſchaftlichen Wohlfahrt und Volkommenheit bei- tragen, ſo weit die Pflichten gegen ſich ſelbſt es erlauben a]. Dies iſt der algemeinſte, der Natur einer ſolchen Vereinigung angemeſſenſte Grundſatz, daraus muͤſſen die Regeln in einzelnen Faͤllen hergeleitet werden, auch

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/181>, abgerufen am 26.04.2024.