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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von den souverainen Staaten überhaupt,
angesehn werden, bis der vorige Oberherr den abgefalle-
nen Theil seines Staats von der bisherigen Verbindung
und Unterwürfigkeit loszählt und dessen Freiheit entweder
freiwillig, oder durch die Gewalt der Waffen genöthigt,
endlich anerkennt. Wird ein solches Volk a] eher von
andern Staaten als unabhängig erkant und behandelt, so
kan die Nazion, deren Gehorsam es sich entzogen, dieses
mit Recht für eine Beleidigung ansehen b], weil kein
Staat befugt ist, sich zum Richter über die Irrungen zwi-
schen Regenten und Unterthanen andrer Staaten aufzuwer-
fen, und diese ihres bisherigen Gehorsams für erledigt zu
erklären. Eine dergleichen Anerkennung fremder Nazio-
nen ist auch der vormaligen Oberherschaft auf keine
Weise nachtheilig, wenn es ihr glücken solte, die sich
selbst losgerissenen Unterthanen wieder zum Gehorsam zu
bringen: so wie dieselbe den leztern nur in Rücksicht des
anerkennenden Staats, und zwar nur so lange einigen
Vortheil verschaffen kan, als sie ihre vermeintliche Frei-
heit zu behaupten im Stande sind.

Die europäischen Nazionen haben in dieser Materie
nicht immer einerley Grundsätze befolgt, wie solches be-
sonders bey Gelegenheit der vereinigten Niederlande und
den vereinigten Nordamerikanischen Staaten sich gezeigt
hat: wovon ich einiges hier anführen will.

In Ansehung der vereinigten Niederlande heißt
es in einer neuern Staatsschrift: La conduite qu' a te-
nue a leur egard la reine Elisabeth merite d' etre deve-
loppee. ---- Enfin
[nach einigen geheimen Verträgen
mit England] les Confederes declarerent leur indepen-
dance en 1585; cette demarche fut promptement sui-
vie d' une nouvelle alliance defensive: elle est du 10.
Aoaut de la meme annee. Les Hollandois alleguerent
dans leurs pleins pouvoirs la circonstance, qu' ils avoient
entierement secue le joug de l' Espagne, et qu' ils s'
etoient declares libres et independans de sa souverai-

nete.

Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
angeſehn werden, bis der vorige Oberherr den abgefalle-
nen Theil ſeines Staats von der bisherigen Verbindung
und Unterwuͤrfigkeit loszaͤhlt und deſſen Freiheit entweder
freiwillig, oder durch die Gewalt der Waffen genoͤthigt,
endlich anerkennt. Wird ein ſolches Volk a] eher von
andern Staaten als unabhaͤngig erkant und behandelt, ſo
kan die Nazion, deren Gehorſam es ſich entzogen, dieſes
mit Recht fuͤr eine Beleidigung anſehen b], weil kein
Staat befugt iſt, ſich zum Richter uͤber die Irrungen zwi-
ſchen Regenten und Unterthanen andrer Staaten aufzuwer-
fen, und dieſe ihres bisherigen Gehorſams fuͤr erledigt zu
erklaͤren. Eine dergleichen Anerkennung fremder Nazio-
nen iſt auch der vormaligen Oberherſchaft auf keine
Weiſe nachtheilig, wenn es ihr gluͤcken ſolte, die ſich
ſelbſt losgeriſſenen Unterthanen wieder zum Gehorſam zu
bringen: ſo wie dieſelbe den leztern nur in Ruͤckſicht des
anerkennenden Staats, und zwar nur ſo lange einigen
Vortheil verſchaffen kan, als ſie ihre vermeintliche Frei-
heit zu behaupten im Stande ſind.

Die europaͤiſchen Nazionen haben in dieſer Materie
nicht immer einerley Grundſaͤtze befolgt, wie ſolches be-
ſonders bey Gelegenheit der vereinigten Niederlande und
den vereinigten Nordamerikaniſchen Staaten ſich gezeigt
hat: wovon ich einiges hier anfuͤhren will.

In Anſehung der vereinigten Niederlande heißt
es in einer neuern Staatsſchrift: La conduite qu’ a te-
nue à leur égard la reine Eliſabeth merite d’ être deve-
loppée. —— Enfin
[nach einigen geheimen Vertraͤgen
mit England] les Conféderés declarerent leur indépen-
dance en 1585; cette demarche fut promptement ſui-
vie d’ une nouvelle alliance defenſive: elle eſt du 10.
Août de la même année. Les Hollandois alleguèrent
dans leurs pleins pouvoirs la circonſtance, qu’ ils avoient
entièrement ſecué le joug de l’ Eſpagne, et qu’ ils ſ’
etoient declarés libres et independans de ſa ſouverai-

neté.
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[78/0104] Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt, angeſehn werden, bis der vorige Oberherr den abgefalle- nen Theil ſeines Staats von der bisherigen Verbindung und Unterwuͤrfigkeit loszaͤhlt und deſſen Freiheit entweder freiwillig, oder durch die Gewalt der Waffen genoͤthigt, endlich anerkennt. Wird ein ſolches Volk a] eher von andern Staaten als unabhaͤngig erkant und behandelt, ſo kan die Nazion, deren Gehorſam es ſich entzogen, dieſes mit Recht fuͤr eine Beleidigung anſehen b], weil kein Staat befugt iſt, ſich zum Richter uͤber die Irrungen zwi- ſchen Regenten und Unterthanen andrer Staaten aufzuwer- fen, und dieſe ihres bisherigen Gehorſams fuͤr erledigt zu erklaͤren. Eine dergleichen Anerkennung fremder Nazio- nen iſt auch der vormaligen Oberherſchaft auf keine Weiſe nachtheilig, wenn es ihr gluͤcken ſolte, die ſich ſelbſt losgeriſſenen Unterthanen wieder zum Gehorſam zu bringen: ſo wie dieſelbe den leztern nur in Ruͤckſicht des anerkennenden Staats, und zwar nur ſo lange einigen Vortheil verſchaffen kan, als ſie ihre vermeintliche Frei- heit zu behaupten im Stande ſind. Die europaͤiſchen Nazionen haben in dieſer Materie nicht immer einerley Grundſaͤtze befolgt, wie ſolches be- ſonders bey Gelegenheit der vereinigten Niederlande und den vereinigten Nordamerikaniſchen Staaten ſich gezeigt hat: wovon ich einiges hier anfuͤhren will. In Anſehung der vereinigten Niederlande heißt es in einer neuern Staatsſchrift: La conduite qu’ a te- nue à leur égard la reine Eliſabeth merite d’ être deve- loppée. —— Enfin [nach einigen geheimen Vertraͤgen mit England] les Conféderés declarerent leur indépen- dance en 1585; cette demarche fut promptement ſui- vie d’ une nouvelle alliance defenſive: elle eſt du 10. Août de la même année. Les Hollandois alleguèrent dans leurs pleins pouvoirs la circonſtance, qu’ ils avoient entièrement ſecué le joug de l’ Eſpagne, et qu’ ils ſ’ etoient declarés libres et independans de ſa ſouverai- neté.

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/104>, abgerufen am 26.04.2024.