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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

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Von dem Eigenthum und Gebiete der Völker
Einwilligung der übrigen, woraus Grotius [L. II. c. 2.
§. 5. de I. B. & P.
] Puffendorf [I. N. & G. L. IV.
c.
4. §. 5. u. f.] und andere, die ihnen folgen, in
Rücksicht einer vermeintlichen Gemeinschaft, sowohl der
Rechte, als der Güter, das Eigenthumsrecht an der
ausschließlich sich angemaasten Sache herleiten, war je-
doch hierzu weder nöthig noch möglich. Niemand hatte
ein Recht auf eine bestimte Sache; er konte also auch
gegen den, der sich in Ergreifung eines Stück Landes
seiner natürlichen Freiheit bediente, nicht behaupten, daß
ihm seine Sache und sein Recht genommen würde, folg-
lich ihn daran nicht hindern. Wer aber nicht wider-
sprechen kann, dessen Einwilligung ist auch unnöthig.
Wie wäre es überdies möglich, daß irgend jemand sei-
nes Eigenthums je gewis hätte seyn können, wenn er,
vor dessen Erlangung die ausdrückliche oder stilschweigen-
de Einwilligung aller übrigen Erdenbewohner erwarten
solte? aus einer blossen Vermuthung aber kann solche
mit verbindlichem Rechte ohnmöglich gefolgert werden.
Dies haben Locke in seinem Gouvernement civil [tra-
duit de l'Anglois] Bruxelles 1749. c.
4. Barbeyrac
in den Noten zu vorangeführten Stellen des Grotius und
Puffendorf, ingleichen Achenwall in I. Nat. L I. §. 116.
sehr einleuchtend gezeigt. M. vergl. Sam. Cocceji Introd.
ad Henr. Cocceji Grot. illustr. diss. prooem. I. c. 3.
diss. VI. c. 1. diss.XII. L. 4. c.3. Schrodt Syst.
I. Gent. P.II. c.
1. §. 4 und 6.
§. 3.
Ursprünglich durch Besitzergreifung.

Jede Sache, woran niemand noch Eigenthum ge-
habt hat [res nunquam occupata], oder die durch Ver-
lassung des ersten Eigenthümers wieder in den natürli-
chen Zustand zurückgegangen ist, [res derelicta] kann

daher
Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker
Einwilligung der uͤbrigen, woraus Grotius [L. II. c. 2.
§. 5. de I. B. & P.
] Puffendorf [I. N. & G. L. IV.
c.
4. §. 5. u. f.] und andere, die ihnen folgen, in
Ruͤckſicht einer vermeintlichen Gemeinſchaft, ſowohl der
Rechte, als der Guͤter, das Eigenthumsrecht an der
ausſchließlich ſich angemaaſten Sache herleiten, war je-
doch hierzu weder noͤthig noch moͤglich. Niemand hatte
ein Recht auf eine beſtimte Sache; er konte alſo auch
gegen den, der ſich in Ergreifung eines Stuͤck Landes
ſeiner natuͤrlichen Freiheit bediente, nicht behaupten, daß
ihm ſeine Sache und ſein Recht genommen wuͤrde, folg-
lich ihn daran nicht hindern. Wer aber nicht wider-
ſprechen kann, deſſen Einwilligung iſt auch unnoͤthig.
Wie waͤre es uͤberdies moͤglich, daß irgend jemand ſei-
nes Eigenthums je gewis haͤtte ſeyn koͤnnen, wenn er,
vor deſſen Erlangung die ausdruͤckliche oder ſtilſchweigen-
de Einwilligung aller uͤbrigen Erdenbewohner erwarten
ſolte? aus einer bloſſen Vermuthung aber kann ſolche
mit verbindlichem Rechte ohnmoͤglich gefolgert werden.
Dies haben Locke in ſeinem Gouvernement civil [tra-
duit de l’Anglois] Bruxelles 1749. c.
4. Barbeyrac
in den Noten zu vorangefuͤhrten Stellen des Grotius und
Puffendorf, ingleichen Achenwall in I. Nat. L I. §. 116.
ſehr einleuchtend gezeigt. M. vergl. Sam. Cocceji Introd.
ad Henr. Cocceji Grot. illuſtr. diſſ. prooem. I. c. 3.
diſſ. VI. c. 1. diſſ.XII. L. 4. c.3. Schrodt Syſt.
I. Gent. P.II. c.
1. §. 4 und 6.
§. 3.
Urſpruͤnglich durch Beſitzergreifung.

Jede Sache, woran niemand noch Eigenthum ge-
habt hat [res nunquam occupata], oder die durch Ver-
laſſung des erſten Eigenthuͤmers wieder in den natuͤrli-
chen Zuſtand zuruͤckgegangen iſt, [res derelicta] kann

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[4/0018] Von dem Eigenthum und Gebiete der Voͤlker **] Einwilligung der uͤbrigen, woraus Grotius [L. II. c. 2. §. 5. de I. B. & P.] Puffendorf [I. N. & G. L. IV. c. 4. §. 5. u. f.] und andere, die ihnen folgen, in Ruͤckſicht einer vermeintlichen Gemeinſchaft, ſowohl der Rechte, als der Guͤter, das Eigenthumsrecht an der ausſchließlich ſich angemaaſten Sache herleiten, war je- doch hierzu weder noͤthig noch moͤglich. Niemand hatte ein Recht auf eine beſtimte Sache; er konte alſo auch gegen den, der ſich in Ergreifung eines Stuͤck Landes ſeiner natuͤrlichen Freiheit bediente, nicht behaupten, daß ihm ſeine Sache und ſein Recht genommen wuͤrde, folg- lich ihn daran nicht hindern. Wer aber nicht wider- ſprechen kann, deſſen Einwilligung iſt auch unnoͤthig. Wie waͤre es uͤberdies moͤglich, daß irgend jemand ſei- nes Eigenthums je gewis haͤtte ſeyn koͤnnen, wenn er, vor deſſen Erlangung die ausdruͤckliche oder ſtilſchweigen- de Einwilligung aller uͤbrigen Erdenbewohner erwarten ſolte? aus einer bloſſen Vermuthung aber kann ſolche mit verbindlichem Rechte ohnmoͤglich gefolgert werden. Dies haben Locke in ſeinem Gouvernement civil [tra- duit de l’Anglois] Bruxelles 1749. c. 4. Barbeyrac in den Noten zu vorangefuͤhrten Stellen des Grotius und Puffendorf, ingleichen Achenwall in I. Nat. L I. §. 116. ſehr einleuchtend gezeigt. M. vergl. Sam. Cocceji Introd. ad Henr. Cocceji Grot. illuſtr. diſſ. prooem. I. c. 3. diſſ. VI. c. 1. diſſ.XII. L. 4. c.3. Schrodt Syſt. I. Gent. P.II. c. 1. §. 4 und 6. §. 3. Urſpruͤnglich durch Beſitzergreifung. Jede Sache, woran niemand noch Eigenthum ge- habt hat [res nunquam occupata], oder die durch Ver- laſſung des erſten Eigenthuͤmers wieder in den natuͤrli- chen Zuſtand zuruͤckgegangen iſt, [res derelicta] kann daher

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/18>, abgerufen am 26.04.2024.