Indem wir uns von der genetischen Betrachtung der Seele zu der großen Frage ihrer "Unsterblichkeit" wenden, betreten wir jenes höchste Gebiet des Aberglaubens, welches gewissermaßen die unzerstörbare Citadelle aller mystischen und dualistischen Vor- stellungs-Kreise bildet. Denn bei dieser Kardinal-Frage knüpft sich an die rein philosophischen Vorstellungen mehr als bei jedem anderen Problem das egoistische Interesse der menschlichen Person, welche um jeden Preis ihre individuelle Fortdauer über den Tod hinaus garantirt haben will. Dieses "höhere Gemüths-Bedürfniß" ist so mächtig, daß es alle logischen Schlüsse der kritischen Ver- nunft über den Haufen wirft. Bewußt oder unbewußt werden bei den meisten Menschen alle übrigen allgemeinen Ansichten, also auch die ganze Weltanschauung, von dem Dogma der persönlichen Unsterblichkeit beeinflußt, und an diesen theoretischen Irrthum knüpfen sich praktische Folgerungen von weitreichendster Wirkung. Es wird daher unsere Aufgabe sein, alle Seiten dieses wichtigen Dogmas kritisch zu prüfen und seine Unhaltbarkeit gegenüber den empirischen Erkenntnissen der modernen Biologie nachzuweisen.
Athanismus und Thanatismus. Um einen kurzen und bequemen Ausdruck für die beiden entgegengesetzten Grund- anschauungen über die Unsterblichkeits-Frage zu haben, bezeichnen wir den Glauben an die "persönliche Unsterblichkeit des Menschen" als Athanismus (abgeleitet von Athanes oder Athanatos =
Indem wir uns von der genetiſchen Betrachtung der Seele zu der großen Frage ihrer „Unſterblichkeit“ wenden, betreten wir jenes höchſte Gebiet des Aberglaubens, welches gewiſſermaßen die unzerſtörbare Citadelle aller myſtiſchen und dualiſtiſchen Vor- ſtellungs-Kreiſe bildet. Denn bei dieſer Kardinal-Frage knüpft ſich an die rein philoſophiſchen Vorſtellungen mehr als bei jedem anderen Problem das egoiſtiſche Intereſſe der menſchlichen Perſon, welche um jeden Preis ihre individuelle Fortdauer über den Tod hinaus garantirt haben will. Dieſes „höhere Gemüths-Bedürfniß“ iſt ſo mächtig, daß es alle logiſchen Schlüſſe der kritiſchen Ver- nunft über den Haufen wirft. Bewußt oder unbewußt werden bei den meiſten Menſchen alle übrigen allgemeinen Anſichten, alſo auch die ganze Weltanſchauung, von dem Dogma der perſönlichen Unſterblichkeit beeinflußt, und an dieſen theoretiſchen Irrthum knüpfen ſich praktiſche Folgerungen von weitreichendſter Wirkung. Es wird daher unſere Aufgabe ſein, alle Seiten dieſes wichtigen Dogmas kritiſch zu prüfen und ſeine Unhaltbarkeit gegenüber den empiriſchen Erkenntniſſen der modernen Biologie nachzuweiſen.
Athanismus und Thanatismus. Um einen kurzen und bequemen Ausdruck für die beiden entgegengeſetzten Grund- anſchauungen über die Unſterblichkeits-Frage zu haben, bezeichnen wir den Glauben an die „perſönliche Unſterblichkeit des Menſchen“ als Athanismus (abgeleitet von Athaneſ oder Athanatoſ =
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Indem wir uns von der genetiſchen Betrachtung der Seele
zu der großen Frage ihrer „Unſterblichkeit“ wenden, betreten wir
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ſtellungs-Kreiſe bildet. Denn bei dieſer Kardinal-Frage knüpft
ſich an die rein philoſophiſchen Vorſtellungen mehr als bei jedem
anderen Problem das egoiſtiſche Intereſſe der menſchlichen Perſon,
welche um jeden Preis ihre individuelle Fortdauer über den Tod
hinaus garantirt haben will. Dieſes „höhere Gemüths-Bedürfniß“
iſt ſo mächtig, daß es alle logiſchen Schlüſſe der kritiſchen Ver-
nunft über den Haufen wirft. Bewußt oder unbewußt werden
bei den meiſten Menſchen alle übrigen allgemeinen Anſichten, alſo
auch die ganze Weltanſchauung, von dem Dogma der perſönlichen
Unſterblichkeit beeinflußt, und an dieſen theoretiſchen Irrthum
knüpfen ſich praktiſche Folgerungen von weitreichendſter Wirkung.
Es wird daher unſere Aufgabe ſein, alle Seiten dieſes wichtigen
Dogmas kritiſch zu prüfen und ſeine Unhaltbarkeit gegenüber den
empiriſchen Erkenntniſſen der modernen Biologie nachzuweiſen.
Athanismus und Thanatismus. Um einen kurzen und
bequemen Ausdruck für die beiden entgegengeſetzten Grund-
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als Athanismus (abgeleitet von Athaneſ oder Athanatoſ =
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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. [219]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/235>, abgerufen am 26.04.2024.
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