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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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Das Substanz-Gesetz oder Universal-Gesetz
im Lichte der dualistischen und der monistischen Philosophie.
Dualismus.
(Teleologische Weltanschauung.)
1. Die Welt (Kosmos) besteht aus zwei
getrennten Gebieten, dem Natur-
Gebiete
(der materiellen Körper-
welt) und dem Geistes-Gebiete
(der immateriellen Seelenwelt).
2. Demnach zerfällt das Reich der
Wissenschaft in zwei ganz ge-
trennte Gebiete: Naturwissen-
schaft
(empirische Lehre von
den mechanischen Vorgängen) und
Geisteswissenschaft (transcen-
dente Lehre von den psychischen
Vorgängen).
3. Die Erkenntniß der Natur-Er-
scheinungen
geschieht auf empi-
rischem
Wege, durch Beobachtung,
Versuch und Associon der Vor-
stellungen. Die Erkenntniß der
Geistes-Erscheinungen da-
gegen ist nur auf übernatürlichem
Wege möglich, durch Offen-
barung
.
4. Das Substanz-Gesetzin seinen
beiden Theilen (Erhaltung der
Materie und der Energie) hat nur
Geltung für das Gebiet der
Natur; nur hier sind Stoff und
Kraft unzertrennlich an einander
gebunden. -- Im Gebiete des
Geistes dagegen ist die Thätig-
keit der immateriellen Seele frei,
nicht an physikalische und chemische
Veränderungen in der Substanz
ihrer Organe geknüpft.
Monismus.
(Mechanische Weltanschauung)
1. Die Welt (Kosmos) besteht aus
einem einzigen untrennbaren Ge-
biete, dem einheitlichen Substanz-
Reiche
; seine beiden untrennbaren
Attribute sind die Materie (der
ausgedehnte Stoff) und die Energie
(die wirkende Kraft).
2. Demnach bildet das gesammte Reich
der Wissenschaft ein einziges, ein-
heitliches Gebiet; die sogenannten
Geisteswissenschaften sind
nur besondere Theile der allum-
fassenden Naturwissenschaft:
alle wahre Wissenschaft beruht auf
Empirie, nicht auf Transcendenz.
3. Erkenntniß aller Erschei-
nungen (ebenso in der Natur
wie im Geistes-Leben) geschieht
ausschließlich auf empirischem
Wege (durch die Arbeit unserer
Sinnesorgane und unseres Ge-
hirns). Alle sogenannte Offen-
barung
oder Transcendenz beruht
auf bewußter oder unbewußter
Täuschung.
4. Das Substanz-Gesetz hat ganz
allgemeine Geltung, ebenso
im Gebiete der Natur wie des
Geistes -- ohne Ausnahme! --
Auch bei den höchsten geistigen
Funktionen (Vorstellen und Denken)
ist die Arbeit der bewirkenden
Nervenzellen ebenso nothwendig
mit materiellen Veränderungen
ihrer Substanz (desNervenplasma)
verknüpft, wie bei jedem anderen
Natur-Prozeß Kraft und Stoff an
einander gebunden sind.


Das Subſtanz-Geſetz oder Univerſal-Geſetz
im Lichte der dualiſtiſchen und der moniſtiſchen Philoſophie.
Dualismus.
(Teleologiſche Weltanſchauung.)
1. Die Welt (Kosmos) beſteht aus zwei
getrennten Gebieten, dem Natur-
Gebiete
(der materiellen Körper-
welt) und dem Geiſtes-Gebiete
(der immateriellen Seelenwelt).
2. Demnach zerfällt das Reich der
Wiſſenſchaft in zwei ganz ge-
trennte Gebiete: Naturwiſſen-
ſchaft
(empiriſche Lehre von
den mechaniſchen Vorgängen) und
Geiſteswiſſenſchaft (tranſcen-
dente Lehre von den pſychiſchen
Vorgängen).
3. Die Erkenntniß der Natur-Er-
ſcheinungen
geſchieht auf empi-
riſchem
Wege, durch Beobachtung,
Verſuch und Aſſocion der Vor-
ſtellungen. Die Erkenntniß der
Geiſtes-Erſcheinungen da-
gegen iſt nur auf übernatürlichem
Wege möglich, durch Offen-
barung
.
4. Das Subſtanz-Geſetzin ſeinen
beiden Theilen (Erhaltung der
Materie und der Energie) hat nur
Geltung für das Gebiet der
Natur; nur hier ſind Stoff und
Kraft unzertrennlich an einander
gebunden. — Im Gebiete des
Geiſtes dagegen iſt die Thätig-
keit der immateriellen Seele frei,
nicht an phyſikaliſche und chemiſche
Veränderungen in der Subſtanz
ihrer Organe geknüpft.
Monismus.
(Mechaniſche Weltanſchauung)
1. Die Welt (Kosmos) beſteht aus
einem einzigen untrennbaren Ge-
biete, dem einheitlichen Subſtanz-
Reiche
; ſeine beiden untrennbaren
Attribute ſind die Materie (der
ausgedehnte Stoff) und die Energie
(die wirkende Kraft).
2. Demnach bildet das geſammte Reich
der Wiſſenſchaft ein einziges, ein-
heitliches Gebiet; die ſogenannten
Geiſteswiſſenſchaften ſind
nur beſondere Theile der allum-
faſſenden Naturwiſſenſchaft:
alle wahre Wiſſenſchaft beruht auf
Empirie, nicht auf Tranſcendenz.
3. Erkenntniß aller Erſchei-
nungen (ebenſo in der Natur
wie im Geiſtes-Leben) geſchieht
ausſchließlich auf empiriſchem
Wege (durch die Arbeit unſerer
Sinnesorgane und unſeres Ge-
hirns). Alle ſogenannte Offen-
barung
oder Tranſcendenz beruht
auf bewußter oder unbewußter
Täuſchung.
4. Das Subſtanz-Geſetz hat ganz
allgemeine Geltung, ebenſo
im Gebiete der Natur wie des
Geiſtes — ohne Ausnahme! —
Auch bei den höchſten geiſtigen
Funktionen (Vorſtellen und Denken)
iſt die Arbeit der bewirkenden
Nervenzellen ebenſo nothwendig
mit materiellen Veränderungen
ihrer Subſtanz (desNervenplasma)
verknüpft, wie bei jedem anderen
Natur-Prozeß Kraft und Stoff an
einander gebunden ſind.


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[[268]/0284] Das Subſtanz-Geſetz oder Univerſal-Geſetz im Lichte der dualiſtiſchen und der moniſtiſchen Philoſophie. Dualismus. (Teleologiſche Weltanſchauung.) 1. Die Welt (Kosmos) beſteht aus zwei getrennten Gebieten, dem Natur- Gebiete (der materiellen Körper- welt) und dem Geiſtes-Gebiete (der immateriellen Seelenwelt). 2. Demnach zerfällt das Reich der Wiſſenſchaft in zwei ganz ge- trennte Gebiete: Naturwiſſen- ſchaft (empiriſche Lehre von den mechaniſchen Vorgängen) und Geiſteswiſſenſchaft (tranſcen- dente Lehre von den pſychiſchen Vorgängen). 3. Die Erkenntniß der Natur-Er- ſcheinungen geſchieht auf empi- riſchem Wege, durch Beobachtung, Verſuch und Aſſocion der Vor- ſtellungen. Die Erkenntniß der Geiſtes-Erſcheinungen da- gegen iſt nur auf übernatürlichem Wege möglich, durch Offen- barung. 4. Das Subſtanz-Geſetzin ſeinen beiden Theilen (Erhaltung der Materie und der Energie) hat nur Geltung für das Gebiet der Natur; nur hier ſind Stoff und Kraft unzertrennlich an einander gebunden. — Im Gebiete des Geiſtes dagegen iſt die Thätig- keit der immateriellen Seele frei, nicht an phyſikaliſche und chemiſche Veränderungen in der Subſtanz ihrer Organe geknüpft. Monismus. (Mechaniſche Weltanſchauung) 1. Die Welt (Kosmos) beſteht aus einem einzigen untrennbaren Ge- biete, dem einheitlichen Subſtanz- Reiche; ſeine beiden untrennbaren Attribute ſind die Materie (der ausgedehnte Stoff) und die Energie (die wirkende Kraft). 2. Demnach bildet das geſammte Reich der Wiſſenſchaft ein einziges, ein- heitliches Gebiet; die ſogenannten Geiſteswiſſenſchaften ſind nur beſondere Theile der allum- faſſenden Naturwiſſenſchaft: alle wahre Wiſſenſchaft beruht auf Empirie, nicht auf Tranſcendenz. 3. Erkenntniß aller Erſchei- nungen (ebenſo in der Natur wie im Geiſtes-Leben) geſchieht ausſchließlich auf empiriſchem Wege (durch die Arbeit unſerer Sinnesorgane und unſeres Ge- hirns). Alle ſogenannte Offen- barung oder Tranſcendenz beruht auf bewußter oder unbewußter Täuſchung. 4. Das Subſtanz-Geſetz hat ganz allgemeine Geltung, ebenſo im Gebiete der Natur wie des Geiſtes — ohne Ausnahme! — Auch bei den höchſten geiſtigen Funktionen (Vorſtellen und Denken) iſt die Arbeit der bewirkenden Nervenzellen ebenſo nothwendig mit materiellen Veränderungen ihrer Subſtanz (desNervenplasma) verknüpft, wie bei jedem anderen Natur-Prozeß Kraft und Stoff an einander gebunden ſind.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. [268]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/284>, abgerufen am 26.04.2024.