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Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899.

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XII. Einheit der Naturkräfte.
Gesammtsumme der Kraft im unendlichen Weltall jemals den
geringsten Verlust erleidet.

Einheit der Naturkräfte. Nachdem die moderne Physik
das Substanz-Gesetz zunächst für die einfacheren Beziehungen der
anorganischen Körper festgestellt hatte, wies die Physiologie
dessen allgemeine Geltung auch im Gesammtbereiche der orga-
nischen Natur nach. Sie zeigte, daß alle Lebensthätigkeiten
der Organismen -- ohne Ausnahme! -- ebenso auf einem be-
ständigen "Kraftwechsel" und einem damit verknüpften "Stoff-
wechsel" beruhen wie die einfachsten Vorgänge in der sogenannten
"leblosen Natur". Nicht nur das Wachsthum und die Ernährung
der Pflanzen und Thiere, sondern auch die Funktionen ihrer Em-
pfindung und Bewegung, ihrer Sinnesthätigkeit und ihres
Seelenlebens beruhen auf der Verwandlung von Spannkraft in
lebendige Kraft und umgekehrt. Dieses höchste Gesetz beherrscht
auch diejenigen vollkommensten Leistungen des Nervensystems,
welche man bei den höheren Thieren und beim Menschen als
das "Geistesleben" bezeichnet.

Allmacht des Substanz-Gesetzes. Unsere feste monistische
Ueberzeugung, daß das kosmologische Grundgesetz allgemeine
Geltung für die gesammte Natur besitzt, nimmt die höchste
Bedeutung in Anspruch. Denn dadurch wird nicht nur positiv
die principielle Einheit des Kosmos und der kausale Zusammen-
hang aller uns erkennbaren Erscheinungen bewiesen, sondern es
wird dadurch zugleich negativ der höchste intellektuelle Fort-
schritt erzielt, der definitive Sturz der drei Central-
Dogmen der Metaphysik:
"Gott, Freiheit und Unsterblich-
keit". Indem das Substanz-Gesetz überall mechanische Ursachen
in den Erscheinungen nachweist, verknüpft es sich mit dem
"allgemeinen Kausalgesetz".

XII. Einheit der Naturkräfte.
Geſammtſumme der Kraft im unendlichen Weltall jemals den
geringſten Verluſt erleidet.

Einheit der Naturkräfte. Nachdem die moderne Phyſik
das Subſtanz-Geſetz zunächſt für die einfacheren Beziehungen der
anorganiſchen Körper feſtgeſtellt hatte, wies die Phyſiologie
deſſen allgemeine Geltung auch im Geſammtbereiche der orga-
niſchen Natur nach. Sie zeigte, daß alle Lebensthätigkeiten
der Organismen — ohne Ausnahme! — ebenſo auf einem be-
ſtändigen „Kraftwechſel“ und einem damit verknüpften „Stoff-
wechſel“ beruhen wie die einfachſten Vorgänge in der ſogenannten
„lebloſen Natur“. Nicht nur das Wachsthum und die Ernährung
der Pflanzen und Thiere, ſondern auch die Funktionen ihrer Em-
pfindung und Bewegung, ihrer Sinnesthätigkeit und ihres
Seelenlebens beruhen auf der Verwandlung von Spannkraft in
lebendige Kraft und umgekehrt. Dieſes höchſte Geſetz beherrſcht
auch diejenigen vollkommenſten Leiſtungen des Nervenſyſtems,
welche man bei den höheren Thieren und beim Menſchen als
das „Geiſtesleben“ bezeichnet.

Allmacht des Subſtanz-Geſetzes. Unſere feſte moniſtiſche
Ueberzeugung, daß das kosmologiſche Grundgeſetz allgemeine
Geltung für die geſammte Natur beſitzt, nimmt die höchſte
Bedeutung in Anſpruch. Denn dadurch wird nicht nur poſitiv
die principielle Einheit des Kosmos und der kauſale Zuſammen-
hang aller uns erkennbaren Erſcheinungen bewieſen, ſondern es
wird dadurch zugleich negativ der höchſte intellektuelle Fort-
ſchritt erzielt, der definitive Sturz der drei Central-
Dogmen der Metaphyſik:
„Gott, Freiheit und Unſterblich-
keit“. Indem das Subſtanz-Geſetz überall mechaniſche Urſachen
in den Erſcheinungen nachweiſt, verknüpft es ſich mit dem
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[267/0283] XII. Einheit der Naturkräfte. Geſammtſumme der Kraft im unendlichen Weltall jemals den geringſten Verluſt erleidet. Einheit der Naturkräfte. Nachdem die moderne Phyſik das Subſtanz-Geſetz zunächſt für die einfacheren Beziehungen der anorganiſchen Körper feſtgeſtellt hatte, wies die Phyſiologie deſſen allgemeine Geltung auch im Geſammtbereiche der orga- niſchen Natur nach. Sie zeigte, daß alle Lebensthätigkeiten der Organismen — ohne Ausnahme! — ebenſo auf einem be- ſtändigen „Kraftwechſel“ und einem damit verknüpften „Stoff- wechſel“ beruhen wie die einfachſten Vorgänge in der ſogenannten „lebloſen Natur“. Nicht nur das Wachsthum und die Ernährung der Pflanzen und Thiere, ſondern auch die Funktionen ihrer Em- pfindung und Bewegung, ihrer Sinnesthätigkeit und ihres Seelenlebens beruhen auf der Verwandlung von Spannkraft in lebendige Kraft und umgekehrt. Dieſes höchſte Geſetz beherrſcht auch diejenigen vollkommenſten Leiſtungen des Nervenſyſtems, welche man bei den höheren Thieren und beim Menſchen als das „Geiſtesleben“ bezeichnet. Allmacht des Subſtanz-Geſetzes. Unſere feſte moniſtiſche Ueberzeugung, daß das kosmologiſche Grundgeſetz allgemeine Geltung für die geſammte Natur beſitzt, nimmt die höchſte Bedeutung in Anſpruch. Denn dadurch wird nicht nur poſitiv die principielle Einheit des Kosmos und der kauſale Zuſammen- hang aller uns erkennbaren Erſcheinungen bewieſen, ſondern es wird dadurch zugleich negativ der höchſte intellektuelle Fort- ſchritt erzielt, der definitive Sturz der drei Central- Dogmen der Metaphyſik: „Gott, Freiheit und Unſterblich- keit“. Indem das Subſtanz-Geſetz überall mechaniſche Urſachen in den Erſcheinungen nachweiſt, verknüpft es ſich mit dem „allgemeinen Kauſalgeſetz“.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Die Welträthsel. Bonn, 1899, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_weltraethsel_1899/283>, abgerufen am 26.04.2024.