Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
II. Abschnitt. Erscheinungen.
§. 22.
Ob ein Muskel, indem er wirksam ist, einen
grössern Umfang bekomme.

Es wird ein Muskel in der Thätigkeit kürzer, und er
schwillt alsdenn zugleich auf. Man könnte hierbei fragen,
ob diese zwo Veränderungen dergestalt schadlos gehalten
werden, daß der Muskel, wenn er sich zusammenzieht (r),
oder wenn er nachlässet, gleich gros bleibt; ob derselbe
eine Abname leidet, und ein wirkender Muskel an sich
kleiner wird (s); ob er endlich stärker aufschwillt, als er
sich verkürzt, daß er alles zusammengenommen, dennoch
einen grössern Raum einnimmt (t). Es hat eine jede
von diesen Meinungen ihre Vertheidiger.

Daß ein Muskel nicht aufschwelle, wenn er sich zusam-
menzieht, suchte J. A. Borellus durch einen Versuch
zu erweisen. Er legte einen Menschen auf eine scharfe
Holzkante, bis er ihn ins Gleichgewichte brachte. Hier-
auf lies er selbigen die Muskeln des untern Gliedes in
Bewegung sezzen, und dennoch bekamen die Füsse nicht
das Uebergewichte (t*).

Daß die Grösse der Muskeln, wärend ihres Spieles,
abnehme, soll durch eine berümte Erfahrung bestätigt
werden, welche entweder Goddard, Glissonius, oder
Swammerdam gemacht haben. Sie stekken nämlich
den Muskel, oder ein ganzes Glied in ein gläsernes Ge-
fässe, welches sie voll Wasser gissen. Sie befelen hierauf,
das ganze Glied anzustrengen, damit alle Muskeln zusam-

men
(r) [Spaltenumbruch] PARSONS musc. mot.
n. 29. FABRIC. p. 101. etc.
(s) SWAMMERDAM p. 851.
STUART. SIMSON musc.
mot. p. 56. CALDAN. Lett. 3.
p. 20. Disp. XX. sur le mecan du
mouvem. p.
81. der von dem ber.
SAUVAGES herrührt, und in
[Spaltenumbruch] dessen Physiolog. p. 134. Abhand-
lung vom Nervensafte p. 49. daß
er nicht aufschwelle, VIEUS-
SENS.
p.
247.
(t) de mot. anim. L. II. pro-
pos.
18.
(t*) dahin neigt sich
BOERHAAVE, auch HAM-
BERGER
physiol. pag.
581.
II. Abſchnitt. Erſcheinungen.
§. 22.
Ob ein Muſkel, indem er wirkſam iſt, einen
groͤſſern Umfang bekomme.

Es wird ein Muſkel in der Thaͤtigkeit kuͤrzer, und er
ſchwillt alsdenn zugleich auf. Man koͤnnte hierbei fragen,
ob dieſe zwo Veraͤnderungen dergeſtalt ſchadlos gehalten
werden, daß der Muſkel, wenn er ſich zuſammenzieht (r),
oder wenn er nachlaͤſſet, gleich gros bleibt; ob derſelbe
eine Abname leidet, und ein wirkender Muſkel an ſich
kleiner wird (s); ob er endlich ſtaͤrker aufſchwillt, als er
ſich verkuͤrzt, daß er alles zuſammengenommen, dennoch
einen groͤſſern Raum einnimmt (t). Es hat eine jede
von dieſen Meinungen ihre Vertheidiger.

Daß ein Muſkel nicht aufſchwelle, wenn er ſich zuſam-
menzieht, ſuchte J. A. Borellus durch einen Verſuch
zu erweiſen. Er legte einen Menſchen auf eine ſcharfe
Holzkante, bis er ihn ins Gleichgewichte brachte. Hier-
auf lies er ſelbigen die Muſkeln des untern Gliedes in
Bewegung ſezzen, und dennoch bekamen die Fuͤſſe nicht
das Uebergewichte (t*).

Daß die Groͤſſe der Muſkeln, waͤrend ihres Spieles,
abnehme, ſoll durch eine beruͤmte Erfahrung beſtaͤtigt
werden, welche entweder Goddard, Gliſſonius, oder
Swammerdam gemacht haben. Sie ſtekken naͤmlich
den Muſkel, oder ein ganzes Glied in ein glaͤſernes Ge-
faͤſſe, welches ſie voll Waſſer giſſen. Sie befelen hierauf,
das ganze Glied anzuſtrengen, damit alle Muſkeln zuſam-

men
(r) [Spaltenumbruch] PARSONS muſc. mot.
n. 29. FABRIC. p. 101. etc.
(s) SWAMMERDAM p. 851.
STUART. SIMSON muſc.
mot. p. 56. CALDAN. Lett. 3.
p. 20. Diſp. XX. ſur le mecan du
mouvem. p.
81. der von dem ber.
SAUVAGES herruͤhrt, und in
[Spaltenumbruch] deſſen Phyſiolog. p. 134. Abhand-
lung vom Nervenſafte p. 49. daß
er nicht aufſchwelle, VIEUS-
SENS.
p.
247.
(t) de mot. anim. L. II. pro-
poſ.
18.
(t*) dahin neigt ſich
BOERHAAVE, auch HAM-
BERGER
phyſiol. pag.
581.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0079" n="61"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">II.</hi> Ab&#x017F;chnitt. Er&#x017F;cheinungen.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 22.<lb/><hi rendition="#b">Ob ein Mu&#x017F;kel, indem er wirk&#x017F;am i&#x017F;t, einen<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Umfang bekomme.</hi></head><lb/>
          <p>Es wird ein Mu&#x017F;kel in der Tha&#x0364;tigkeit ku&#x0364;rzer, und er<lb/>
&#x017F;chwillt alsdenn zugleich auf. Man ko&#x0364;nnte hierbei fragen,<lb/>
ob die&#x017F;e zwo Vera&#x0364;nderungen derge&#x017F;talt &#x017F;chadlos gehalten<lb/>
werden, daß der Mu&#x017F;kel, wenn er &#x017F;ich zu&#x017F;ammenzieht <note place="foot" n="(r)"><cb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">PARSONS</hi> mu&#x017F;c. mot.<lb/>
n. 29. <hi rendition="#g">FABRIC.</hi> p. 101. etc.</hi></note>,<lb/>
oder wenn er nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;et, gleich gros bleibt; ob der&#x017F;elbe<lb/>
eine Abname leidet, und ein wirkender Mu&#x017F;kel an &#x017F;ich<lb/>
kleiner wird <note place="foot" n="(s)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SWAMMERDAM</hi> p. 851.<lb/><hi rendition="#g">STUART. SIMSON</hi> mu&#x017F;c.<lb/>
mot. p. 56. <hi rendition="#g">CALDAN.</hi> Lett. 3.<lb/>
p. 20. Di&#x017F;p. XX. &#x017F;ur le mecan du<lb/>
mouvem. p.</hi> 81. der von dem ber.<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">SAUVAGES</hi></hi> herru&#x0364;hrt, und in<lb/><cb/>
de&#x017F;&#x017F;en <hi rendition="#aq">Phy&#x017F;iolog. p.</hi> 134. Abhand-<lb/>
lung vom Nerven&#x017F;afte <hi rendition="#aq">p.</hi> 49. daß<lb/>
er nicht auf&#x017F;chwelle, <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">VIEUS-<lb/>
SENS.</hi> p.</hi> 247.</note>; ob er endlich &#x017F;ta&#x0364;rker auf&#x017F;chwillt, als er<lb/>
&#x017F;ich verku&#x0364;rzt, daß er alles zu&#x017F;ammengenommen, dennoch<lb/>
einen gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ern Raum einnimmt <note place="foot" n="(t)"><hi rendition="#aq">de mot. anim. L. II. pro-<lb/>
po&#x017F;.</hi> 18.</note>. Es hat eine jede<lb/>
von die&#x017F;en Meinungen ihre Vertheidiger.</p><lb/>
          <p>Daß ein Mu&#x017F;kel nicht auf&#x017F;chwelle, wenn er &#x017F;ich zu&#x017F;am-<lb/>
menzieht, &#x017F;uchte J. A. <hi rendition="#fr">Borellus</hi> durch einen Ver&#x017F;uch<lb/>
zu erwei&#x017F;en. Er legte einen Men&#x017F;chen auf eine &#x017F;charfe<lb/>
Holzkante, bis er ihn ins Gleichgewichte brachte. Hier-<lb/>
auf lies er &#x017F;elbigen die Mu&#x017F;keln des untern Gliedes in<lb/>
Bewegung &#x017F;ezzen, und dennoch bekamen die Fu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e nicht<lb/>
das Uebergewichte <note place="foot" n="(t*)">dahin neigt &#x017F;ich<lb/><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">BOERHAAVE,</hi></hi> auch <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">HAM-<lb/>
BERGER</hi> phy&#x017F;iol. pag.</hi> 581.</note>.</p><lb/>
          <p>Daß die Gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e der Mu&#x017F;keln, wa&#x0364;rend ihres Spieles,<lb/>
abnehme, &#x017F;oll durch eine beru&#x0364;mte Erfahrung be&#x017F;ta&#x0364;tigt<lb/>
werden, welche entweder <hi rendition="#fr">Goddard, Gli&#x017F;&#x017F;onius,</hi> oder<lb/><hi rendition="#fr">Swammerdam</hi> gemacht haben. Sie &#x017F;tekken na&#x0364;mlich<lb/>
den Mu&#x017F;kel, oder ein ganzes Glied in ein gla&#x0364;&#x017F;ernes Ge-<lb/>
fa&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, welches &#x017F;ie voll Wa&#x017F;&#x017F;er gi&#x017F;&#x017F;en. Sie befelen hierauf,<lb/>
das ganze Glied anzu&#x017F;trengen, damit alle Mu&#x017F;keln zu&#x017F;am-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">men</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0079] II. Abſchnitt. Erſcheinungen. §. 22. Ob ein Muſkel, indem er wirkſam iſt, einen groͤſſern Umfang bekomme. Es wird ein Muſkel in der Thaͤtigkeit kuͤrzer, und er ſchwillt alsdenn zugleich auf. Man koͤnnte hierbei fragen, ob dieſe zwo Veraͤnderungen dergeſtalt ſchadlos gehalten werden, daß der Muſkel, wenn er ſich zuſammenzieht (r), oder wenn er nachlaͤſſet, gleich gros bleibt; ob derſelbe eine Abname leidet, und ein wirkender Muſkel an ſich kleiner wird (s); ob er endlich ſtaͤrker aufſchwillt, als er ſich verkuͤrzt, daß er alles zuſammengenommen, dennoch einen groͤſſern Raum einnimmt (t). Es hat eine jede von dieſen Meinungen ihre Vertheidiger. Daß ein Muſkel nicht aufſchwelle, wenn er ſich zuſam- menzieht, ſuchte J. A. Borellus durch einen Verſuch zu erweiſen. Er legte einen Menſchen auf eine ſcharfe Holzkante, bis er ihn ins Gleichgewichte brachte. Hier- auf lies er ſelbigen die Muſkeln des untern Gliedes in Bewegung ſezzen, und dennoch bekamen die Fuͤſſe nicht das Uebergewichte (t*). Daß die Groͤſſe der Muſkeln, waͤrend ihres Spieles, abnehme, ſoll durch eine beruͤmte Erfahrung beſtaͤtigt werden, welche entweder Goddard, Gliſſonius, oder Swammerdam gemacht haben. Sie ſtekken naͤmlich den Muſkel, oder ein ganzes Glied in ein glaͤſernes Ge- faͤſſe, welches ſie voll Waſſer giſſen. Sie befelen hierauf, das ganze Glied anzuſtrengen, damit alle Muſkeln zuſam- men (r) PARSONS muſc. mot. n. 29. FABRIC. p. 101. etc. (s) SWAMMERDAM p. 851. STUART. SIMSON muſc. mot. p. 56. CALDAN. Lett. 3. p. 20. Diſp. XX. ſur le mecan du mouvem. p. 81. der von dem ber. SAUVAGES herruͤhrt, und in deſſen Phyſiolog. p. 134. Abhand- lung vom Nervenſafte p. 49. daß er nicht aufſchwelle, VIEUS- SENS. p. 247. (t) de mot. anim. L. II. pro- poſ. 18. (t*) dahin neigt ſich BOERHAAVE, auch HAM- BERGER phyſiol. pag. 581.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/79
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/79>, abgerufen am 07.05.2024.