Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Geschmak. XIII. Buch.

Andre Arten haben nicht so deutliche Unterschiede,
und sie scheinen sich mit einer der vorhergehenden Arten,
wie Arten mit ihren Geschlechtern, vergleichen zu lassen.
Dergleichen sind der herbe und der strenge, welche man zu
dem geistigen Geschmakke bringen könnte. Andre bezie-
hen sich auf andre, und sie sind nur schwächere Arten von
rechtmäßigem Geschmakke (l), wie der stumpfe; oder sie
verbinden sich mit dem Geruche, wie der faule und ekel-
hafte (m) und vielleicht auch der geistige Geschmak selbst.

Diese Arten des Geschmakkes werden von diesen oder
jenen Personen anders empfunden, und man findet sie
angenehm oder unangenehm.

Hierbei thut die Entblössung der Zungenwärzchen et-
was. Davon kömmt es, daß Kinder überhaupt Süsses
lieben, und Alte (n), bei denen diese Süßigkeiten schon
matter wirken, und die verhärtete Nerven wenig rühren,
sich mit dem Weine was zu gute thun. Selbst in einem
und eben dem Menschen vergleicht die Zunge den gegen-
wärtigen Geschmak mit dem kurz zuvor gekosteten. Wer
daher Süßigkeiten genossen, findet den Wein höchst sauer,
und dieser kömmt ihm angenehm vor, wenn er vorher
sanfte und geschmaklose Dinge gekostet hat. Aus dieser
Ursache scheint uns weder das Wasser, noch der Speichel
gesalzen zu sein, ob beide gleich Salz enthalten; und wir
finden nur Dinge gesalzen, wofern sie mehr Salz als
unser Speichel in sich haben.

Die Begierde, gewisse Dinge zu essen, läst sich schwer-
lich erklären. Verschiedne Menschen verschlingen (o)
faulgewordne Dinge, ob dieselben gleich unsrer Natur

äus-
(l) [Spaltenumbruch] Um sechszehnmal nach dem
Nehemias GREW pag. 288.
(m) GREW ibid. Das geistige
in den Pflanzen entsteht aus einer
verschiednen Säure, und aus ver-
schiednen Salzen, die mit einem
[Spaltenumbruch] Oel versezzt sind. WALLER fun-
dam. agric. chym. pag.
28.
(n) HARTLEY pag. 162.
(o) Beispiele hat HELMONT.
RZASCZYNSKY pag.
347.
Der Geſchmak. XIII. Buch.

Andre Arten haben nicht ſo deutliche Unterſchiede,
und ſie ſcheinen ſich mit einer der vorhergehenden Arten,
wie Arten mit ihren Geſchlechtern, vergleichen zu laſſen.
Dergleichen ſind der herbe und der ſtrenge, welche man zu
dem geiſtigen Geſchmakke bringen koͤnnte. Andre bezie-
hen ſich auf andre, und ſie ſind nur ſchwaͤchere Arten von
rechtmaͤßigem Geſchmakke (l), wie der ſtumpfe; oder ſie
verbinden ſich mit dem Geruche, wie der faule und ekel-
hafte (m) und vielleicht auch der geiſtige Geſchmak ſelbſt.

Dieſe Arten des Geſchmakkes werden von dieſen oder
jenen Perſonen anders empfunden, und man findet ſie
angenehm oder unangenehm.

Hierbei thut die Entbloͤſſung der Zungenwaͤrzchen et-
was. Davon koͤmmt es, daß Kinder uͤberhaupt Suͤſſes
lieben, und Alte (n), bei denen dieſe Suͤßigkeiten ſchon
matter wirken, und die verhaͤrtete Nerven wenig ruͤhren,
ſich mit dem Weine was zu gute thun. Selbſt in einem
und eben dem Menſchen vergleicht die Zunge den gegen-
waͤrtigen Geſchmak mit dem kurz zuvor gekoſteten. Wer
daher Suͤßigkeiten genoſſen, findet den Wein hoͤchſt ſauer,
und dieſer koͤmmt ihm angenehm vor, wenn er vorher
ſanfte und geſchmakloſe Dinge gekoſtet hat. Aus dieſer
Urſache ſcheint uns weder das Waſſer, noch der Speichel
geſalzen zu ſein, ob beide gleich Salz enthalten; und wir
finden nur Dinge geſalzen, wofern ſie mehr Salz als
unſer Speichel in ſich haben.

Die Begierde, gewiſſe Dinge zu eſſen, laͤſt ſich ſchwer-
lich erklaͤren. Verſchiedne Menſchen verſchlingen (o)
faulgewordne Dinge, ob dieſelben gleich unſrer Natur

aͤuſ-
(l) [Spaltenumbruch] Um ſechszehnmal nach dem
Nehemias GREW pag. 288.
(m) GREW ibid. Das geiſtige
in den Pflanzen entſteht aus einer
verſchiednen Saͤure, und aus ver-
ſchiednen Salzen, die mit einem
[Spaltenumbruch] Oel verſezzt ſind. WALLER fun-
dam. agric. chym. pag.
28.
(n) HARTLEY pag. 162.
(o) Beiſpiele hat HELMONT.
RZASCZYNSKY pag.
347.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0434" n="416"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Der Ge&#x017F;chmak. <hi rendition="#aq">XIII.</hi> Buch.</hi> </fw><lb/>
            <p>Andre Arten haben nicht &#x017F;o deutliche Unter&#x017F;chiede,<lb/>
und &#x017F;ie &#x017F;cheinen &#x017F;ich mit einer der vorhergehenden Arten,<lb/>
wie Arten mit ihren Ge&#x017F;chlechtern, vergleichen zu la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Dergleichen &#x017F;ind der herbe und der &#x017F;trenge, welche man zu<lb/>
dem gei&#x017F;tigen Ge&#x017F;chmakke bringen ko&#x0364;nnte. Andre bezie-<lb/>
hen &#x017F;ich auf andre, und &#x017F;ie &#x017F;ind nur &#x017F;chwa&#x0364;chere Arten von<lb/>
rechtma&#x0364;ßigem Ge&#x017F;chmakke <note place="foot" n="(l)"><cb/>
Um &#x017F;echszehnmal nach dem<lb/><hi rendition="#aq">Nehemias GREW pag.</hi> 288.</note>, wie der &#x017F;tumpfe; oder &#x017F;ie<lb/>
verbinden &#x017F;ich mit dem Geruche, wie der faule und ekel-<lb/>
hafte <note place="foot" n="(m)"><hi rendition="#aq">GREW ibid.</hi> Das gei&#x017F;tige<lb/>
in den Pflanzen ent&#x017F;teht aus einer<lb/>
ver&#x017F;chiednen Sa&#x0364;ure, und aus ver-<lb/>
&#x017F;chiednen Salzen, die mit einem<lb/><cb/>
Oel ver&#x017F;ezzt &#x017F;ind. <hi rendition="#aq">WALLER fun-<lb/>
dam. agric. chym. pag.</hi> 28.</note> und vielleicht auch der gei&#x017F;tige Ge&#x017F;chmak &#x017F;elb&#x017F;t.</p><lb/>
            <p>Die&#x017F;e Arten des Ge&#x017F;chmakkes werden von die&#x017F;en oder<lb/>
jenen Per&#x017F;onen anders empfunden, und man findet &#x017F;ie<lb/>
angenehm oder unangenehm.</p><lb/>
            <p>Hierbei thut die Entblo&#x0364;&#x017F;&#x017F;ung der Zungenwa&#x0364;rzchen et-<lb/>
was. Davon ko&#x0364;mmt es, daß Kinder u&#x0364;berhaupt Su&#x0364;&#x017F;&#x017F;es<lb/>
lieben, und Alte <note place="foot" n="(n)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">HARTLEY</hi> pag.</hi> 162.</note>, bei denen die&#x017F;e Su&#x0364;ßigkeiten &#x017F;chon<lb/>
matter wirken, und die verha&#x0364;rtete Nerven wenig ru&#x0364;hren,<lb/>
&#x017F;ich mit dem Weine was zu gute thun. Selb&#x017F;t in einem<lb/>
und eben dem Men&#x017F;chen vergleicht die Zunge den gegen-<lb/>
wa&#x0364;rtigen Ge&#x017F;chmak mit dem kurz zuvor geko&#x017F;teten. Wer<lb/>
daher Su&#x0364;ßigkeiten geno&#x017F;&#x017F;en, findet den Wein ho&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;auer,<lb/>
und die&#x017F;er ko&#x0364;mmt ihm angenehm vor, wenn er vorher<lb/>
&#x017F;anfte und ge&#x017F;chmaklo&#x017F;e Dinge geko&#x017F;tet hat. Aus die&#x017F;er<lb/>
Ur&#x017F;ache &#x017F;cheint uns weder das Wa&#x017F;&#x017F;er, noch der Speichel<lb/>
ge&#x017F;alzen zu &#x017F;ein, ob beide gleich Salz enthalten; und wir<lb/>
finden nur Dinge ge&#x017F;alzen, wofern &#x017F;ie mehr Salz als<lb/>
un&#x017F;er Speichel in &#x017F;ich haben.</p><lb/>
            <p>Die Begierde, gewi&#x017F;&#x017F;e Dinge zu e&#x017F;&#x017F;en, la&#x0364;&#x017F;t &#x017F;ich &#x017F;chwer-<lb/>
lich erkla&#x0364;ren. Ver&#x017F;chiedne Men&#x017F;chen ver&#x017F;chlingen <note place="foot" n="(o)">Bei&#x017F;piele hat <hi rendition="#aq">HELMONT.<lb/>
RZASCZYNSKY pag.</hi> 347.</note><lb/>
faulgewordne Dinge, ob die&#x017F;elben gleich un&#x017F;rer Natur<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">a&#x0364;u&#x017F;-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[416/0434] Der Geſchmak. XIII. Buch. Andre Arten haben nicht ſo deutliche Unterſchiede, und ſie ſcheinen ſich mit einer der vorhergehenden Arten, wie Arten mit ihren Geſchlechtern, vergleichen zu laſſen. Dergleichen ſind der herbe und der ſtrenge, welche man zu dem geiſtigen Geſchmakke bringen koͤnnte. Andre bezie- hen ſich auf andre, und ſie ſind nur ſchwaͤchere Arten von rechtmaͤßigem Geſchmakke (l), wie der ſtumpfe; oder ſie verbinden ſich mit dem Geruche, wie der faule und ekel- hafte (m) und vielleicht auch der geiſtige Geſchmak ſelbſt. Dieſe Arten des Geſchmakkes werden von dieſen oder jenen Perſonen anders empfunden, und man findet ſie angenehm oder unangenehm. Hierbei thut die Entbloͤſſung der Zungenwaͤrzchen et- was. Davon koͤmmt es, daß Kinder uͤberhaupt Suͤſſes lieben, und Alte (n), bei denen dieſe Suͤßigkeiten ſchon matter wirken, und die verhaͤrtete Nerven wenig ruͤhren, ſich mit dem Weine was zu gute thun. Selbſt in einem und eben dem Menſchen vergleicht die Zunge den gegen- waͤrtigen Geſchmak mit dem kurz zuvor gekoſteten. Wer daher Suͤßigkeiten genoſſen, findet den Wein hoͤchſt ſauer, und dieſer koͤmmt ihm angenehm vor, wenn er vorher ſanfte und geſchmakloſe Dinge gekoſtet hat. Aus dieſer Urſache ſcheint uns weder das Waſſer, noch der Speichel geſalzen zu ſein, ob beide gleich Salz enthalten; und wir finden nur Dinge geſalzen, wofern ſie mehr Salz als unſer Speichel in ſich haben. Die Begierde, gewiſſe Dinge zu eſſen, laͤſt ſich ſchwer- lich erklaͤren. Verſchiedne Menſchen verſchlingen (o) faulgewordne Dinge, ob dieſelben gleich unſrer Natur aͤuſ- (l) Um ſechszehnmal nach dem Nehemias GREW pag. 288. (m) GREW ibid. Das geiſtige in den Pflanzen entſteht aus einer verſchiednen Saͤure, und aus ver- ſchiednen Salzen, die mit einem Oel verſezzt ſind. WALLER fun- dam. agric. chym. pag. 28. (n) HARTLEY pag. 162. (o) Beiſpiele hat HELMONT. RZASCZYNSKY pag. 347.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/434
Zitationshilfe: Haller, Albrecht von: Anfangsgründe der Phisiologie des menschlichen Körpers. Bd. 5. Berlin, 1772, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haller_anfangsgruende05_1772/434>, abgerufen am 26.04.2024.