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Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653.

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Alter.
geschwächten Glieder schwächen das Gemüt/
machen ein feiges Hertz/ verursachen eine schüch-
tere Furcht/ Eckelhaffte Traurigkeit/ unterbre-
chen alles Vorhaben/ machen zu allen Thun träg
und laß/ ausser dem Gelteinnemen/ verdrossen. Die
Hände werden krumm den Vogelklauen gleich.
Der Leib ist ungestalt die liebe gantz erkalt/ die
Runtzel Haut ist rauh und hart/ und das Hertz
ist von Felsenart/ halsstarrig ist er ohne Grund/
und glaubt nicht daß die Todesstund bald zuer-
warten sey. Einen kleinen Weg hat er noch zu ge-
hen/ und will doch mehr und mehr zum Zehr-
pfennig einsamlen. Die Flucht schleicht sich den
Jahren ein. Das Lebensgarn ist tief verfitzt/ daß
es nicht lang zu binden nützt. Das weisse Greis-
sen Haubt mit der Weißheit Kron belaubt/ hat
in jungen Jahren viel erfahren/ der viel weiß
pflegt viel zu sagen/ was in seinen jungen Tagen/
ist geschehen lässet er die Gleichheit stehen mit der
Fügniß seiner Zeit. Mit seinen langen grauen
Bart/ disputiert der leichte Wind/ treibt ihn links
und rechts geschwind. Balsac sagt von einem
Alten er habe die Zeit zu sterben verabsaumt und
Gott habe ihn aufbehalten/ der abgestorbnen
Welte eine Grabschrift zu machen. Das ver-
geßliche und verdrüßliche Alter/ macht mehr ge-
bieten/ weil man nicht folget/ mehr sehen (mit
schwachen Augen) und weniger hören.

Es
H vj

Alter.
geſchwaͤchten Glieder ſchwaͤchen das Gemuͤt/
machen ein feiges Hertz/ verurſachen eine ſchuͤch-
tere Furcht/ Eckelhaffte Traurigkeit/ unterbre-
chen alles Vorhaben/ machen zu allen Thun traͤg
und laß/ auſſer dem Gelteiñemen/ verdroſſen. Die
Haͤnde werden krumm den Vogelklauen gleich.
Der Leib iſt ungeſtalt die liebe gantz erkalt/ die
Runtzel Haut iſt rauh und hart/ und das Hertz
iſt von Felſenart/ halsſtarrig iſt er ohne Grund/
und glaubt nicht daß die Todesſtund bald zuer-
warten ſey. Einen kleinen Weg hat er noch zu ge-
hen/ und will doch mehr und mehr zum Zehr-
pfennig einſamlen. Die Flucht ſchleicht ſich den
Jahren ein. Das Lebensgarn iſt tief verfitzt/ daß
es nicht lang zu binden nuͤtzt. Das weiſſe Greiſ-
ſen Haubt mit der Weißheit Kron belaubt/ hat
in jungen Jahren viel erfahren/ der viel weiß
pflegt viel zu ſagen/ was in ſeinen jungen Tagen/
iſt geſchehen laͤſſet er die Gleichheit ſtehen mit der
Fuͤgniß ſeiner Zeit. Mit ſeinen langen grauen
Bart/ diſputieꝛt der leichte Wind/ treibt ihn links
und rechts geſchwind. Balſac ſagt von einem
Alten er habe die Zeit zu ſterben verabſaumt und
Gott habe ihn aufbehalten/ der abgeſtorbnen
Welte eine Grabſchrift zu machen. Das ver-
geßliche und verdruͤßliche Alter/ macht mehr ge-
bieten/ weil man nicht folget/ mehr ſehen (mit
ſchwachen Augen) und weniger hoͤren.

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[123/0155] Alter. geſchwaͤchten Glieder ſchwaͤchen das Gemuͤt/ machen ein feiges Hertz/ verurſachen eine ſchuͤch- tere Furcht/ Eckelhaffte Traurigkeit/ unterbre- chen alles Vorhaben/ machen zu allen Thun traͤg und laß/ auſſer dem Gelteiñemen/ verdroſſen. Die Haͤnde werden krumm den Vogelklauen gleich. Der Leib iſt ungeſtalt die liebe gantz erkalt/ die Runtzel Haut iſt rauh und hart/ und das Hertz iſt von Felſenart/ halsſtarrig iſt er ohne Grund/ und glaubt nicht daß die Todesſtund bald zuer- warten ſey. Einen kleinen Weg hat er noch zu ge- hen/ und will doch mehr und mehr zum Zehr- pfennig einſamlen. Die Flucht ſchleicht ſich den Jahren ein. Das Lebensgarn iſt tief verfitzt/ daß es nicht lang zu binden nuͤtzt. Das weiſſe Greiſ- ſen Haubt mit der Weißheit Kron belaubt/ hat in jungen Jahren viel erfahren/ der viel weiß pflegt viel zu ſagen/ was in ſeinen jungen Tagen/ iſt geſchehen laͤſſet er die Gleichheit ſtehen mit der Fuͤgniß ſeiner Zeit. Mit ſeinen langen grauen Bart/ diſputieꝛt der leichte Wind/ treibt ihn links und rechts geſchwind. Balſac ſagt von einem Alten er habe die Zeit zu ſterben verabſaumt und Gott habe ihn aufbehalten/ der abgeſtorbnen Welte eine Grabſchrift zu machen. Das ver- geßliche und verdruͤßliche Alter/ macht mehr ge- bieten/ weil man nicht folget/ mehr ſehen (mit ſchwachen Augen) und weniger hoͤren. Es H vj

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Zitationshilfe: Harsdörffer, Georg Philipp: Poetischer Trichter. Bd. 3. Nürnberg, 1653, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/harsdoerffer_trichter03_1653/155>, abgerufen am 26.04.2024.