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Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811.

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Nützliche Lehren.
5.

"Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet." Das muß zweimal wahr sein. Fürs Erste kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage thun, worauf auch der Weiseste keinen Bescheid zu geben weiß. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft leichter ist, als Geben, Rufen leichter, als Kommen. Für's andere könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will nicht, weil die Frage einfältig ist, oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen Menschen am Fragen und den Verständigen am Schweigen. "Keine Antwort ist auch eine Antwort." Von dem Doctor Luther verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch gethan habe. Dem erwiederte der fromme und witzige Mann: "in einem Birkenwald sey der liebe Gott gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze Fragen thun, Ruthen geschnitten."

6.

"Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden." Damit entschuldigen sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht treiben und vollenden mögen, und schon müde sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleißige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet, und nicht

Nützliche Lehren.
5.

„Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet.“ Das muß zweimal wahr sein. Fürs Erste kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage thun, worauf auch der Weiseste keinen Bescheid zu geben weiß. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft leichter ist, als Geben, Rufen leichter, als Kommen. Für’s andere könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will nicht, weil die Frage einfältig ist, oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen Menschen am Fragen und den Verständigen am Schweigen. „Keine Antwort ist auch eine Antwort.“ Von dem Doctor Luther verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch gethan habe. Dem erwiederte der fromme und witzige Mann: „in einem Birkenwald sey der liebe Gott gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze Fragen thun, Ruthen geschnitten.“

6.

„Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden.“ Damit entschuldigen sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht treiben und vollenden mögen, und schon müde sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleißige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet, und nicht

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[74/0082] Nützliche Lehren. 5. „Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet.“ Das muß zweimal wahr sein. Fürs Erste kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage thun, worauf auch der Weiseste keinen Bescheid zu geben weiß. Denn Fragen ist leichter als Antworten, wie Fordern oft leichter ist, als Geben, Rufen leichter, als Kommen. Für’s andere könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will nicht, weil die Frage einfältig ist, oder wortwitzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen Menschen am Fragen und den Verständigen am Schweigen. „Keine Antwort ist auch eine Antwort.“ Von dem Doctor Luther verlangte einst jemand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch gethan habe. Dem erwiederte der fromme und witzige Mann: „in einem Birkenwald sey der liebe Gott gesessen und habe zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze Fragen thun, Ruthen geschnitten.“ 6. „Rom ist nicht in einem Tage erbaut worden.“ Damit entschuldigen sich viele fahrlässige und träge Menschen, welche ihr Geschäft nicht treiben und vollenden mögen, und schon müde sind, ehe sie recht anfangen. Mit dem Rom ist es aber eigentlich so zugegangen. Es haben viele fleißige Hände viele Tage lang vom frühen Morgen bis zum späten Abend unverdrossen daran gearbeitet, und nicht

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Zitationshilfe: Hebel, Johann Peter: Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes. Tübingen, 1811, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hebel_schatzkaestlein_1811/82>, abgerufen am 26.04.2024.