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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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§. 146. Völkerrecht im Zustand des Unfriedens.
deren Staate stehen, sie sei nun eine gleiche oder ungleiche Ver-
bindung; 1 wogegen eine nur persönliche Union mehrerer Staaten
unter einem gemeinschaftlichen Oberhaupte ohne Realverband die
Möglichkeit einer Neutralität nicht ausschließt.

Unläugbar ist jeder Staat berechtigt die Annahme und Erhal-
tung der Neutralität mit den Waffen in der Hand zu schützen und
jede Beeinträchtigung durch Vertheidigungsmaaßregeln, die sich auf
jenen Zweck beschränken, zurückzuweisen. Dies ist die bewaffnete
Neutralität, zu deren Erhaltung selbst auch wieder Bündnisse ge-
schlossen werden können.

Jede Neutralität endigt mit einer Kriegserklärung, welche an
den neutralen Staat oder von ihm an einen der kriegführenden
Theile ergeht, oder mit einer sofort factischen Kriegseröffnung. Da-
gegen kann der Ablauf einer vertragsmäßig der Neutralität vor-
bestimmten Zeit jene noch nicht von selbst in einen Kriegsstand
verwandeln. 2

Bedingungen der Neutralität.

146. Die Bedingungen unter welchen man allein auf Aner-
kennung und Achtung der Neutralität Anspruch machen kann, so-
weit nicht eine Relaxation davon in den Fällen unvollkommener
Neutralität stattfindet, sind wesentlich diese: 3

Erstlich: die Nichtduldung von unmittelbar feindlichen Hand-
lungen einer kriegführenden Partei wider die andere innerhalb des
neutralen Gebietes.

Zweitens: die Unterlassung jeder positiven Begünstigung eines
kriegführenden Theiles, wodurch dessen Angriffs- oder Vertheidi-
gungssystem verstärkt wird, desgleichen die Nichtgestattung von Be-
fugnissen, welche der einen Partei einen besonderen Vortheil vor
der andern gewähren, sollte man auch bereit sein, die nämlichen
Befugnisse der letzteren einzuräumen.

Wird diesen Bedingungen zuwider gehandelt, so sind die Krieg-
führenden berechtigt sich einer ferneren Beachtung der Neutralität

1 Man vergleicht z. B. Schweden und Norwegen im Vereinigungsvertrag
vom 31. Juli bis 6. Aug. 1815. Art. 4. de Martens N. R. II, p. 612.
In Betreff der einzelnen Fragen: Galiani I, c. 3.
2 Moser a. a. O. S. 491.
3 Klüber §. 287.

§. 146. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens.
deren Staate ſtehen, ſie ſei nun eine gleiche oder ungleiche Ver-
bindung; 1 wogegen eine nur perſönliche Union mehrerer Staaten
unter einem gemeinſchaftlichen Oberhaupte ohne Realverband die
Möglichkeit einer Neutralität nicht ausſchließt.

Unläugbar iſt jeder Staat berechtigt die Annahme und Erhal-
tung der Neutralität mit den Waffen in der Hand zu ſchützen und
jede Beeinträchtigung durch Vertheidigungsmaaßregeln, die ſich auf
jenen Zweck beſchränken, zurückzuweiſen. Dies iſt die bewaffnete
Neutralität, zu deren Erhaltung ſelbſt auch wieder Bündniſſe ge-
ſchloſſen werden können.

Jede Neutralität endigt mit einer Kriegserklärung, welche an
den neutralen Staat oder von ihm an einen der kriegführenden
Theile ergeht, oder mit einer ſofort factiſchen Kriegseröffnung. Da-
gegen kann der Ablauf einer vertragsmäßig der Neutralität vor-
beſtimmten Zeit jene noch nicht von ſelbſt in einen Kriegsſtand
verwandeln. 2

Bedingungen der Neutralität.

146. Die Bedingungen unter welchen man allein auf Aner-
kennung und Achtung der Neutralität Anſpruch machen kann, ſo-
weit nicht eine Relaxation davon in den Fällen unvollkommener
Neutralität ſtattfindet, ſind weſentlich dieſe: 3

Erſtlich: die Nichtduldung von unmittelbar feindlichen Hand-
lungen einer kriegführenden Partei wider die andere innerhalb des
neutralen Gebietes.

Zweitens: die Unterlaſſung jeder poſitiven Begünſtigung eines
kriegführenden Theiles, wodurch deſſen Angriffs- oder Vertheidi-
gungsſyſtem verſtärkt wird, desgleichen die Nichtgeſtattung von Be-
fugniſſen, welche der einen Partei einen beſonderen Vortheil vor
der andern gewähren, ſollte man auch bereit ſein, die nämlichen
Befugniſſe der letzteren einzuräumen.

Wird dieſen Bedingungen zuwider gehandelt, ſo ſind die Krieg-
führenden berechtigt ſich einer ferneren Beachtung der Neutralität

1 Man vergleicht z. B. Schweden und Norwegen im Vereinigungsvertrag
vom 31. Juli bis 6. Aug. 1815. Art. 4. de Martens N. R. II, p. 612.
In Betreff der einzelnen Fragen: Galiani I, c. 3.
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3 Klüber §. 287.
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[245/0269] §. 146. Voͤlkerrecht im Zuſtand des Unfriedens. deren Staate ſtehen, ſie ſei nun eine gleiche oder ungleiche Ver- bindung; 1 wogegen eine nur perſönliche Union mehrerer Staaten unter einem gemeinſchaftlichen Oberhaupte ohne Realverband die Möglichkeit einer Neutralität nicht ausſchließt. Unläugbar iſt jeder Staat berechtigt die Annahme und Erhal- tung der Neutralität mit den Waffen in der Hand zu ſchützen und jede Beeinträchtigung durch Vertheidigungsmaaßregeln, die ſich auf jenen Zweck beſchränken, zurückzuweiſen. Dies iſt die bewaffnete Neutralität, zu deren Erhaltung ſelbſt auch wieder Bündniſſe ge- ſchloſſen werden können. Jede Neutralität endigt mit einer Kriegserklärung, welche an den neutralen Staat oder von ihm an einen der kriegführenden Theile ergeht, oder mit einer ſofort factiſchen Kriegseröffnung. Da- gegen kann der Ablauf einer vertragsmäßig der Neutralität vor- beſtimmten Zeit jene noch nicht von ſelbſt in einen Kriegsſtand verwandeln. 2 Bedingungen der Neutralität. 146. Die Bedingungen unter welchen man allein auf Aner- kennung und Achtung der Neutralität Anſpruch machen kann, ſo- weit nicht eine Relaxation davon in den Fällen unvollkommener Neutralität ſtattfindet, ſind weſentlich dieſe: 3 Erſtlich: die Nichtduldung von unmittelbar feindlichen Hand- lungen einer kriegführenden Partei wider die andere innerhalb des neutralen Gebietes. Zweitens: die Unterlaſſung jeder poſitiven Begünſtigung eines kriegführenden Theiles, wodurch deſſen Angriffs- oder Vertheidi- gungsſyſtem verſtärkt wird, desgleichen die Nichtgeſtattung von Be- fugniſſen, welche der einen Partei einen beſonderen Vortheil vor der andern gewähren, ſollte man auch bereit ſein, die nämlichen Befugniſſe der letzteren einzuräumen. Wird dieſen Bedingungen zuwider gehandelt, ſo ſind die Krieg- führenden berechtigt ſich einer ferneren Beachtung der Neutralität 1 Man vergleicht z. B. Schweden und Norwegen im Vereinigungsvertrag vom 31. Juli bis 6. Aug. 1815. Art. 4. de Martens N. R. II, p. 612. In Betreff der einzelnen Fragen: Galiani I, c. 3. 2 Moſer a. a. O. S. 491. 3 Klüber §. 287.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/269>, abgerufen am 27.04.2024.