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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Zweites Buch. §. 159.
Juristische Idee der Kriegscontrebande.

159. Wenn es nun darauf ankommt einen allgemein giltigen
Begriff der Kriegscontrebande wenigstens für die europäischen und
damit in Verbindung stehenden europäisirten Nationen festzustellen,
so kann dieses nicht a priori durch bloße Räsonnements aus der
Natur der Sache geschehen, 1 die eben erst gefunden werden soll,
sondern lediglich auf historischem Wege. Es handelt sich um ein
positives bestimmtes Gesetz, woran unabhängige Mächte und de-
ren Unterthanen in Beziehung auf einen ihnen fremden Kriegsstand
und in Ansehung einer ihnen sonst zustehenden Befugniß, nämlich
eines beliebigen Verkehrs und Handels mit jeder Nation, die ihn
selbst nicht zurückweiset, gebunden sein sollen. Ein solches Gesetz
kann nur das Product des Willens der Betheiligten sein.

Aus der vorausgeschickten geschichtlichen Skizze, aus den Ge-
setzen der einzelnen Völker und der Staatenpraxis tritt nun auf
das Bestimmteste die Idee entgegen: daß die Zufuhr von Kriegs-
contrebande an einen Kriegführenden eine strafbare Handlung
hinsichtlich des Anderen sei 2 und deshalb wenigstens zur Confis-
cation der Waare, ja selbst zu weiterer Strafe gegen den wissent-
lich Zuführenden, der in der That begriffen wird, berechtige. Stra-
fen kann aber ein Staat bloß diejenigen Fremden, die er innerhalb
der legitimen Grenzen seiner Botmäßigkeit erreichen kann, also ent-
weder in seinem eigenen Gebiete oder in dem einstweilig occupirten
feindlichen Gebiete. Soll er noch anderwärts, namentlich auf völ-
kerrechtlich freiem Gebiete, wie z. B. auf der See, dazu befugt
sein, so gehört dazu die Erlaubniß derjenigen Mächte, unter deren
Schutz und Botmäßigkeit die Betheiligten stehen. Ohne diese Er-
laubniß darf zwar ein kriegführender Staat gegen neutrale Staats-

gehalten. In dem System der bewaffneten Neutralität von 1782. und
1800. ist keine Bestätigung dieser Ansicht zu finden. Es ist darin das
Princip der Kriegscontrebande nicht negirt, sondern nur gegen willkührliche
Ausdehnung gekämpft und eine Verständigung dieserhalb gefordert und vor-
bereitet worden.
1 Ueber Versuche dieser Art vgl. man Jouffroy dr. mar. p. 102 ff., wo er
die Ansichten früherer Publicisten einer Critik unterwirft.
2 So wird noch in dem Alliancevertrage Englands und Schwedens von
1661. Art. 12. von der Contrebande als von einem Verbrechen gesprochen,
welches eine Strafe verdiene qualis summis criminibus debetur!
Zweites Buch. §. 159.
Juriſtiſche Idee der Kriegscontrebande.

159. Wenn es nun darauf ankommt einen allgemein giltigen
Begriff der Kriegscontrebande wenigſtens für die europäiſchen und
damit in Verbindung ſtehenden europäiſirten Nationen feſtzuſtellen,
ſo kann dieſes nicht a priori durch bloße Räſonnements aus der
Natur der Sache geſchehen, 1 die eben erſt gefunden werden ſoll,
ſondern lediglich auf hiſtoriſchem Wege. Es handelt ſich um ein
poſitives beſtimmtes Geſetz, woran unabhängige Mächte und de-
ren Unterthanen in Beziehung auf einen ihnen fremden Kriegsſtand
und in Anſehung einer ihnen ſonſt zuſtehenden Befugniß, nämlich
eines beliebigen Verkehrs und Handels mit jeder Nation, die ihn
ſelbſt nicht zurückweiſet, gebunden ſein ſollen. Ein ſolches Geſetz
kann nur das Product des Willens der Betheiligten ſein.

Aus der vorausgeſchickten geſchichtlichen Skizze, aus den Ge-
ſetzen der einzelnen Völker und der Staatenpraxis tritt nun auf
das Beſtimmteſte die Idee entgegen: daß die Zufuhr von Kriegs-
contrebande an einen Kriegführenden eine ſtrafbare Handlung
hinſichtlich des Anderen ſei 2 und deshalb wenigſtens zur Confis-
cation der Waare, ja ſelbſt zu weiterer Strafe gegen den wiſſent-
lich Zuführenden, der in der That begriffen wird, berechtige. Stra-
fen kann aber ein Staat bloß diejenigen Fremden, die er innerhalb
der legitimen Grenzen ſeiner Botmäßigkeit erreichen kann, alſo ent-
weder in ſeinem eigenen Gebiete oder in dem einſtweilig occupirten
feindlichen Gebiete. Soll er noch anderwärts, namentlich auf völ-
kerrechtlich freiem Gebiete, wie z. B. auf der See, dazu befugt
ſein, ſo gehört dazu die Erlaubniß derjenigen Mächte, unter deren
Schutz und Botmäßigkeit die Betheiligten ſtehen. Ohne dieſe Er-
laubniß darf zwar ein kriegführender Staat gegen neutrale Staats-

gehalten. In dem Syſtem der bewaffneten Neutralität von 1782. und
1800. iſt keine Beſtätigung dieſer Anſicht zu finden. Es iſt darin das
Princip der Kriegscontrebande nicht negirt, ſondern nur gegen willkührliche
Ausdehnung gekämpft und eine Verſtändigung dieſerhalb gefordert und vor-
bereitet worden.
1 Ueber Verſuche dieſer Art vgl. man Jouffroy dr. mar. p. 102 ff., wo er
die Anſichten früherer Publiciſten einer Critik unterwirft.
2 So wird noch in dem Alliancevertrage Englands und Schwedens von
1661. Art. 12. von der Contrebande als von einem Verbrechen geſprochen,
welches eine Strafe verdiene qualis summis criminibus debetur!
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[266/0290] Zweites Buch. §. 159. Juriſtiſche Idee der Kriegscontrebande. 159. Wenn es nun darauf ankommt einen allgemein giltigen Begriff der Kriegscontrebande wenigſtens für die europäiſchen und damit in Verbindung ſtehenden europäiſirten Nationen feſtzuſtellen, ſo kann dieſes nicht a priori durch bloße Räſonnements aus der Natur der Sache geſchehen, 1 die eben erſt gefunden werden ſoll, ſondern lediglich auf hiſtoriſchem Wege. Es handelt ſich um ein poſitives beſtimmtes Geſetz, woran unabhängige Mächte und de- ren Unterthanen in Beziehung auf einen ihnen fremden Kriegsſtand und in Anſehung einer ihnen ſonſt zuſtehenden Befugniß, nämlich eines beliebigen Verkehrs und Handels mit jeder Nation, die ihn ſelbſt nicht zurückweiſet, gebunden ſein ſollen. Ein ſolches Geſetz kann nur das Product des Willens der Betheiligten ſein. Aus der vorausgeſchickten geſchichtlichen Skizze, aus den Ge- ſetzen der einzelnen Völker und der Staatenpraxis tritt nun auf das Beſtimmteſte die Idee entgegen: daß die Zufuhr von Kriegs- contrebande an einen Kriegführenden eine ſtrafbare Handlung hinſichtlich des Anderen ſei 2 und deshalb wenigſtens zur Confis- cation der Waare, ja ſelbſt zu weiterer Strafe gegen den wiſſent- lich Zuführenden, der in der That begriffen wird, berechtige. Stra- fen kann aber ein Staat bloß diejenigen Fremden, die er innerhalb der legitimen Grenzen ſeiner Botmäßigkeit erreichen kann, alſo ent- weder in ſeinem eigenen Gebiete oder in dem einſtweilig occupirten feindlichen Gebiete. Soll er noch anderwärts, namentlich auf völ- kerrechtlich freiem Gebiete, wie z. B. auf der See, dazu befugt ſein, ſo gehört dazu die Erlaubniß derjenigen Mächte, unter deren Schutz und Botmäßigkeit die Betheiligten ſtehen. Ohne dieſe Er- laubniß darf zwar ein kriegführender Staat gegen neutrale Staats- 4 1 Ueber Verſuche dieſer Art vgl. man Jouffroy dr. mar. p. 102 ff., wo er die Anſichten früherer Publiciſten einer Critik unterwirft. 2 So wird noch in dem Alliancevertrage Englands und Schwedens von 1661. Art. 12. von der Contrebande als von einem Verbrechen geſprochen, welches eine Strafe verdiene qualis summis criminibus debetur! 4 gehalten. In dem Syſtem der bewaffneten Neutralität von 1782. und 1800. iſt keine Beſtätigung dieſer Anſicht zu finden. Es iſt darin das Princip der Kriegscontrebande nicht negirt, ſondern nur gegen willkührliche Ausdehnung gekämpft und eine Verſtändigung dieſerhalb gefordert und vor- bereitet worden.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/290>, abgerufen am 26.04.2024.