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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Drittes Buch. §. 231.
der gesetzgebenden Gewalt des fremden Staates nicht abhängig wa-
ren. Civilansprüche sind dagegen durch das Völkerrecht selbst ge-
schützt.

Zweite Unterabtheilung.
Die diplomatische Kunst.1
Ihr Wesen.

231. Auch die Diplomatie oder die staatsmännische Thätigkeit
in auswärtigen Angelegenheiten ist eine Kunst, ein sich bewußtes
Können. Um solches aber wahrhaft zu sein, darf sie weder eines
vernünftigen Grundes entbehren, noch auch vernunftwidrige Zwecke
verfolgen, überhaupt ihre Regeln nicht außerhalb dieses Kreises su-
chen. Ihr Grund ist nun kein anderer, als das Recht und das
Wohl eines jeden Staates; ihr Zweck nur das rechtliche Interesse
desselben. Nicht aber soll die Diplomatie ein Werkzeug jener
Politik sein, die sich alles selbst Zuträgliche erlaubt hält, einer un-
begränzten Herrsch- und Eroberungssucht dient, oder eine gänzliche
Abschließung gegen andere Staaten bezielt; sie darf sich ebensowenig
selbst als Zweck setzen, geschäftig sein ohne Princip, oder spielen mit
der Verwirrung, um daraus Gewinn zu ziehen; sie darf sich end-
lich nicht als die Schöpferin des Schicksals der Nationen betrach-
ten, sondern nur als eine Dienerin der Geschichte. Sie muß wis-
sen, daß die Geschicke der Völker auf einer sittlichen Nothwendig-
keit beruhen; daß jedem Staat sein eigenthümliches Leben in der
Kette der Dinge angewiesen ist; daß es zwar durch gewaltige An-
spannung der Kräfte möglich ist, von dem geschichtlich vorgezeichne-
ten Wege abzuweichen, die Bedeutung eines Staates über sein Gleich-
maaß mit anderen zu erheben: daß indessen jede übermäßige An-
strengung ihr baldiges natürliches Ziel findet, in Erschlaffung über-
geht und so auch der über Gebühr erhobene Staat unrühmlich in
seine vorige Lage, ja oft noch tiefer herabstürzen kann, als er bei
natürlicher Benutzung seiner Kräfte fortdauernd behauptet haben
würde. Darin eben besteht nun das echte diplomatische Wissen

1 Die bereits zu §. 199. angegebenen Schriften berühren diesen Gegenstand
ebenfalls, obwohl meist nur in seiner Aeußerlichkeit. S. indessen noch:
Kölle, Betrachtungen über Diplomatie. Stuttgard u. Tübing. 1838.

Drittes Buch. §. 231.
der geſetzgebenden Gewalt des fremden Staates nicht abhängig wa-
ren. Civilanſprüche ſind dagegen durch das Völkerrecht ſelbſt ge-
ſchützt.

Zweite Unterabtheilung.
Die diplomatiſche Kunſt.1
Ihr Weſen.

231. Auch die Diplomatie oder die ſtaatsmänniſche Thätigkeit
in auswärtigen Angelegenheiten iſt eine Kunſt, ein ſich bewußtes
Können. Um ſolches aber wahrhaft zu ſein, darf ſie weder eines
vernünftigen Grundes entbehren, noch auch vernunftwidrige Zwecke
verfolgen, überhaupt ihre Regeln nicht außerhalb dieſes Kreiſes ſu-
chen. Ihr Grund iſt nun kein anderer, als das Recht und das
Wohl eines jeden Staates; ihr Zweck nur das rechtliche Intereſſe
deſſelben. Nicht aber ſoll die Diplomatie ein Werkzeug jener
Politik ſein, die ſich alles ſelbſt Zuträgliche erlaubt hält, einer un-
begränzten Herrſch- und Eroberungsſucht dient, oder eine gänzliche
Abſchließung gegen andere Staaten bezielt; ſie darf ſich ebenſowenig
ſelbſt als Zweck ſetzen, geſchäftig ſein ohne Princip, oder ſpielen mit
der Verwirrung, um daraus Gewinn zu ziehen; ſie darf ſich end-
lich nicht als die Schöpferin des Schickſals der Nationen betrach-
ten, ſondern nur als eine Dienerin der Geſchichte. Sie muß wiſ-
ſen, daß die Geſchicke der Völker auf einer ſittlichen Nothwendig-
keit beruhen; daß jedem Staat ſein eigenthümliches Leben in der
Kette der Dinge angewieſen iſt; daß es zwar durch gewaltige An-
ſpannung der Kräfte möglich iſt, von dem geſchichtlich vorgezeichne-
ten Wege abzuweichen, die Bedeutung eines Staates über ſein Gleich-
maaß mit anderen zu erheben: daß indeſſen jede übermäßige An-
ſtrengung ihr baldiges natürliches Ziel findet, in Erſchlaffung über-
geht und ſo auch der über Gebühr erhobene Staat unrühmlich in
ſeine vorige Lage, ja oft noch tiefer herabſtürzen kann, als er bei
natürlicher Benutzung ſeiner Kräfte fortdauernd behauptet haben
würde. Darin eben beſteht nun das echte diplomatiſche Wiſſen

1 Die bereits zu §. 199. angegebenen Schriften berühren dieſen Gegenſtand
ebenfalls, obwohl meiſt nur in ſeiner Aeußerlichkeit. S. indeſſen noch:
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[374/0398] Drittes Buch. §. 231. der geſetzgebenden Gewalt des fremden Staates nicht abhängig wa- ren. Civilanſprüche ſind dagegen durch das Völkerrecht ſelbſt ge- ſchützt. Zweite Unterabtheilung. Die diplomatiſche Kunſt. 1 Ihr Weſen. 231. Auch die Diplomatie oder die ſtaatsmänniſche Thätigkeit in auswärtigen Angelegenheiten iſt eine Kunſt, ein ſich bewußtes Können. Um ſolches aber wahrhaft zu ſein, darf ſie weder eines vernünftigen Grundes entbehren, noch auch vernunftwidrige Zwecke verfolgen, überhaupt ihre Regeln nicht außerhalb dieſes Kreiſes ſu- chen. Ihr Grund iſt nun kein anderer, als das Recht und das Wohl eines jeden Staates; ihr Zweck nur das rechtliche Intereſſe deſſelben. Nicht aber ſoll die Diplomatie ein Werkzeug jener Politik ſein, die ſich alles ſelbſt Zuträgliche erlaubt hält, einer un- begränzten Herrſch- und Eroberungsſucht dient, oder eine gänzliche Abſchließung gegen andere Staaten bezielt; ſie darf ſich ebenſowenig ſelbſt als Zweck ſetzen, geſchäftig ſein ohne Princip, oder ſpielen mit der Verwirrung, um daraus Gewinn zu ziehen; ſie darf ſich end- lich nicht als die Schöpferin des Schickſals der Nationen betrach- ten, ſondern nur als eine Dienerin der Geſchichte. Sie muß wiſ- ſen, daß die Geſchicke der Völker auf einer ſittlichen Nothwendig- keit beruhen; daß jedem Staat ſein eigenthümliches Leben in der Kette der Dinge angewieſen iſt; daß es zwar durch gewaltige An- ſpannung der Kräfte möglich iſt, von dem geſchichtlich vorgezeichne- ten Wege abzuweichen, die Bedeutung eines Staates über ſein Gleich- maaß mit anderen zu erheben: daß indeſſen jede übermäßige An- ſtrengung ihr baldiges natürliches Ziel findet, in Erſchlaffung über- geht und ſo auch der über Gebühr erhobene Staat unrühmlich in ſeine vorige Lage, ja oft noch tiefer herabſtürzen kann, als er bei natürlicher Benutzung ſeiner Kräfte fortdauernd behauptet haben würde. Darin eben beſteht nun das echte diplomatiſche Wiſſen 1 Die bereits zu §. 199. angegebenen Schriften berühren dieſen Gegenſtand ebenfalls, obwohl meiſt nur in ſeiner Aeußerlichkeit. S. indeſſen noch: Kölle, Betrachtungen über Diplomatie. Stuttgard u. Tübing. 1838.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/398>, abgerufen am 27.04.2024.