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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 69.
dem Eigenthum gleichsteht, da er die Wirkungen eines frem-
den Zwischenbesitzes nicht auszuschließen vermag; 1
II. jeder natürliche Zuwachs und jede natürliche Umgestaltung
einer schon im Eigenthum befindlichen Sache, namentlich
eine neu entstandene Insel in dem bisherigen Land- und
Wassergebiet einer Nation, 2 so wie die unmittelbare An-
setzung neuen Landes an das bisherige Gebiet; 3 wogegen
sich ein Fruchterwerb des bloßen zum Eigenthum nicht be-
rechtigten Besitzes nach internationalem Recht nicht verthei-
digen läßt; 4
III. die Occupation einer herrenlosen Sache (§. 70.).

In wie fern überdies die Verjährung, vorzüglich ein unvor-
denklicher Besitzstand die Stelle einer giltigen Erwerbung vertreten
kann, 5 ist schon an einem andern Ort erörtert (§. 12.).


1 Es bedarf also allerdings einer Uebergabe oder Ergreifung des leeren Be-
sitzes, wenn sich der neue Eigenthümer nicht schon auf andere Weise im
Besitz der Sache befindet. Möglichkeit, über die Substanz einer Sache frei
zu verfügen, ist das Wesen des Eigenthums. Außer dem physischen Besitz
kann sie nur durch gesetzliche Fiction und Staatshilfe erlangt werden. Das
internationale Recht gewährt weder die Eine noch das Andere. Unter den
ältern Publicisten, zum Theil noch jetzt ist dieses streitig. S. darüber und
wegen der Staatenpraxis Günther II, 86.
2 Man darf hier unbedenklich die Grundsätze des Römischen Rechts als der
Natur der Dinge und der Billigkeit am meisten entsprechend, überdies auch
fast von allen Staaten in ihr Rechtssystem übertragen, für internationales
Recht erklären. S. ausführlich darüber v. Cancrin, Wasserr. III, 2. Gün-
ther II, 57--62.
3 Was darüber hinausliegt, bedarf gewiß erst einer Occupation. Reine An-
maßung ist es, neue Inseln außerhalb der Grenze als Abschwemmungen
des Gebiets in Anspruch zu nehmen (vgl. z. B. den Fall bei Wheaton,
intern. L. I,
216., oder wie Napoleon Holland als Anschwemmung des
Rheines vindiciren wollte). Abschwemmungen, so lange sie nicht mehr zu-
rückgebracht werden können, sind keine Anschwemmungen.
4 Das ist auch die Ansicht von Groot II, 8, 23. u. 10, 4., von Pufendorf
IV, 7, 2. 3. und von Andern, obgleich nicht unwidersprochen. Der Be-
sitzer kann freilich über die Früchte factisch disponiren und industrielle Früchte
ziehen, aber die natürlichen kann er dem Eigenthümer nicht entziehen. Siehe
jedoch noch §. 73. a. E.
5 Es ließen sich viele Beispiele, unter andern in Deutschland nachweisen,
wo das Recht der Staatsgewalt nur auf langen Besitzstand gegründet ist
ohne erweislichen Rechtstitel.
Erſtes Buch. §. 69.
dem Eigenthum gleichſteht, da er die Wirkungen eines frem-
den Zwiſchenbeſitzes nicht auszuſchließen vermag; 1
II. jeder natürliche Zuwachs und jede natürliche Umgeſtaltung
einer ſchon im Eigenthum befindlichen Sache, namentlich
eine neu entſtandene Inſel in dem bisherigen Land- und
Waſſergebiet einer Nation, 2 ſo wie die unmittelbare An-
ſetzung neuen Landes an das bisherige Gebiet; 3 wogegen
ſich ein Fruchterwerb des bloßen zum Eigenthum nicht be-
rechtigten Beſitzes nach internationalem Recht nicht verthei-
digen läßt; 4
III. die Occupation einer herrenloſen Sache (§. 70.).

In wie fern überdies die Verjährung, vorzüglich ein unvor-
denklicher Beſitzſtand die Stelle einer giltigen Erwerbung vertreten
kann, 5 iſt ſchon an einem andern Ort erörtert (§. 12.).


1 Es bedarf alſo allerdings einer Uebergabe oder Ergreifung des leeren Be-
ſitzes, wenn ſich der neue Eigenthümer nicht ſchon auf andere Weiſe im
Beſitz der Sache befindet. Möglichkeit, über die Subſtanz einer Sache frei
zu verfügen, iſt das Weſen des Eigenthums. Außer dem phyſiſchen Beſitz
kann ſie nur durch geſetzliche Fiction und Staatshilfe erlangt werden. Das
internationale Recht gewährt weder die Eine noch das Andere. Unter den
ältern Publiciſten, zum Theil noch jetzt iſt dieſes ſtreitig. S. darüber und
wegen der Staatenpraxis Günther II, 86.
2 Man darf hier unbedenklich die Grundſätze des Römiſchen Rechts als der
Natur der Dinge und der Billigkeit am meiſten entſprechend, überdies auch
faſt von allen Staaten in ihr Rechtsſyſtem übertragen, für internationales
Recht erklären. S. ausführlich darüber v. Cancrin, Waſſerr. III, 2. Gün-
ther II, 57—62.
3 Was darüber hinausliegt, bedarf gewiß erſt einer Occupation. Reine An-
maßung iſt es, neue Inſeln außerhalb der Grenze als Abſchwemmungen
des Gebiets in Anſpruch zu nehmen (vgl. z. B. den Fall bei Wheaton,
intern. L. I,
216., oder wie Napoleon Holland als Anſchwemmung des
Rheines vindiciren wollte). Abſchwemmungen, ſo lange ſie nicht mehr zu-
rückgebracht werden können, ſind keine Anſchwemmungen.
4 Das iſt auch die Anſicht von Groot II, 8, 23. u. 10, 4., von Pufendorf
IV, 7, 2. 3. und von Andern, obgleich nicht unwiderſprochen. Der Be-
ſitzer kann freilich über die Früchte factiſch disponiren und induſtrielle Früchte
ziehen, aber die natürlichen kann er dem Eigenthümer nicht entziehen. Siehe
jedoch noch §. 73. a. E.
5 Es ließen ſich viele Beiſpiele, unter andern in Deutſchland nachweiſen,
wo das Recht der Staatsgewalt nur auf langen Beſitzſtand gegründet iſt
ohne erweislichen Rechtstitel.
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[124/0148] Erſtes Buch. §. 69. dem Eigenthum gleichſteht, da er die Wirkungen eines frem- den Zwiſchenbeſitzes nicht auszuſchließen vermag; 1 II. jeder natürliche Zuwachs und jede natürliche Umgeſtaltung einer ſchon im Eigenthum befindlichen Sache, namentlich eine neu entſtandene Inſel in dem bisherigen Land- und Waſſergebiet einer Nation, 2 ſo wie die unmittelbare An- ſetzung neuen Landes an das bisherige Gebiet; 3 wogegen ſich ein Fruchterwerb des bloßen zum Eigenthum nicht be- rechtigten Beſitzes nach internationalem Recht nicht verthei- digen läßt; 4 III. die Occupation einer herrenloſen Sache (§. 70.). In wie fern überdies die Verjährung, vorzüglich ein unvor- denklicher Beſitzſtand die Stelle einer giltigen Erwerbung vertreten kann, 5 iſt ſchon an einem andern Ort erörtert (§. 12.). 1 Es bedarf alſo allerdings einer Uebergabe oder Ergreifung des leeren Be- ſitzes, wenn ſich der neue Eigenthümer nicht ſchon auf andere Weiſe im Beſitz der Sache befindet. Möglichkeit, über die Subſtanz einer Sache frei zu verfügen, iſt das Weſen des Eigenthums. Außer dem phyſiſchen Beſitz kann ſie nur durch geſetzliche Fiction und Staatshilfe erlangt werden. Das internationale Recht gewährt weder die Eine noch das Andere. Unter den ältern Publiciſten, zum Theil noch jetzt iſt dieſes ſtreitig. S. darüber und wegen der Staatenpraxis Günther II, 86. 2 Man darf hier unbedenklich die Grundſätze des Römiſchen Rechts als der Natur der Dinge und der Billigkeit am meiſten entſprechend, überdies auch faſt von allen Staaten in ihr Rechtsſyſtem übertragen, für internationales Recht erklären. S. ausführlich darüber v. Cancrin, Waſſerr. III, 2. Gün- ther II, 57—62. 3 Was darüber hinausliegt, bedarf gewiß erſt einer Occupation. Reine An- maßung iſt es, neue Inſeln außerhalb der Grenze als Abſchwemmungen des Gebiets in Anſpruch zu nehmen (vgl. z. B. den Fall bei Wheaton, intern. L. I, 216., oder wie Napoleon Holland als Anſchwemmung des Rheines vindiciren wollte). Abſchwemmungen, ſo lange ſie nicht mehr zu- rückgebracht werden können, ſind keine Anſchwemmungen. 4 Das iſt auch die Anſicht von Groot II, 8, 23. u. 10, 4., von Pufendorf IV, 7, 2. 3. und von Andern, obgleich nicht unwiderſprochen. Der Be- ſitzer kann freilich über die Früchte factiſch disponiren und induſtrielle Früchte ziehen, aber die natürlichen kann er dem Eigenthümer nicht entziehen. Siehe jedoch noch §. 73. a. E. 5 Es ließen ſich viele Beiſpiele, unter andern in Deutſchland nachweiſen, wo das Recht der Staatsgewalt nur auf langen Beſitzſtand gegründet iſt ohne erweislichen Rechtstitel.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/148>, abgerufen am 26.04.2024.