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Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844.

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Erstes Buch. §. 32.
3. Recht auf gegenseitigen Verkehr. 1

32. Soll ein dem höchsten Ziel des Völkerrechts (§. 2.) ent-
sprechender Verband unter Nationen bestehen, so müssen sie sich
auch einem gegenseitigen Verkehr zum Austausch ihrer geistigen und
materiellen Mittel öffnen, deren die menschliche Natur zu ihrer Ent-
faltung bedarf. Das Princip einer Freiheit des Verkehrs ist jedoch
kein unbedingtes. Die nächste Grenze setzt ihm die Gerechtigkeit,
welche auf Gleichheit und richtiger Ausgleichung des Ungleicharti-
gen beruht, mithin auch keinen Staat verpflichtet, einen Verkehr
mit anderen zu führen, wobei er nur im Nachtheil und letztere al-
lein im Vortheil sein würden; eine fernere Grenze auch die Selbst-
erhaltung jedes Staates, welche nicht zugeben kann, sich durch Ge-
stattung eines unbedingten Verkehrs in Abhängigkeit von anderen
Staaten zu setzen oder schädliche Einwirkungen von ihnen in sich
aufzunehmen.

Welche Vorsichts-, Abwehr-, Ausgleichungs- oder Beförde-
rungsmaaßregeln nun in der einen oder anderen Beziehung zu er-
greifen, fällt allein der inneren Politik jedes Staates anheim. Ihr
steht es zu, schädliche Arten des Verkehrs und Handels in ihrem
Gebiet ganz zu verbieten, den Fremdenverkehr durch Paßvorschrif-
ten und polizeiliche Anstalten zu controliren, fremde Artikel der Aus-
gleichung halber mit Schutzzöllen zu belegen, die Stapelplätze und
Wege des Verkehrs zu bestimmen, durch Handelsverträge, Errich-
tung von Freihäfen und ähnlichen Anordnungen den Verkehr zu be-
fördern, hierbei auch einzelne Nationen vor anderen zu begünstigen,
ja selbst Monopole zu ertheilen, wenn dergleichen noch in irgend
einer Hinsicht wahrhaften Vortheil gewähren könnten; endlich kann
eine Nation sich freiwillig durch Vertrag gewissen Handelsbeschrän-
kungen unterwerfen, wenn sie nur ihre Existenz nebst dem Fortschritt
der Entwickelung nicht aufgiebt.

Die Grundsätze, auf welche das Völkerrecht bestehen muß, sind
allein diese:

I. Jede völlige Isolirung eines Staates von dem Verkehr mit
anderen Nationen schließt vom Genuß des Völkerrechts aus.
II. Kein Staat kann, ohne eine Feindseligkeit zu begehen, dem
1 Schriften in v. Ompteda, Lit. §. 277. v. Kamptz, §. 252. Klüber, dr.
des g.
§. 69. S. auch Zachariä 40 Bücher. IV, 21.
Erſtes Buch. §. 32.
3. Recht auf gegenſeitigen Verkehr. 1

32. Soll ein dem höchſten Ziel des Völkerrechts (§. 2.) ent-
ſprechender Verband unter Nationen beſtehen, ſo müſſen ſie ſich
auch einem gegenſeitigen Verkehr zum Austauſch ihrer geiſtigen und
materiellen Mittel öffnen, deren die menſchliche Natur zu ihrer Ent-
faltung bedarf. Das Princip einer Freiheit des Verkehrs iſt jedoch
kein unbedingtes. Die nächſte Grenze ſetzt ihm die Gerechtigkeit,
welche auf Gleichheit und richtiger Ausgleichung des Ungleicharti-
gen beruht, mithin auch keinen Staat verpflichtet, einen Verkehr
mit anderen zu führen, wobei er nur im Nachtheil und letztere al-
lein im Vortheil ſein würden; eine fernere Grenze auch die Selbſt-
erhaltung jedes Staates, welche nicht zugeben kann, ſich durch Ge-
ſtattung eines unbedingten Verkehrs in Abhängigkeit von anderen
Staaten zu ſetzen oder ſchädliche Einwirkungen von ihnen in ſich
aufzunehmen.

Welche Vorſichts-, Abwehr-, Ausgleichungs- oder Beförde-
rungsmaaßregeln nun in der einen oder anderen Beziehung zu er-
greifen, fällt allein der inneren Politik jedes Staates anheim. Ihr
ſteht es zu, ſchädliche Arten des Verkehrs und Handels in ihrem
Gebiet ganz zu verbieten, den Fremdenverkehr durch Paßvorſchrif-
ten und polizeiliche Anſtalten zu controliren, fremde Artikel der Aus-
gleichung halber mit Schutzzöllen zu belegen, die Stapelplätze und
Wege des Verkehrs zu beſtimmen, durch Handelsverträge, Errich-
tung von Freihäfen und ähnlichen Anordnungen den Verkehr zu be-
fördern, hierbei auch einzelne Nationen vor anderen zu begünſtigen,
ja ſelbſt Monopole zu ertheilen, wenn dergleichen noch in irgend
einer Hinſicht wahrhaften Vortheil gewähren könnten; endlich kann
eine Nation ſich freiwillig durch Vertrag gewiſſen Handelsbeſchrän-
kungen unterwerfen, wenn ſie nur ihre Exiſtenz nebſt dem Fortſchritt
der Entwickelung nicht aufgiebt.

Die Grundſätze, auf welche das Völkerrecht beſtehen muß, ſind
allein dieſe:

I. Jede völlige Iſolirung eines Staates von dem Verkehr mit
anderen Nationen ſchließt vom Genuß des Völkerrechts aus.
II. Kein Staat kann, ohne eine Feindſeligkeit zu begehen, dem
1 Schriften in v. Ompteda, Lit. §. 277. v. Kamptz, §. 252. Klüber, dr.
des g.
§. 69. S. auch Zachariä 40 Bücher. IV, 21.
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[56/0080] Erſtes Buch. §. 32. 3. Recht auf gegenſeitigen Verkehr. 1 32. Soll ein dem höchſten Ziel des Völkerrechts (§. 2.) ent- ſprechender Verband unter Nationen beſtehen, ſo müſſen ſie ſich auch einem gegenſeitigen Verkehr zum Austauſch ihrer geiſtigen und materiellen Mittel öffnen, deren die menſchliche Natur zu ihrer Ent- faltung bedarf. Das Princip einer Freiheit des Verkehrs iſt jedoch kein unbedingtes. Die nächſte Grenze ſetzt ihm die Gerechtigkeit, welche auf Gleichheit und richtiger Ausgleichung des Ungleicharti- gen beruht, mithin auch keinen Staat verpflichtet, einen Verkehr mit anderen zu führen, wobei er nur im Nachtheil und letztere al- lein im Vortheil ſein würden; eine fernere Grenze auch die Selbſt- erhaltung jedes Staates, welche nicht zugeben kann, ſich durch Ge- ſtattung eines unbedingten Verkehrs in Abhängigkeit von anderen Staaten zu ſetzen oder ſchädliche Einwirkungen von ihnen in ſich aufzunehmen. Welche Vorſichts-, Abwehr-, Ausgleichungs- oder Beförde- rungsmaaßregeln nun in der einen oder anderen Beziehung zu er- greifen, fällt allein der inneren Politik jedes Staates anheim. Ihr ſteht es zu, ſchädliche Arten des Verkehrs und Handels in ihrem Gebiet ganz zu verbieten, den Fremdenverkehr durch Paßvorſchrif- ten und polizeiliche Anſtalten zu controliren, fremde Artikel der Aus- gleichung halber mit Schutzzöllen zu belegen, die Stapelplätze und Wege des Verkehrs zu beſtimmen, durch Handelsverträge, Errich- tung von Freihäfen und ähnlichen Anordnungen den Verkehr zu be- fördern, hierbei auch einzelne Nationen vor anderen zu begünſtigen, ja ſelbſt Monopole zu ertheilen, wenn dergleichen noch in irgend einer Hinſicht wahrhaften Vortheil gewähren könnten; endlich kann eine Nation ſich freiwillig durch Vertrag gewiſſen Handelsbeſchrän- kungen unterwerfen, wenn ſie nur ihre Exiſtenz nebſt dem Fortſchritt der Entwickelung nicht aufgiebt. Die Grundſätze, auf welche das Völkerrecht beſtehen muß, ſind allein dieſe: I. Jede völlige Iſolirung eines Staates von dem Verkehr mit anderen Nationen ſchließt vom Genuß des Völkerrechts aus. II. Kein Staat kann, ohne eine Feindſeligkeit zu begehen, dem 1 Schriften in v. Ompteda, Lit. §. 277. v. Kamptz, §. 252. Klüber, dr. des g. §. 69. S. auch Zachariä 40 Bücher. IV, 21.

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Zitationshilfe: Heffter, August Wilhelm: Das Europäische Völkerrecht der Gegenwart. Berlin, 1844, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heffter_voelkerrecht_1844/80>, abgerufen am 26.04.2024.