Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827.

Bild:
<< vorherige Seite
Doch böse Zungen zischelten Zwiespalt,
Und es trennte sich feindlich
Das hohe, leuchtende Eh'paar.
Jetzt am Tage, in einsamer Pracht,
Ergeht sich dort oben der Sonnengott,
Ob seiner Herrlichkeit
Angebetet und vielbesungen
Von stolzen, glückgehärteten Menschen.
Aber des Nachts
Am Himmel wandelt Luna,
Die arme Mutter
Mit ihren verwaisten Sternenkindern,
Und sie glänzt in stummer Wehmuth,
Und liebende Mädchen und sanfte Dichter
Weihen ihr Thränen und Lieder.
Die weiche Luna! Weiblich gesinnt
Liebt sie noch immer den schönen Gemahl.
Gegen Abend, zitternd und bleich,
Lauscht sie hervor aus leichtem Gewölk,
Und schaut nach dem Scheidenden, schmerzlich,
Und möchte ihm ängstlich rufen: "Komm!
Komm! die Kinder verlangen nach Dir -- "
Aber der trotzige Sonnengott,
Doch böſe Zungen ziſchelten Zwieſpalt,
Und es trennte ſich feindlich
Das hohe, leuchtende Eh'paar.
Jetzt am Tage, in einſamer Pracht,
Ergeht ſich dort oben der Sonnengott,
Ob ſeiner Herrlichkeit
Angebetet und vielbeſungen
Von ſtolzen, glückgehärteten Menſchen.
Aber des Nachts
Am Himmel wandelt Luna,
Die arme Mutter
Mit ihren verwaiſten Sternenkindern,
Und ſie glänzt in ſtummer Wehmuth,
Und liebende Mädchen und ſanfte Dichter
Weihen ihr Thränen und Lieder.
Die weiche Luna! Weiblich geſinnt
Liebt ſie noch immer den ſchönen Gemahl.
Gegen Abend, zitternd und bleich,
Lauſcht ſie hervor aus leichtem Gewölk,
Und ſchaut nach dem Scheidenden, ſchmerzlich,
Und möchte ihm ängſtlich rufen: „Komm!
Komm! die Kinder verlangen nach Dir — “
Aber der trotzige Sonnengott,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <lg type="poem">
              <pb facs="#f0322" n="314"/>
              <lg n="3">
                <l>Doch bö&#x017F;e Zungen zi&#x017F;chelten Zwie&#x017F;palt,</l><lb/>
                <l>Und es trennte &#x017F;ich feindlich</l><lb/>
                <l>Das hohe, leuchtende Eh'paar.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="4">
                <l>Jetzt am Tage, in ein&#x017F;amer Pracht,</l><lb/>
                <l>Ergeht &#x017F;ich dort oben der Sonnengott,</l><lb/>
                <l>Ob &#x017F;einer Herrlichkeit</l><lb/>
                <l>Angebetet und vielbe&#x017F;ungen</l><lb/>
                <l>Von &#x017F;tolzen, glückgehärteten Men&#x017F;chen.</l><lb/>
                <l>Aber des Nachts</l><lb/>
                <l>Am Himmel wandelt Luna,</l><lb/>
                <l>Die arme Mutter</l><lb/>
                <l>Mit ihren verwai&#x017F;ten Sternenkindern,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;ie glänzt in &#x017F;tummer Wehmuth,</l><lb/>
                <l>Und liebende Mädchen und &#x017F;anfte Dichter</l><lb/>
                <l>Weihen ihr Thränen und Lieder.</l><lb/>
              </lg>
              <lg n="5">
                <l>Die weiche Luna! Weiblich ge&#x017F;innt</l><lb/>
                <l>Liebt &#x017F;ie noch immer den &#x017F;chönen Gemahl.</l><lb/>
                <l>Gegen Abend, zitternd und bleich,</l><lb/>
                <l>Lau&#x017F;cht &#x017F;ie hervor aus leichtem Gewölk,</l><lb/>
                <l>Und &#x017F;chaut nach dem Scheidenden, &#x017F;chmerzlich,</l><lb/>
                <l>Und möchte ihm äng&#x017F;tlich rufen: &#x201E;Komm!</l><lb/>
                <l>Komm! die Kinder verlangen nach Dir &#x2014; &#x201C;</l><lb/>
                <l>Aber der trotzige Sonnengott,</l><lb/>
              </lg>
            </lg>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[314/0322] Doch böſe Zungen ziſchelten Zwieſpalt, Und es trennte ſich feindlich Das hohe, leuchtende Eh'paar. Jetzt am Tage, in einſamer Pracht, Ergeht ſich dort oben der Sonnengott, Ob ſeiner Herrlichkeit Angebetet und vielbeſungen Von ſtolzen, glückgehärteten Menſchen. Aber des Nachts Am Himmel wandelt Luna, Die arme Mutter Mit ihren verwaiſten Sternenkindern, Und ſie glänzt in ſtummer Wehmuth, Und liebende Mädchen und ſanfte Dichter Weihen ihr Thränen und Lieder. Die weiche Luna! Weiblich geſinnt Liebt ſie noch immer den ſchönen Gemahl. Gegen Abend, zitternd und bleich, Lauſcht ſie hervor aus leichtem Gewölk, Und ſchaut nach dem Scheidenden, ſchmerzlich, Und möchte ihm ängſtlich rufen: „Komm! Komm! die Kinder verlangen nach Dir — “ Aber der trotzige Sonnengott,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/322
Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Buch der Lieder. Hamburg, 1827, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_lieder_1827/322>, abgerufen am 26.04.2024.