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Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826.

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kannte Blume vor die Brust stecke -- denn wirk¬
lich, die Blume erhielt diesen beneidenswerthen
Platz, was sie sich gewiß gestern auf ihrer einsamen
Höhe nicht träumen ließ. Der schweigsame Beglei¬
ter öffnete jetzt auf einmal den Mund, zählte die
Staubfäden der Blume und sagte ganz trocken: sie
gehört zur achten Classe.

Es ärgert mich jedesmal, wenn ich sehe, daß
man auch Gottes liebe Blumen, eben so wie uns,
in Casten getheilt hat, und nach ähnlichen Aeußer¬
lichkeiten, nemlich nach Staubfaden-Verschiedenheit.
Soll doch mal eine Eintheilung stattfinden, so folge
man dem Vorschlage Theophrast's, der die Blumen
mehr nach dem Geiste, nämlich nach ihrem Geruch,
eintheilen wollte. Was mich betrifft, so habe ich in
der Naturwissenschaft mein eignes System, und
demnach theile ich Alles ein: in dasjenige, was
man essen kann, und in dasjenige, was man nicht
essen kann.

Jedoch, der ältern Dame war die geheimni߬
volle Natur der Blumen nichts weniger als ver¬

kannte Blume vor die Bruſt ſtecke — denn wirk¬
lich, die Blume erhielt dieſen beneidenswerthen
Platz, was ſie ſich gewiß geſtern auf ihrer einſamen
Hoͤhe nicht traͤumen ließ. Der ſchweigſame Beglei¬
ter oͤffnete jetzt auf einmal den Mund, zaͤhlte die
Staubfaͤden der Blume und ſagte ganz trocken: ſie
gehoͤrt zur achten Claſſe.

Es aͤrgert mich jedesmal, wenn ich ſehe, daß
man auch Gottes liebe Blumen, eben ſo wie uns,
in Caſten getheilt hat, und nach aͤhnlichen Aeußer¬
lichkeiten, nemlich nach Staubfaden-Verſchiedenheit.
Soll doch mal eine Eintheilung ſtattfinden, ſo folge
man dem Vorſchlage Theophraſt's, der die Blumen
mehr nach dem Geiſte, naͤmlich nach ihrem Geruch,
eintheilen wollte. Was mich betrifft, ſo habe ich in
der Naturwiſſenſchaft mein eignes Syſtem, und
demnach theile ich Alles ein: in dasjenige, was
man eſſen kann, und in dasjenige, was man nicht
eſſen kann.

Jedoch, der aͤltern Dame war die geheimni߬
volle Natur der Blumen nichts weniger als ver¬

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[238/0250] kannte Blume vor die Bruſt ſtecke — denn wirk¬ lich, die Blume erhielt dieſen beneidenswerthen Platz, was ſie ſich gewiß geſtern auf ihrer einſamen Hoͤhe nicht traͤumen ließ. Der ſchweigſame Beglei¬ ter oͤffnete jetzt auf einmal den Mund, zaͤhlte die Staubfaͤden der Blume und ſagte ganz trocken: ſie gehoͤrt zur achten Claſſe. Es aͤrgert mich jedesmal, wenn ich ſehe, daß man auch Gottes liebe Blumen, eben ſo wie uns, in Caſten getheilt hat, und nach aͤhnlichen Aeußer¬ lichkeiten, nemlich nach Staubfaden-Verſchiedenheit. Soll doch mal eine Eintheilung ſtattfinden, ſo folge man dem Vorſchlage Theophraſt's, der die Blumen mehr nach dem Geiſte, naͤmlich nach ihrem Geruch, eintheilen wollte. Was mich betrifft, ſo habe ich in der Naturwiſſenſchaft mein eignes Syſtem, und demnach theile ich Alles ein: in dasjenige, was man eſſen kann, und in dasjenige, was man nicht eſſen kann. Jedoch, der aͤltern Dame war die geheimni߬ volle Natur der Blumen nichts weniger als ver¬

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Zitationshilfe: Heine, Heinrich: Reisebilder. Bd. 1. Hamburg, 1826, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/heine_reisebilder01_1826/250>, abgerufen am 10.05.2024.