Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

in eigner Qualität), diese Lust oder jener Schmerz, das-
jenige abgiebt, was wir als unser eignes Ich ansehen.

§. 29.

Noch Ein Schritt, und zwar ein sehr wichtiger, ist
nöthig, bevor wir unseren Betrachtungen eine neue
Richtung, und zugleich einen neuen Schwung geben
können.

Die mehrern Objecte (wie sich versteht nicht reale
Gegenstände, sondern blosse Vorgestellte, als solche),
welche zusammengenommen leisten sollen, was sie ein-
zeln gar nicht vermögen würden, nämlich der bodenlosen
Ichheit den Boden bereiten: taugen offenbar dazu, als
blosse Summe oder als Aggregat, um gar nichts besser,
wie die einzelnen für sich. Modificiren sollen sie einan-
der gegenseitig; so viel wissen wir schon. Aber wie sie
sich modificiren sollen, das lässt sich aus den nämlichen
Gründen noch bestimmter angeben.

Denken wir uns ein Subject, begriffen im Vorstellen
mehrerer Objecte, und hierin noch ohne Selbstbewusst-
seyn befangen: so sehn wir sogleich, dass dasselbe, um
zum Ich zu gelangen, nothwendig aus jener Befangenheit
in gewissem Grade herauskommen müsse. Da möchte
nun Mancher ihm zurufen: hilf Dir selber! Brich die
vorigen Gedanken ab, und komme zu Dir! Aber noch
ohne Rücksicht auf die hier geforderte Freyheit der Re-
flexion, welche gar nicht dazu passt, dass das Ich als ein
Gegebenes gefunden wird, hiesse ein solcher Zuruf so-
viel, als: tritt aus dem Denkbaren hinüber in das
Undenkbare
, -- nämlich in jenen widersprechenden
Begriff des Ich; welcher, um von dem Widerspruche ge-
heilt zu werden, nicht einer Losreissung, sondern einer
Anknüpfung an die Objecte bedurfte.

Von den Objecten aus, und durch sie selbst gelei-
tet, müssen wir zu Uns kommen; denn ohne sie ist das
Selbstbewusstseyn eine Ungereimtheit; und eine Sache der
Freyheit ist es ganz und gar nicht. Wer sich findet in
Schmerz und Elend, wer sich seine Schwäche gesteht,

in eigner Qualität), diese Lust oder jener Schmerz, das-
jenige abgiebt, was wir als unser eignes Ich ansehen.

§. 29.

Noch Ein Schritt, und zwar ein sehr wichtiger, ist
nöthig, bevor wir unseren Betrachtungen eine neue
Richtung, und zugleich einen neuen Schwung geben
können.

Die mehrern Objecte (wie sich versteht nicht reale
Gegenstände, sondern bloſse Vorgestellte, als solche),
welche zusammengenommen leisten sollen, was sie ein-
zeln gar nicht vermögen würden, nämlich der bodenlosen
Ichheit den Boden bereiten: taugen offenbar dazu, als
bloſse Summe oder als Aggregat, um gar nichts besser,
wie die einzelnen für sich. Modificiren sollen sie einan-
der gegenseitig; so viel wissen wir schon. Aber wie sie
sich modificiren sollen, das läſst sich aus den nämlichen
Gründen noch bestimmter angeben.

Denken wir uns ein Subject, begriffen im Vorstellen
mehrerer Objecte, und hierin noch ohne Selbstbewuſst-
seyn befangen: so sehn wir sogleich, daſs dasselbe, um
zum Ich zu gelangen, nothwendig aus jener Befangenheit
in gewissem Grade herauskommen müsse. Da möchte
nun Mancher ihm zurufen: hilf Dir selber! Brich die
vorigen Gedanken ab, und komme zu Dir! Aber noch
ohne Rücksicht auf die hier geforderte Freyheit der Re-
flexion, welche gar nicht dazu paſst, daſs das Ich als ein
Gegebenes gefunden wird, hieſse ein solcher Zuruf so-
viel, als: tritt aus dem Denkbaren hinüber in das
Undenkbare
, — nämlich in jenen widersprechenden
Begriff des Ich; welcher, um von dem Widerspruche ge-
heilt zu werden, nicht einer Losreiſsung, sondern einer
Anknüpfung an die Objecte bedurfte.

Von den Objecten aus, und durch sie selbst gelei-
tet, müssen wir zu Uns kommen; denn ohne sie ist das
Selbstbewuſstseyn eine Ungereimtheit; und eine Sache der
Freyheit ist es ganz und gar nicht. Wer sich findet in
Schmerz und Elend, wer sich seine Schwäche gesteht,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0126" n="106"/>
in eigner Qualität), diese Lust oder jener Schmerz, das-<lb/>
jenige abgiebt, was wir als unser eignes Ich ansehen.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 29.</head><lb/>
              <p>Noch Ein Schritt, und zwar ein sehr wichtiger, ist<lb/>
nöthig, bevor wir unseren Betrachtungen eine neue<lb/>
Richtung, und zugleich einen neuen Schwung geben<lb/>
können.</p><lb/>
              <p>Die mehrern Objecte (wie sich versteht nicht <hi rendition="#g">reale</hi><lb/>
Gegenstände, sondern blo&#x017F;se Vorgestellte, als solche),<lb/>
welche zusammengenommen leisten sollen, was sie ein-<lb/>
zeln gar nicht vermögen würden, nämlich der bodenlosen<lb/>
Ichheit den Boden bereiten: taugen offenbar dazu, als<lb/>
blo&#x017F;se Summe oder als Aggregat, um gar nichts besser,<lb/>
wie die einzelnen für sich. Modificiren sollen sie einan-<lb/>
der gegenseitig; so viel wissen wir schon. Aber <hi rendition="#g">wie</hi> sie<lb/>
sich modificiren sollen, das lä&#x017F;st sich aus den nämlichen<lb/>
Gründen noch bestimmter angeben.</p><lb/>
              <p>Denken wir uns ein Subject, begriffen im Vorstellen<lb/>
mehrerer Objecte, und hierin noch ohne Selbstbewu&#x017F;st-<lb/>
seyn befangen: so sehn wir sogleich, da&#x017F;s dasselbe, um<lb/>
zum Ich zu gelangen, nothwendig aus jener Befangenheit<lb/>
in gewissem Grade herauskommen müsse. Da möchte<lb/>
nun Mancher ihm zurufen: hilf Dir selber! Brich die<lb/>
vorigen Gedanken ab, und komme zu Dir! Aber noch<lb/>
ohne Rücksicht auf die hier geforderte Freyheit der Re-<lb/>
flexion, welche gar nicht dazu pa&#x017F;st, da&#x017F;s das Ich als ein<lb/>
Gegebenes <hi rendition="#g">gefunden</hi> wird, hie&#x017F;se ein solcher Zuruf so-<lb/>
viel, als: <hi rendition="#g">tritt aus dem Denkbaren hinüber in das<lb/>
Undenkbare</hi>, &#x2014; nämlich in jenen widersprechenden<lb/>
Begriff des Ich; welcher, um von dem Widerspruche ge-<lb/>
heilt zu werden, nicht einer Losrei&#x017F;sung, sondern einer<lb/>
Anknüpfung an die Objecte bedurfte.</p><lb/>
              <p>Von den Objecten aus, und durch sie selbst gelei-<lb/>
tet, müssen wir zu Uns kommen; denn <hi rendition="#g">ohne</hi> sie ist das<lb/>
Selbstbewu&#x017F;stseyn eine Ungereimtheit; und eine Sache der<lb/>
Freyheit ist es ganz und gar nicht. Wer sich findet in<lb/>
Schmerz und Elend, wer sich seine Schwäche gesteht,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[106/0126] in eigner Qualität), diese Lust oder jener Schmerz, das- jenige abgiebt, was wir als unser eignes Ich ansehen. §. 29. Noch Ein Schritt, und zwar ein sehr wichtiger, ist nöthig, bevor wir unseren Betrachtungen eine neue Richtung, und zugleich einen neuen Schwung geben können. Die mehrern Objecte (wie sich versteht nicht reale Gegenstände, sondern bloſse Vorgestellte, als solche), welche zusammengenommen leisten sollen, was sie ein- zeln gar nicht vermögen würden, nämlich der bodenlosen Ichheit den Boden bereiten: taugen offenbar dazu, als bloſse Summe oder als Aggregat, um gar nichts besser, wie die einzelnen für sich. Modificiren sollen sie einan- der gegenseitig; so viel wissen wir schon. Aber wie sie sich modificiren sollen, das läſst sich aus den nämlichen Gründen noch bestimmter angeben. Denken wir uns ein Subject, begriffen im Vorstellen mehrerer Objecte, und hierin noch ohne Selbstbewuſst- seyn befangen: so sehn wir sogleich, daſs dasselbe, um zum Ich zu gelangen, nothwendig aus jener Befangenheit in gewissem Grade herauskommen müsse. Da möchte nun Mancher ihm zurufen: hilf Dir selber! Brich die vorigen Gedanken ab, und komme zu Dir! Aber noch ohne Rücksicht auf die hier geforderte Freyheit der Re- flexion, welche gar nicht dazu paſst, daſs das Ich als ein Gegebenes gefunden wird, hieſse ein solcher Zuruf so- viel, als: tritt aus dem Denkbaren hinüber in das Undenkbare, — nämlich in jenen widersprechenden Begriff des Ich; welcher, um von dem Widerspruche ge- heilt zu werden, nicht einer Losreiſsung, sondern einer Anknüpfung an die Objecte bedurfte. Von den Objecten aus, und durch sie selbst gelei- tet, müssen wir zu Uns kommen; denn ohne sie ist das Selbstbewuſstseyn eine Ungereimtheit; und eine Sache der Freyheit ist es ganz und gar nicht. Wer sich findet in Schmerz und Elend, wer sich seine Schwäche gesteht,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/126
Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/126>, abgerufen am 19.03.2024.