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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824.

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niss der angedeuteten metaphysischen Lehrsätze bey-
tragen.

§. 33.

Die anzustellende Vergleichung geht theils auf die
Materie der Probleme, theils auf die Form der Unter-
suchung.

Der Materie nach sind die beyden ersten Hauptpro-
bleme der allgemeinen Metaphysik (Hauptp. d. Metaph.
§§. 3. 4.) dem hier abgehandelten darin ähnlich, dass sie
Principien sind; in der gleich Anfangs bestimmten
zwiefachen Eigenschaft eines Princips, welches erstlich an
sich gewiss, zweytens eine abgeleitete Gewissheit zu erge-
ben geschickt seyn muss.

Erstlich, es ist gewiss, dass wir uns Dinge mit
verschiedenen, und veränderlichen Merkmalen

vorzustellen genöthigt sind; denn dergleichen sind uns
in der äussern Erfahrung eben so wohl, als das Selbstbe-
wusstseyn innerlich, gegeben.

Zweytens, die Begriffe solcher Dinge sind Anfangs-
puncte eines fortlaufenden Räsonnements gerade so, wie
seinerseits das Ich; denn sie enthalten Widersprüche,
welche aufgelös't werden müssen; und deren Auflösung
zu neuen Lehrsätzen führt.

Am auffallendsten ist der Widerspruch im Begriffe
des veränderlichen Dinges; der nämliche, über welchen
die Eleaten, und nachmals Platon vielfältig geklagt, den
aber die Neuern, theils ganz sorglos, theils im Besitz ein-
gebildeter Aufschlüsse vernachlässigt haben. -- Da der
Begriff des Seyn nur in Beziehung auf ein Was, auf
eine Qualität, Sinn und Bedeutung hat: so muss vor al-
lem die Qualität des Seyenden bestimmt können ange-
geben, oder falls sie unbekannt wäre, doch wenigstens als
eine bestimmte vorausgesetzt werden. Ist nun im Ge-
gentheil die Qualität, welcher das Seyn zugeschrieben
wird, veränderlich, so entsteht der Begriff von anderem
und anderem Seyenden; eben so vielfach, als die Angabe
dessen wechselt, was da sey. Wird aber endlich Sol-

niſs der angedeuteten metaphysischen Lehrsätze bey-
tragen.

§. 33.

Die anzustellende Vergleichung geht theils auf die
Materie der Probleme, theils auf die Form der Unter-
suchung.

Der Materie nach sind die beyden ersten Hauptpro-
bleme der allgemeinen Metaphysik (Hauptp. d. Metaph.
§§. 3. 4.) dem hier abgehandelten darin ähnlich, daſs sie
Principien sind; in der gleich Anfangs bestimmten
zwiefachen Eigenschaft eines Princips, welches erstlich an
sich gewiſs, zweytens eine abgeleitete Gewiſsheit zu erge-
ben geschickt seyn muſs.

Erstlich, es ist gewiſs, daſs wir uns Dinge mit
verschiedenen, und veränderlichen Merkmalen

vorzustellen genöthigt sind; denn dergleichen sind uns
in der äuſsern Erfahrung eben so wohl, als das Selbstbe-
wuſstseyn innerlich, gegeben.

Zweytens, die Begriffe solcher Dinge sind Anfangs-
puncte eines fortlaufenden Räsonnements gerade so, wie
seinerseits das Ich; denn sie enthalten Widersprüche,
welche aufgelös’t werden müssen; und deren Auflösung
zu neuen Lehrsätzen führt.

Am auffallendsten ist der Widerspruch im Begriffe
des veränderlichen Dinges; der nämliche, über welchen
die Eleaten, und nachmals Platon vielfältig geklagt, den
aber die Neuern, theils ganz sorglos, theils im Besitz ein-
gebildeter Aufschlüsse vernachlässigt haben. — Da der
Begriff des Seyn nur in Beziehung auf ein Was, auf
eine Qualität, Sinn und Bedeutung hat: so muſs vor al-
lem die Qualität des Seyenden bestimmt können ange-
geben, oder falls sie unbekannt wäre, doch wenigstens als
eine bestimmte vorausgesetzt werden. Ist nun im Ge-
gentheil die Qualität, welcher das Seyn zugeschrieben
wird, veränderlich, so entsteht der Begriff von anderem
und anderem Seyenden; eben so vielfach, als die Angabe
dessen wechselt, was da sey. Wird aber endlich Sol-

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[120/0140] niſs der angedeuteten metaphysischen Lehrsätze bey- tragen. §. 33. Die anzustellende Vergleichung geht theils auf die Materie der Probleme, theils auf die Form der Unter- suchung. Der Materie nach sind die beyden ersten Hauptpro- bleme der allgemeinen Metaphysik (Hauptp. d. Metaph. §§. 3. 4.) dem hier abgehandelten darin ähnlich, daſs sie Principien sind; in der gleich Anfangs bestimmten zwiefachen Eigenschaft eines Princips, welches erstlich an sich gewiſs, zweytens eine abgeleitete Gewiſsheit zu erge- ben geschickt seyn muſs. Erstlich, es ist gewiſs, daſs wir uns Dinge mit verschiedenen, und veränderlichen Merkmalen vorzustellen genöthigt sind; denn dergleichen sind uns in der äuſsern Erfahrung eben so wohl, als das Selbstbe- wuſstseyn innerlich, gegeben. Zweytens, die Begriffe solcher Dinge sind Anfangs- puncte eines fortlaufenden Räsonnements gerade so, wie seinerseits das Ich; denn sie enthalten Widersprüche, welche aufgelös’t werden müssen; und deren Auflösung zu neuen Lehrsätzen führt. Am auffallendsten ist der Widerspruch im Begriffe des veränderlichen Dinges; der nämliche, über welchen die Eleaten, und nachmals Platon vielfältig geklagt, den aber die Neuern, theils ganz sorglos, theils im Besitz ein- gebildeter Aufschlüsse vernachlässigt haben. — Da der Begriff des Seyn nur in Beziehung auf ein Was, auf eine Qualität, Sinn und Bedeutung hat: so muſs vor al- lem die Qualität des Seyenden bestimmt können ange- geben, oder falls sie unbekannt wäre, doch wenigstens als eine bestimmte vorausgesetzt werden. Ist nun im Ge- gentheil die Qualität, welcher das Seyn zugeschrieben wird, veränderlich, so entsteht der Begriff von anderem und anderem Seyenden; eben so vielfach, als die Angabe dessen wechselt, was da sey. Wird aber endlich Sol-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 1. Königsberg, 1824, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie01_1824/140>, abgerufen am 26.04.2024.