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Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825.

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tet, gar bald zu einer Person erheben werde; aber frey-
lich noch nicht zu einer ersten Person, auch nicht zu
einer zweyten, und sogar nicht eher zu einer dritten Per-
son im strengeren Sinne, als bis in diese Person auf
irgend eine Weise ein Selbst hineingedacht wird; das
wir nun näher zu untersuchen, und von einem Ich noch
zu unterscheiden haben.

§. 134.

Es giebt nicht bloss ein Ich selbst, sondern auch
ein Du selbst; ja auch ein Er selbst und Es selbst.
Das Wasser bahnt sich selbst seinen Weg, -- die Blu-
men, die Saamenkapseln öffnen sich selbst, -- der bren-
nende Körper zerstört sich selbst: -- was bedeutet in
allen diesen Fällen das Selbst?

Offenbar giebt es hier zwey zusammenhängende Ge-
dankenreihen, die einerley Vorstellung aufregen. Das
Wasser fliesst in einem vertieften Wege fort; die Ver-
tiefung muss durch irgend eine Kraft entstanden seyn;
diese Kraft nun gehört dem nämlichen Wasser, welches
in dem ausgehöhlten Bette fliesst. Daher die Reciproci-
tät in jenem Satze: das Wasser selbst bahnt sich sei-
nen Weg. -- Allgemein: Es werde vorgestellt eine Com-
plexion a A a; von a laufe eine Gedankenreihe a, b, c,
fort; dadurch werde eine zweyte Reihe c, b, a hervorge-
rufen: so muss, wegen der Gleichartigkeit des a mit a,
nach dem bekannten Mechanismus der Vorstellungen mit
a die ganze Complexion a A a im Bewusstseyn steigen;
ja die Bewegung würde im Cirkel unablässig fortlaufen,
würden nicht andre Vorstellungen dadurch gespannt; und
darunter gar leicht auch solche, die fähig sind, diese
ganze Vorstellungsmasse zu appercipiren, und ihre freye
Bewegung zu hemmen, ohne sie ganz zu unterdrücken.
(§. 126. 127.)

Eine solche dritte Vorstellungsmasse, welche das
Zusammenfallen jener beyden Reihen in einem identi-
schen Puncte, appercipirt, ist gewiss dann vorhanden,
wann das Wort Selbst, der Ausdruck eines allge-

tet, gar bald zu einer Person erheben werde; aber frey-
lich noch nicht zu einer ersten Person, auch nicht zu
einer zweyten, und sogar nicht eher zu einer dritten Per-
son im strengeren Sinne, als bis in diese Person auf
irgend eine Weise ein Selbst hineingedacht wird; das
wir nun näher zu untersuchen, und von einem Ich noch
zu unterscheiden haben.

§. 134.

Es giebt nicht bloſs ein Ich selbst, sondern auch
ein Du selbst; ja auch ein Er selbst und Es selbst.
Das Wasser bahnt sich selbst seinen Weg, — die Blu-
men, die Saamenkapseln öffnen sich selbst, — der bren-
nende Körper zerstört sich selbst: — was bedeutet in
allen diesen Fällen das Selbst?

Offenbar giebt es hier zwey zusammenhängende Ge-
dankenreihen, die einerley Vorstellung aufregen. Das
Wasser flieſst in einem vertieften Wege fort; die Ver-
tiefung muſs durch irgend eine Kraft entstanden seyn;
diese Kraft nun gehört dem nämlichen Wasser, welches
in dem ausgehöhlten Bette flieſst. Daher die Reciproci-
tät in jenem Satze: das Wasser selbst bahnt sich sei-
nen Weg. — Allgemein: Es werde vorgestellt eine Com-
plexion a A α; von a laufe eine Gedankenreihe a, b, c,
fort; dadurch werde eine zweyte Reihe c, β, ά hervorge-
rufen: so muſs, wegen der Gleichartigkeit des ά mit α,
nach dem bekannten Mechanismus der Vorstellungen mit
α die ganze Complexion a A α im Bewuſstseyn steigen;
ja die Bewegung würde im Cirkel unablässig fortlaufen,
würden nicht andre Vorstellungen dadurch gespannt; und
darunter gar leicht auch solche, die fähig sind, diese
ganze Vorstellungsmasse zu appercipiren, und ihre freye
Bewegung zu hemmen, ohne sie ganz zu unterdrücken.
(§. 126. 127.)

Eine solche dritte Vorstellungsmasse, welche das
Zusammenfallen jener beyden Reihen in einem identi-
schen Puncte, appercipirt, ist gewiſs dann vorhanden,
wann das Wort Selbst, der Ausdruck eines allge-

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[267/0302] tet, gar bald zu einer Person erheben werde; aber frey- lich noch nicht zu einer ersten Person, auch nicht zu einer zweyten, und sogar nicht eher zu einer dritten Per- son im strengeren Sinne, als bis in diese Person auf irgend eine Weise ein Selbst hineingedacht wird; das wir nun näher zu untersuchen, und von einem Ich noch zu unterscheiden haben. §. 134. Es giebt nicht bloſs ein Ich selbst, sondern auch ein Du selbst; ja auch ein Er selbst und Es selbst. Das Wasser bahnt sich selbst seinen Weg, — die Blu- men, die Saamenkapseln öffnen sich selbst, — der bren- nende Körper zerstört sich selbst: — was bedeutet in allen diesen Fällen das Selbst? Offenbar giebt es hier zwey zusammenhängende Ge- dankenreihen, die einerley Vorstellung aufregen. Das Wasser flieſst in einem vertieften Wege fort; die Ver- tiefung muſs durch irgend eine Kraft entstanden seyn; diese Kraft nun gehört dem nämlichen Wasser, welches in dem ausgehöhlten Bette flieſst. Daher die Reciproci- tät in jenem Satze: das Wasser selbst bahnt sich sei- nen Weg. — Allgemein: Es werde vorgestellt eine Com- plexion a A α; von a laufe eine Gedankenreihe a, b, c, fort; dadurch werde eine zweyte Reihe c, β, ά hervorge- rufen: so muſs, wegen der Gleichartigkeit des ά mit α, nach dem bekannten Mechanismus der Vorstellungen mit α die ganze Complexion a A α im Bewuſstseyn steigen; ja die Bewegung würde im Cirkel unablässig fortlaufen, würden nicht andre Vorstellungen dadurch gespannt; und darunter gar leicht auch solche, die fähig sind, diese ganze Vorstellungsmasse zu appercipiren, und ihre freye Bewegung zu hemmen, ohne sie ganz zu unterdrücken. (§. 126. 127.) Eine solche dritte Vorstellungsmasse, welche das Zusammenfallen jener beyden Reihen in einem identi- schen Puncte, appercipirt, ist gewiſs dann vorhanden, wann das Wort Selbst, der Ausdruck eines allge-

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Psychologie als Wissenschaft. Bd. 2. Königsberg, 1825, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie02_1825/302>, abgerufen am 19.03.2024.