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Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834.

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sind. Vorstellungen auf der Schwelle des Bewußt-
seyns können mit andern nicht in Verbindung treten, denn
sie sind ganz und gar in ein Streben wider bestimmte an-
dere verwandelt und dadurch gleichsam isolirt. Aber im Be-
wußtseyn verknüpfen sich die Vorstellungen auf zweierley
Weise: erstlich compliciren sich die nicht-entgegengesetz-
ten (wie Ton und Farbe), so weit sie ungehemmt zusammen-
treffen; zweitens verschmelzen die entgegengesetzten, so
weit sie im Zusammentreffen weder von zufalliger fremder, noch
von der unvermeidlichen gegenseitigen Hemmung leiden. Die
Complicationen können vollkommen seyn, die Verschmel-
zungen sind ihrer Natur nach allemal unvollkommen.

Anmerkung. Von solchen Complerionen, die wenig-
stens theilweise und beynahe vollkommen sind, haben wir
merkwürdige Beyspiele an den Vorstellungen der Dinge
mitmehrern Merkmalen, und der Worte, als Zei-
chen der Gedanken
. Die letztern, Gedanken und Worte,
sind in der Muttersprache so eng verbunden, daß es den
Schein gewinnt, als ob man vermittelst der Worte dächte.
Über beyde Beispiele tiefer unten ein Mehreres. Unter den
Verschmelzungen sind besonders merkwürdig theils die, wel-
che ein ästhetisches Verhältniß in sich fassen (welches,
psychologisch genommen, zugleich mit der Verschmelzung er-
zeugt wird), theils die, welche Reihenfolgen bilden, wo-
rin die Reihen formen ihren Ursprung haben.

23. Was von mehrern Vorstellungen complicirt oder
verschmolzen ist, das ergiebt eine Totalkraft, und wirkt des-
halb nach ganz andern statischen und mechanischen Gesetzen,
als wornach die einzelnen Vorstellungen sich würden gerich-
tet haben. Auch die Schwellen des Bewußtseyns ändern
sich darnach, so daß, wegen einer Verbindung, auch eine
äußerst schwache Vorstellung im Bewußtseyn bleiben und da-
rin wirken kann.


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sind. Vorstellungen auf der Schwelle des Bewußt-
seyns können mit andern nicht in Verbindung treten, denn
sie sind ganz und gar in ein Streben wider bestimmte an-
dere verwandelt und dadurch gleichsam isolirt. Aber im Be-
wußtseyn verknüpfen sich die Vorstellungen auf zweierley
Weise: erstlich compliciren sich die nicht-entgegengesetz-
ten (wie Ton und Farbe), so weit sie ungehemmt zusammen-
treffen; zweitens verschmelzen die entgegengesetzten, so
weit sie im Zusammentreffen weder von zufalliger fremder, noch
von der unvermeidlichen gegenseitigen Hemmung leiden. Die
Complicationen können vollkommen seyn, die Verschmel-
zungen sind ihrer Natur nach allemal unvollkommen.

Anmerkung. Von solchen Complerionen, die wenig-
stens theilweise und beynahe vollkommen sind, haben wir
merkwürdige Beyspiele an den Vorstellungen der Dinge
mitmehrern Merkmalen, und der Worte, als Zei-
chen der Gedanken
. Die letztern, Gedanken und Worte,
sind in der Muttersprache so eng verbunden, daß es den
Schein gewinnt, als ob man vermittelst der Worte dächte.
Über beyde Beispiele tiefer unten ein Mehreres. Unter den
Verschmelzungen sind besonders merkwürdig theils die, wel-
che ein ästhetisches Verhältniß in sich fassen (welches,
psychologisch genommen, zugleich mit der Verschmelzung er-
zeugt wird), theils die, welche Reihenfolgen bilden, wo-
rin die Reihen formen ihren Ursprung haben.

23. Was von mehrern Vorstellungen complicirt oder
verschmolzen ist, das ergiebt eine Totalkraft, und wirkt des-
halb nach ganz andern statischen und mechanischen Gesetzen,
als wornach die einzelnen Vorstellungen sich würden gerich-
tet haben. Auch die Schwellen des Bewußtseyns ändern
sich darnach, so daß, wegen einer Verbindung, auch eine
äußerst schwache Vorstellung im Bewußtseyn bleiben und da-
rin wirken kann.


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[17/0025] ten sind. Vorstellungen auf der Schwelle des Bewußt- seyns können mit andern nicht in Verbindung treten, denn sie sind ganz und gar in ein Streben wider bestimmte an- dere verwandelt und dadurch gleichsam isolirt. Aber im Be- wußtseyn verknüpfen sich die Vorstellungen auf zweierley Weise: erstlich compliciren sich die nicht-entgegengesetz- ten (wie Ton und Farbe), so weit sie ungehemmt zusammen- treffen; zweitens verschmelzen die entgegengesetzten, so weit sie im Zusammentreffen weder von zufalliger fremder, noch von der unvermeidlichen gegenseitigen Hemmung leiden. Die Complicationen können vollkommen seyn, die Verschmel- zungen sind ihrer Natur nach allemal unvollkommen. Anmerkung. Von solchen Complerionen, die wenig- stens theilweise und beynahe vollkommen sind, haben wir merkwürdige Beyspiele an den Vorstellungen der Dinge mitmehrern Merkmalen, und der Worte, als Zei- chen der Gedanken. Die letztern, Gedanken und Worte, sind in der Muttersprache so eng verbunden, daß es den Schein gewinnt, als ob man vermittelst der Worte dächte. Über beyde Beispiele tiefer unten ein Mehreres. Unter den Verschmelzungen sind besonders merkwürdig theils die, wel- che ein ästhetisches Verhältniß in sich fassen (welches, psychologisch genommen, zugleich mit der Verschmelzung er- zeugt wird), theils die, welche Reihenfolgen bilden, wo- rin die Reihen formen ihren Ursprung haben. 23. Was von mehrern Vorstellungen complicirt oder verschmolzen ist, das ergiebt eine Totalkraft, und wirkt des- halb nach ganz andern statischen und mechanischen Gesetzen, als wornach die einzelnen Vorstellungen sich würden gerich- tet haben. Auch die Schwellen des Bewußtseyns ändern sich darnach, so daß, wegen einer Verbindung, auch eine äußerst schwache Vorstellung im Bewußtseyn bleiben und da- rin wirken kann.

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Zitationshilfe: Herbart, Johann Friedrich: Lehrbuch zur Psychologie. 2. Aufl. Königsberg, 1834, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herbart_psychologie_1834/25>, abgerufen am 26.04.2024.