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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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Laut ertönte zugleich das Jammern und Jauch-
zen der Krieger,
Schlagender und Erschlagner; es strömte von
Blute die Erde.

Da sich Homers Iliade einem großen
Theil nach mit diesem Gemetzel beschäf-
tigt: so wird das Menschengemüth des
Dichters hier vorzüglich fühlbar. Seine
Todte läßt er nie als Thiere fallen; er be-
zeichnet, so viel er kann, in einigen Ver-
sen als Menschenfreund ihr trauriges
Schicksal. Dieser wird nie mehr zu sei-
nen geliebten Eltern, zu seinen Brüdern,
seiner Gattinn, seinen Kindern wiederkeh-
ren; jener hat Reichthum, Wohlstand,
eine glückliche Ruhe verlassen, die er nie
mehr genießen wird. Einen andern
zeichnet er als Künstler, als einen geschick-
ten, schönen, Gottbegabten Mann; seine
Kunst ist dahin, seine Schönheit verwelket,

Laut ertoͤnte zugleich das Jammern und Jauch-
zen der Krieger,
Schlagender und Erſchlagner; es ſtroͤmte von
Blute die Erde.

Da ſich Homers Iliade einem großen
Theil nach mit dieſem Gemetzel beſchaͤf-
tigt: ſo wird das Menſchengemuͤth des
Dichters hier vorzuͤglich fuͤhlbar. Seine
Todte laͤßt er nie als Thiere fallen; er be-
zeichnet, ſo viel er kann, in einigen Ver-
ſen als Menſchenfreund ihr trauriges
Schickſal. Dieſer wird nie mehr zu ſei-
nen geliebten Eltern, zu ſeinen Bruͤdern,
ſeiner Gattinn, ſeinen Kindern wiederkeh-
ren; jener hat Reichthum, Wohlſtand,
eine gluͤckliche Ruhe verlaſſen, die er nie
mehr genießen wird. Einen andern
zeichnet er als Kuͤnſtler, als einen geſchick-
ten, ſchoͤnen, Gottbegabten Mann; ſeine
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[122/0131] Laut ertoͤnte zugleich das Jammern und Jauch- zen der Krieger, Schlagender und Erſchlagner; es ſtroͤmte von Blute die Erde. Da ſich Homers Iliade einem großen Theil nach mit dieſem Gemetzel beſchaͤf- tigt: ſo wird das Menſchengemuͤth des Dichters hier vorzuͤglich fuͤhlbar. Seine Todte laͤßt er nie als Thiere fallen; er be- zeichnet, ſo viel er kann, in einigen Ver- ſen als Menſchenfreund ihr trauriges Schickſal. Dieſer wird nie mehr zu ſei- nen geliebten Eltern, zu ſeinen Bruͤdern, ſeiner Gattinn, ſeinen Kindern wiederkeh- ren; jener hat Reichthum, Wohlſtand, eine gluͤckliche Ruhe verlaſſen, die er nie mehr genießen wird. Einen andern zeichnet er als Kuͤnſtler, als einen geſchick- ten, ſchoͤnen, Gottbegabten Mann; ſeine Kunſt iſt dahin, ſeine Schoͤnheit verwelket,

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/131>, abgerufen am 27.04.2024.