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Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794.

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Trotz ihr Verderben worden; sein königli-
ches Herz machte sich keinen Vorwurf, ob
Er vielleicht an ihrem Untergange Schuld
sey, noch suchte er Mittel dagegen; den
großherzigen Achill allein kümmert die Sa-
che des Ganzen.

Als solcher erscheint er sofort in seinen
Reden, unbefangen, wie es die Großher-
zigkeit ist, und gerade. Da der weiseste
Seher sich nicht erkühnt zu sprechen, weil
er sich vor dem Unwillen des Mächtigsten,
dessen Gemüthsart ihm bekannt ist, fürchtet,
nimmt ihn Achill für das gemeine Beste in
Schutz; worauf denn der Uebermuth des
Königs zuerst auf den Seher, sogleich nach
einer sehr billigen Rede des Achilles auf
diesen herfällt. Und da Achill nicht ge-
schaffen war, sich vor der Versammlung
oder sonst schmähen, beleidigen, das Seine
sich rauben zu lassen, am wenigsten aber

F 2

Trotz ihr Verderben worden; ſein koͤnigli-
ches Herz machte ſich keinen Vorwurf, ob
Er vielleicht an ihrem Untergange Schuld
ſey, noch ſuchte er Mittel dagegen; den
großherzigen Achill allein kuͤmmert die Sa-
che des Ganzen.

Als ſolcher erſcheint er ſofort in ſeinen
Reden, unbefangen, wie es die Großher-
zigkeit iſt, und gerade. Da der weiſeſte
Seher ſich nicht erkuͤhnt zu ſprechen, weil
er ſich vor dem Unwillen des Maͤchtigſten,
deſſen Gemuͤthsart ihm bekannt iſt, fuͤrchtet,
nimmt ihn Achill fuͤr das gemeine Beſte in
Schutz; worauf denn der Uebermuth des
Koͤnigs zuerſt auf den Seher, ſogleich nach
einer ſehr billigen Rede des Achilles auf
dieſen herfaͤllt. Und da Achill nicht ge-
ſchaffen war, ſich vor der Verſammlung
oder ſonſt ſchmaͤhen, beleidigen, das Seine
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F 2
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[83/0092] Trotz ihr Verderben worden; ſein koͤnigli- ches Herz machte ſich keinen Vorwurf, ob Er vielleicht an ihrem Untergange Schuld ſey, noch ſuchte er Mittel dagegen; den großherzigen Achill allein kuͤmmert die Sa- che des Ganzen. Als ſolcher erſcheint er ſofort in ſeinen Reden, unbefangen, wie es die Großher- zigkeit iſt, und gerade. Da der weiſeſte Seher ſich nicht erkuͤhnt zu ſprechen, weil er ſich vor dem Unwillen des Maͤchtigſten, deſſen Gemuͤthsart ihm bekannt iſt, fuͤrchtet, nimmt ihn Achill fuͤr das gemeine Beſte in Schutz; worauf denn der Uebermuth des Koͤnigs zuerſt auf den Seher, ſogleich nach einer ſehr billigen Rede des Achilles auf dieſen herfaͤllt. Und da Achill nicht ge- ſchaffen war, ſich vor der Verſammlung oder ſonſt ſchmaͤhen, beleidigen, das Seine ſich rauben zu laſſen, am wenigſten aber F 2

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Zitationshilfe: Herder, Johann Gottfried von: Briefe zu Beförderung der Humanität. Bd. 3. Riga, 1794, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_humanitaet03_1794/92>, abgerufen am 26.04.2024.