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[Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774.

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zu Boden und er strebts nicht an! Oder wenn
in dieser Ausbildung eigner Nationalneigungen
zu eigner Nationalglückseligkeit der Abstand
zwischen Volk und Volk
schon zu weit gedie-
hen ist: siehe, wie der Aegypter den Hirten,
den Landstreicher hasset! wie er den leichtsin-
nigen Griechen verachtet! So jede zwo Na-
tionen, deren Neigungen und Kreise der Glück-
seligkeit sich stoßen -- man nennts Vorur-
theil! Pöbeley!
eingeschränkten Nationalism!
Das Vorurtheil ist gut, zu seiner Zeit: denn
es macht glücklich. Es drängt Völker zu
ihrem Mittelpunkte zusammen, macht sie fester
auf ihrem Stamme, blühender in ihrer Art,
brünstiger und also auch glückseliger in ihren
Neigungen und Zwecken. Die unwissendste,
vorurtheilendste Nation ist in solchem Betracht
oft die erste: das Zeitalter fremder Wunsch-
wanderungen, und ausländischer Hoffnungs-
fahrten ist schon Krankheit, Blähung, un-
gesunde Fülle, Ahndung des Todes!

III. Und der allgemeine, philosophische, men-
schenfreundliche Ton unsres Jahrhunderts

gönnet, jeder entfernten Nation, jedem älte-
sten Zeitalter der Welt, an Tugend und Glück-
seligkeit
so gern "unser eigen Jdeal?" ist

so



zu Boden und er ſtrebts nicht an! Oder wenn
in dieſer Ausbildung eigner Nationalneigungen
zu eigner Nationalgluͤckſeligkeit der Abſtand
zwiſchen Volk und Volk
ſchon zu weit gedie-
hen iſt: ſiehe, wie der Aegypter den Hirten,
den Landſtreicher haſſet! wie er den leichtſin-
nigen Griechen verachtet! So jede zwo Na-
tionen, deren Neigungen und Kreiſe der Gluͤck-
ſeligkeit ſich ſtoßen — man nennts Vorur-
theil! Poͤbeley!
eingeſchraͤnkten Nationaliſm!
Das Vorurtheil iſt gut, zu ſeiner Zeit: denn
es macht gluͤcklich. Es draͤngt Voͤlker zu
ihrem Mittelpunkte zuſammen, macht ſie feſter
auf ihrem Stamme, bluͤhender in ihrer Art,
bruͤnſtiger und alſo auch gluͤckſeliger in ihren
Neigungen und Zwecken. Die unwiſſendſte,
vorurtheilendſte Nation iſt in ſolchem Betracht
oft die erſte: das Zeitalter fremder Wunſch-
wanderungen, und auslaͤndiſcher Hoffnungs-
fahrten iſt ſchon Krankheit, Blaͤhung, un-
geſunde Fuͤlle, Ahndung des Todes!

III. Und der allgemeine, philoſophiſche, men-
ſchenfreundliche Ton unſres Jahrhunderts

goͤnnet, jeder entfernten Nation, jedem aͤlte-
ſten Zeitalter der Welt, an Tugend und Gluͤck-
ſeligkeit
ſo gern „unſer eigen Jdeal?„ iſt

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[58/0062] zu Boden und er ſtrebts nicht an! Oder wenn in dieſer Ausbildung eigner Nationalneigungen zu eigner Nationalgluͤckſeligkeit der Abſtand zwiſchen Volk und Volk ſchon zu weit gedie- hen iſt: ſiehe, wie der Aegypter den Hirten, den Landſtreicher haſſet! wie er den leichtſin- nigen Griechen verachtet! So jede zwo Na- tionen, deren Neigungen und Kreiſe der Gluͤck- ſeligkeit ſich ſtoßen — man nennts Vorur- theil! Poͤbeley! eingeſchraͤnkten Nationaliſm! Das Vorurtheil iſt gut, zu ſeiner Zeit: denn es macht gluͤcklich. Es draͤngt Voͤlker zu ihrem Mittelpunkte zuſammen, macht ſie feſter auf ihrem Stamme, bluͤhender in ihrer Art, bruͤnſtiger und alſo auch gluͤckſeliger in ihren Neigungen und Zwecken. Die unwiſſendſte, vorurtheilendſte Nation iſt in ſolchem Betracht oft die erſte: das Zeitalter fremder Wunſch- wanderungen, und auslaͤndiſcher Hoffnungs- fahrten iſt ſchon Krankheit, Blaͤhung, un- geſunde Fuͤlle, Ahndung des Todes! III. Und der allgemeine, philoſophiſche, men- ſchenfreundliche Ton unſres Jahrhunderts goͤnnet, jeder entfernten Nation, jedem aͤlte- ſten Zeitalter der Welt, an Tugend und Gluͤck- ſeligkeit ſo gern „unſer eigen Jdeal?„ iſt ſo

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Zitationshilfe: [Herder, Johann Gottfried von]: Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. [Riga], 1774, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/herder_philosophie_1774/62>, abgerufen am 26.04.2024.