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Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878.

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schmutzigen Roth. Die grüne Farbe des Streifens verwandelt sich also
lediglich infolge der Entfernung der rothen Blätter in ihre, allerdings sehr
verunreinigte Gegenfarbe (vergl. §. 34).

Zur Erklärung solcher Fälle benützt Helmholtz die "falschen Ur-
theile", indem er sagt, der Streifen werde gar nicht roth, sondern nach
wie vor grün empfunden, aber im Gegensatze zu dem ungewöhnlich
satten Grün der Umgebung roth vorgestellt. Im Contrast zu einem so
intensiven Grün halte man das durch Ermüdung sehr abgeschwächte Grün
des Streifens nicht blos für nicht grün, sondern sogar für röthliches Grau
Durch diese "psychologische" Erklärung kann also Roth in Grün und über-
haupt jede Farbe in ihre Gegenfarbe verkehrt werden.

Aber ebenso, wie ich früher für die schwarzweißen Empfindungen
die Haltlosigkeit derartiger Erklärungen nachgewiesen habe, läßt sie sich
auch für die farbigen darthun. Die Versuche über Contrast und Induction,
die ich für Weiß und Schwarz beschrieben habe, lassen sich, wie schon er-
wähnt wurde, auch mit je zwei Gegenfarben anstellen, wenn man mit mög-
lichst neutral gestimmten Sehorgane arbeitet oder die Umstimmung des-
selben durch die eben herrschende Beleuchtung mit einrechnet.

Sehr schlagend sprechen meiner Meinung nach die Erfah-
rungen an Farbenblinden gegen die Young'sche Theorie,
obwohl man gerade in ihnen eine Stütze der Theorie gefunden
zu haben glaubte. Was man jetzt einen Rothblinden nennt,
ist vielmehr ein Roth-Grünblinder, d. h. es fehlt ihm die
rothgrüne Sehsubstanz. Dem entsprechend sieht er farblos, was
Andern in einer der beiden Grundfarben Roth oder Grün er-
scheint; in allen Roth oder Grün enthaltenden Mischfarben aber
sieht er nur das Gelb oder Blau. In seinem Sonnenspectrum
liegen nur zwei Partialspectren, das schwarzweiße und das gelb-
blaue. Die Stelle des Grün erscheint ihm farblos und theilt sein
Spectrum in eine gelbe und eine blaue Hälfte. Reines Gelb und
reines Blau nebst Schwarz und Weiß genügen also, um alle ihm
vorkommenden Farben daraus zu mischen.

Ob es solche absolut Roth-Grünblinde gibt, weiß ich nicht;
schon wenn die Menge der rothgrünen Substanz abnorm gering
ist, werden alle ihr zugehörigen Empfindungen unter die Schwelle
kommen können, und die wesentlichsten Erscheinungen der
sogenannten Rothblindheit auftreten.

Die Widersprüche, in die man sich, wie die neue Literatur
über diesen Gegenstand zur Genüge zeigt, immer wieder ver-
wickelt, so oft man die Farbenblindheit aus der Young'schen
Theorie erklären will, lösen sich, soviel ich bis jetzt sehe, leicht

schmutzigen Roth. Die grüne Farbe des Streifens verwandelt sich also
lediglich infolge der Entfernung der rothen Blätter in ihre, allerdings sehr
verunreinigte Gegenfarbe (vergl. §. 34).

Zur Erklärung solcher Fälle benützt Helmholtz die „falschen Ur-
theile“, indem er sagt, der Streifen werde gar nicht roth, sondern nach
wie vor grün empfunden, aber im Gegensatze zu dem ungewöhnlich
satten Grün der Umgebung roth vorgestellt. Im Contrast zu einem so
intensiven Grün halte man das durch Ermüdung sehr abgeschwächte Grün
des Streifens nicht blos für nicht grün, sondern sogar für röthliches Grau
Durch diese „psychologische“ Erklärung kann also Roth in Grün und über-
haupt jede Farbe in ihre Gegenfarbe verkehrt werden.

Aber ebenso, wie ich früher für die schwarzweißen Empfindungen
die Haltlosigkeit derartiger Erklärungen nachgewiesen habe, läßt sie sich
auch für die farbigen darthun. Die Versuche über Contrast und Induction,
die ich für Weiß und Schwarz beschrieben habe, lassen sich, wie schon er-
wähnt wurde, auch mit je zwei Gegenfarben anstellen, wenn man mit mög-
lichst neutral gestimmten Sehorgane arbeitet oder die Umstimmung des-
selben durch die eben herrschende Beleuchtung mit einrechnet.

Sehr schlagend sprechen meiner Meinung nach die Erfah-
rungen an Farbenblinden gegen die Young’sche Theorie,
obwohl man gerade in ihnen eine Stütze der Theorie gefunden
zu haben glaubte. Was man jetzt einen Rothblinden nennt,
ist vielmehr ein Roth-Grünblinder, d. h. es fehlt ihm die
rothgrüne Sehsubstanz. Dem entsprechend sieht er farblos, was
Andern in einer der beiden Grundfarben Roth oder Grün er-
scheint; in allen Roth oder Grün enthaltenden Mischfarben aber
sieht er nur das Gelb oder Blau. In seinem Sonnenspectrum
liegen nur zwei Partialspectren, das schwarzweiße und das gelb-
blaue. Die Stelle des Grün erscheint ihm farblos und theilt sein
Spectrum in eine gelbe und eine blaue Hälfte. Reines Gelb und
reines Blau nebst Schwarz und Weiß genügen also, um alle ihm
vorkommenden Farben daraus zu mischen.

Ob es solche absolut Roth-Grünblinde gibt, weiß ich nicht;
schon wenn die Menge der rothgrünen Substanz abnorm gering
ist, werden alle ihr zugehörigen Empfindungen unter die Schwelle
kommen können, und die wesentlichsten Erscheinungen der
sogenannten Rothblindheit auftreten.

Die Widersprüche, in die man sich, wie die neue Literatur
über diesen Gegenstand zur Genüge zeigt, immer wieder ver-
wickelt, so oft man die Farbenblindheit aus der Young’schen
Theorie erklären will, lösen sich, soviel ich bis jetzt sehe, leicht

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[137/0145] schmutzigen Roth. Die grüne Farbe des Streifens verwandelt sich also lediglich infolge der Entfernung der rothen Blätter in ihre, allerdings sehr verunreinigte Gegenfarbe (vergl. §. 34). Zur Erklärung solcher Fälle benützt Helmholtz die „falschen Ur- theile“, indem er sagt, der Streifen werde gar nicht roth, sondern nach wie vor grün empfunden, aber im Gegensatze zu dem ungewöhnlich satten Grün der Umgebung roth vorgestellt. Im Contrast zu einem so intensiven Grün halte man das durch Ermüdung sehr abgeschwächte Grün des Streifens nicht blos für nicht grün, sondern sogar für röthliches Grau Durch diese „psychologische“ Erklärung kann also Roth in Grün und über- haupt jede Farbe in ihre Gegenfarbe verkehrt werden. Aber ebenso, wie ich früher für die schwarzweißen Empfindungen die Haltlosigkeit derartiger Erklärungen nachgewiesen habe, läßt sie sich auch für die farbigen darthun. Die Versuche über Contrast und Induction, die ich für Weiß und Schwarz beschrieben habe, lassen sich, wie schon er- wähnt wurde, auch mit je zwei Gegenfarben anstellen, wenn man mit mög- lichst neutral gestimmten Sehorgane arbeitet oder die Umstimmung des- selben durch die eben herrschende Beleuchtung mit einrechnet. Sehr schlagend sprechen meiner Meinung nach die Erfah- rungen an Farbenblinden gegen die Young’sche Theorie, obwohl man gerade in ihnen eine Stütze der Theorie gefunden zu haben glaubte. Was man jetzt einen Rothblinden nennt, ist vielmehr ein Roth-Grünblinder, d. h. es fehlt ihm die rothgrüne Sehsubstanz. Dem entsprechend sieht er farblos, was Andern in einer der beiden Grundfarben Roth oder Grün er- scheint; in allen Roth oder Grün enthaltenden Mischfarben aber sieht er nur das Gelb oder Blau. In seinem Sonnenspectrum liegen nur zwei Partialspectren, das schwarzweiße und das gelb- blaue. Die Stelle des Grün erscheint ihm farblos und theilt sein Spectrum in eine gelbe und eine blaue Hälfte. Reines Gelb und reines Blau nebst Schwarz und Weiß genügen also, um alle ihm vorkommenden Farben daraus zu mischen. Ob es solche absolut Roth-Grünblinde gibt, weiß ich nicht; schon wenn die Menge der rothgrünen Substanz abnorm gering ist, werden alle ihr zugehörigen Empfindungen unter die Schwelle kommen können, und die wesentlichsten Erscheinungen der sogenannten Rothblindheit auftreten. Die Widersprüche, in die man sich, wie die neue Literatur über diesen Gegenstand zur Genüge zeigt, immer wieder ver- wickelt, so oft man die Farbenblindheit aus der Young’schen Theorie erklären will, lösen sich, soviel ich bis jetzt sehe, leicht

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Zitationshilfe: Hering, Ewald: Zur Lehre vom Lichtsinne. Zweiter, unveränderter Abdruck. Wien, 1878, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hering_lichtsinn_1878/145>, abgerufen am 26.04.2024.