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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Man hätte glauben sollen, das Gewißen
hätte beym guten Pfarrer wegen seiner Er-
klärung der Wort': und für, diese Reihe
mitgesungen; allein ich versichr' auf Ehre,
das Gewißen gab seine Stimme nicht dazu.
-- Beynahe möcht' ich das Gewißen auf ein
Haar kennen, wenn es mitsingt. -- Es
hält selten Melodie, singt lahm und so, als
dürft' es nicht. --

Schriebe meine Mutter dies Buch, sie
hätte von diesem Liede keinen Buchstab aus-
gelassen; indessen will ich einigen meiner Le-
fer diesen Gefallen thun. --

Die ganze Gemeine, o Gott! wie in-
brünstig sang sie diese Zeilen:

Lieber heute noch als morgen,
denn ich werd' einst auferstehn!
ich verzeih' es gern der Welt,
daß sie alles hier behält,
und bescheide meinen Erben
einen Gott! -- der wird nicht sterben!

Vorzüglich fiel mir ein alter Mann bey die-
ser Stell' auf, der ohnfehlbar nicht mehr
Träger wegen seiner sehr hohen Jahre seyn
konnte, und sich in einem etwas finstern Kir-
chenwinkel aufgestützt hatte. -- Ich hätte
mich nicht enthalten können, diesem aufge-

stütz-

Man haͤtte glauben ſollen, das Gewißen
haͤtte beym guten Pfarrer wegen ſeiner Er-
klaͤrung der Wort’: und fuͤr, dieſe Reihe
mitgeſungen; allein ich verſichr’ auf Ehre,
das Gewißen gab ſeine Stimme nicht dazu.
— Beynahe moͤcht’ ich das Gewißen auf ein
Haar kennen, wenn es mitſingt. — Es
haͤlt ſelten Melodie, ſingt lahm und ſo, als
duͤrft’ es nicht. —

Schriebe meine Mutter dies Buch, ſie
haͤtte von dieſem Liede keinen Buchſtab aus-
gelaſſen; indeſſen will ich einigen meiner Le-
fer dieſen Gefallen thun. —

Die ganze Gemeine, o Gott! wie in-
bruͤnſtig ſang ſie dieſe Zeilen:

Lieber heute noch als morgen,
denn ich werd’ einſt auferſtehn!
ich verzeih’ es gern der Welt,
daß ſie alles hier behält,
und beſcheide meinen Erben
einen Gott! — der wird nicht ſterben!

Vorzuͤglich fiel mir ein alter Mann bey die-
ſer Stell’ auf, der ohnfehlbar nicht mehr
Traͤger wegen ſeiner ſehr hohen Jahre ſeyn
konnte, und ſich in einem etwas finſtern Kir-
chenwinkel aufgeſtuͤtzt hatte. — Ich haͤtte
mich nicht enthalten koͤnnen, dieſem aufge-

ſtuͤtz-
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[198/0206] Man haͤtte glauben ſollen, das Gewißen haͤtte beym guten Pfarrer wegen ſeiner Er- klaͤrung der Wort’: und fuͤr, dieſe Reihe mitgeſungen; allein ich verſichr’ auf Ehre, das Gewißen gab ſeine Stimme nicht dazu. — Beynahe moͤcht’ ich das Gewißen auf ein Haar kennen, wenn es mitſingt. — Es haͤlt ſelten Melodie, ſingt lahm und ſo, als duͤrft’ es nicht. — Schriebe meine Mutter dies Buch, ſie haͤtte von dieſem Liede keinen Buchſtab aus- gelaſſen; indeſſen will ich einigen meiner Le- fer dieſen Gefallen thun. — Die ganze Gemeine, o Gott! wie in- bruͤnſtig ſang ſie dieſe Zeilen: Lieber heute noch als morgen, denn ich werd’ einſt auferſtehn! ich verzeih’ es gern der Welt, daß ſie alles hier behält, und beſcheide meinen Erben einen Gott! — der wird nicht ſterben! Vorzuͤglich fiel mir ein alter Mann bey die- ſer Stell’ auf, der ohnfehlbar nicht mehr Traͤger wegen ſeiner ſehr hohen Jahre ſeyn konnte, und ſich in einem etwas finſtern Kir- chenwinkel aufgeſtuͤtzt hatte. — Ich haͤtte mich nicht enthalten koͤnnen, dieſem aufge- ſtuͤtz-

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/206>, abgerufen am 26.04.2024.