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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Minen vor, und sagte der Aufgestandenen
gerade zu unter die Augen, daß ein Herr
mit Soldaten da wäre, um sie zur Haft zu
ziehen.

Wie wußte dies Cathrine?

Und wie wußte der Deputatus, daß
die Pfarrin, die doch die Lindenkrankheit
hatte, Minchens wegen noch
tiefer in
Schwermuth gesunken? Sorget nicht für
den andern Morgen, ein jeder Tag wird für
das Seine sorgen, und es ist genug, daß ein jeg-
licher seine eigene Plage habe; findet auf den
Verdacht und das Mistrauen Anwendung, zu
dem die Rechtsgelehrten oft aus Amtspflicht
verbunden sind, obgleich sie den Grundsatz de-
bitiren: jeder ist gut, bis das Gegentheil erprobt
und W. R. J. erwiesen ist. Es ist kein mistraui-
scher Volk, als das rechtsgelehrte. -- Tau-
sendmal hab' ich gefunden, daß sich die Men-
schen überhaupt hiedurch geflissentlich ihr Le-
ben trüben, und sich vor dem Teufel und sei-
nen Engeln fürchten, wenn gleich keine da
sind. --

Ob Catharine die Gabe der Feinheit ge-
habt, weiß ich nicht; allein das weiß ich, daß
Mine nur einen Hauch nöthig hatte, um
o Gott! wieder -- zu sinken. Eine geknikte

Lilie

Minen vor, und ſagte der Aufgeſtandenen
gerade zu unter die Augen, daß ein Herr
mit Soldaten da waͤre, um ſie zur Haft zu
ziehen.

Wie wußte dies Cathrine?

Und wie wußte der Deputatus, daß
die Pfarrin, die doch die Lindenkrankheit
hatte, Minchens wegen noch
tiefer in
Schwermuth geſunken? Sorget nicht fuͤr
den andern Morgen, ein jeder Tag wird fuͤr
das Seine ſorgen, und es iſt genug, daß ein jeg-
licher ſeine eigene Plage habe; findet auf den
Verdacht und das Mistrauen Anwendung, zu
dem die Rechtsgelehrten oft aus Amtspflicht
verbunden ſind, obgleich ſie den Grundſatz de-
bitiren: jeder iſt gut, bis das Gegentheil erprobt
und W. R. J. erwieſen iſt. Es iſt kein mistraui-
ſcher Volk, als das rechtsgelehrte. — Tau-
ſendmal hab’ ich gefunden, daß ſich die Men-
ſchen uͤberhaupt hiedurch gefliſſentlich ihr Le-
ben truͤben, und ſich vor dem Teufel und ſei-
nen Engeln fuͤrchten, wenn gleich keine da
ſind. —

Ob Catharine die Gabe der Feinheit ge-
habt, weiß ich nicht; allein das weiß ich, daß
Mine nur einen Hauch noͤthig hatte, um
o Gott! wieder — zu ſinken. Eine geknikte

Lilie
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[482/0492] Minen vor, und ſagte der Aufgeſtandenen gerade zu unter die Augen, daß ein Herr mit Soldaten da waͤre, um ſie zur Haft zu ziehen. Wie wußte dies Cathrine? Und wie wußte der Deputatus, daß die Pfarrin, die doch die Lindenkrankheit hatte, Minchens wegen noch tiefer in Schwermuth geſunken? Sorget nicht fuͤr den andern Morgen, ein jeder Tag wird fuͤr das Seine ſorgen, und es iſt genug, daß ein jeg- licher ſeine eigene Plage habe; findet auf den Verdacht und das Mistrauen Anwendung, zu dem die Rechtsgelehrten oft aus Amtspflicht verbunden ſind, obgleich ſie den Grundſatz de- bitiren: jeder iſt gut, bis das Gegentheil erprobt und W. R. J. erwieſen iſt. Es iſt kein mistraui- ſcher Volk, als das rechtsgelehrte. — Tau- ſendmal hab’ ich gefunden, daß ſich die Men- ſchen uͤberhaupt hiedurch gefliſſentlich ihr Le- ben truͤben, und ſich vor dem Teufel und ſei- nen Engeln fuͤrchten, wenn gleich keine da ſind. — Ob Catharine die Gabe der Feinheit ge- habt, weiß ich nicht; allein das weiß ich, daß Mine nur einen Hauch noͤthig hatte, um o Gott! wieder — zu ſinken. Eine geknikte Lilie

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/492>, abgerufen am 26.04.2024.