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Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779.

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Gesellschaft im Freien waren, von seinem,
oder beßer, von seiner Schwester heiligen
Christ an, um sich dafür Eßen zu kaufen.
Der Judenknabe verbat es aus Religions-
eifer, und blieb lieber hungrig und durstig,
als daß er sich für dieses christliche Spielzeug
labte. Benjamin hatte sich bey dieser Ge-
legenheit die Schlittenfahrt so verekelt, daß
er nie ohne Herzensangst daran denken
konnte. Dieses Vergnügen hatte für ihn
keinen Werth mehr. Er hinkte zu Haus'
und dankte Gott, daß niemand drüber
lachte, als wie er dreymahl um den großen
Tisch hinken mußte. --

Obgleich Benjamin das Spielzeug bis
auf ein Stück, so der Junker Fritz behalten
hatte, zurückbrachte, indem er wegen des
übrigen, dreymal um den Tisch hinken müs-
sen; so ward doch diese Begebenheit so be-
kannt, daß Minchen darüber viel ausste-
hen, und die bittersten Thränen weinen
mußte. (Ich hab Ursache, aus der Er-
zählung des Herrn Candidaten zu ver-
muthen, daß der Herr Vater Minchen
selbst im Litterateneifer reichlich und täglich
beschämt haben wird.) Man zog Min-
chen unter ihres Gleichen mit dem Juden-

knaben

Geſellſchaft im Freien waren, von ſeinem,
oder beßer, von ſeiner Schweſter heiligen
Chriſt an, um ſich dafuͤr Eßen zu kaufen.
Der Judenknabe verbat es aus Religions-
eifer, und blieb lieber hungrig und durſtig,
als daß er ſich fuͤr dieſes chriſtliche Spielzeug
labte. Benjamin hatte ſich bey dieſer Ge-
legenheit die Schlittenfahrt ſo verekelt, daß
er nie ohne Herzensangſt daran denken
konnte. Dieſes Vergnuͤgen hatte fuͤr ihn
keinen Werth mehr. Er hinkte zu Hauſ’
und dankte Gott, daß niemand druͤber
lachte, als wie er dreymahl um den großen
Tiſch hinken mußte. —

Obgleich Benjamin das Spielzeug bis
auf ein Stuͤck, ſo der Junker Fritz behalten
hatte, zuruͤckbrachte, indem er wegen des
uͤbrigen, dreymal um den Tiſch hinken muͤſ-
ſen; ſo ward doch dieſe Begebenheit ſo be-
kannt, daß Minchen daruͤber viel ausſte-
hen, und die bitterſten Thraͤnen weinen
mußte. (Ich hab Urſache, aus der Er-
zaͤhlung des Herrn Candidaten zu ver-
muthen, daß der Herr Vater Minchen
ſelbſt im Litterateneifer reichlich und taͤglich
beſchaͤmt haben wird.) Man zog Min-
chen unter ihres Gleichen mit dem Juden-

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[45/0051] Geſellſchaft im Freien waren, von ſeinem, oder beßer, von ſeiner Schweſter heiligen Chriſt an, um ſich dafuͤr Eßen zu kaufen. Der Judenknabe verbat es aus Religions- eifer, und blieb lieber hungrig und durſtig, als daß er ſich fuͤr dieſes chriſtliche Spielzeug labte. Benjamin hatte ſich bey dieſer Ge- legenheit die Schlittenfahrt ſo verekelt, daß er nie ohne Herzensangſt daran denken konnte. Dieſes Vergnuͤgen hatte fuͤr ihn keinen Werth mehr. Er hinkte zu Hauſ’ und dankte Gott, daß niemand druͤber lachte, als wie er dreymahl um den großen Tiſch hinken mußte. — Obgleich Benjamin das Spielzeug bis auf ein Stuͤck, ſo der Junker Fritz behalten hatte, zuruͤckbrachte, indem er wegen des uͤbrigen, dreymal um den Tiſch hinken muͤſ- ſen; ſo ward doch dieſe Begebenheit ſo be- kannt, daß Minchen daruͤber viel ausſte- hen, und die bitterſten Thraͤnen weinen mußte. (Ich hab Urſache, aus der Er- zaͤhlung des Herrn Candidaten zu ver- muthen, daß der Herr Vater Minchen ſelbſt im Litterateneifer reichlich und taͤglich beſchaͤmt haben wird.) Man zog Min- chen unter ihres Gleichen mit dem Juden- knaben

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Zitationshilfe: Hippel, Theodor Gottlieb von: Lebensläufe nach Aufsteigender Linie. Bd. 2. Berlin, 1779, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hippel_lebenslaeufe02_1779/51>, abgerufen am 26.04.2024.