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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782.

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Dritter Abschnitt. Gärten

Dritter Abschnitt.
Gärten nach dem Charakter der Gegenden.
*)
I.
Angenehmer, muntrer, heitrer Garten.
1.

Die Natur hat den Landschaften nach den ewigen Gesetzen der Mannigfaltigkeit
und Schönheit, denen sie immer folgt, eine große Abwechselung von Cha-
rakteren mitgetheilt; und bey dieser Einrichtung scheint sie auf die Verschiedenheit des
Geschmacks und der Neigungen der Menschen, die diese Reviere bewohnen sollten,
geachtet zu haben. Dieser lieht stille Anmuth und ruhige Empfindung, jener Sce-
nen von einem blendenden und lebhaften Reiz; ein anderer ergötzt sich an dem Son-
derbaren, und verliert sich gern in abentheuerliche Romane und in fabelhafte Feener-
zählungen; ein andrer zieht die Einsamkeit und eine süße Schwermuth jeder geselligen
Freude vor, wandelt oft unter den Gräbern seiner Freunde, und betrachtet mit Sehn-
sucht den gestirnten Himmel in der Mitternacht; ein andrer eröffnet lieber seine Brust
den erhebenden Gefühlen, die Größe und Stärke einflößen, entzückt seinen Geist un-
ter heroischen Thaten, und schaut mit Vergnügen die Schrecken des Sturms auf dem
tobenden Meere. Alle diese verschiedenen Temperamente und Neigungen befriedigt
die Natur, selbst durch die verschiedenen Charaktere der Gegenden. Und wir können
unsern Geschmack auf eine eben so mannigfaltige und noch reichere Art in Gärten un-
terhalten, als in den verschiedenen Gattungen der Malerey und der Poesie. Daher
hat jeder Anleger selbst von der Natur das Recht, in der Wahl des besondern Cha-
rakters seines Gartens dem Triebe seines individuellen Geschmacks zu folgen.

Da das Angenehme, Muntre und Heitre nur durch die Grade unterschieden
ist,**) so verlieren sie sich in den Scenen der Natur, die diesen Charakter ausma-
chen, nicht selten so unvermerkt in einander, daß sich die Gränzlinien nicht mehr be-
zeichnen lassen. Lage, Verbindungen und tausend abwechselnde Zufälligkeiten bewir-
ken die Unterschiede oft so fein und schnell, machen sie unter einander so abstechend, so
hervorspringend und wieder so zurückweichend, daß die Kunst des Beobachters sich
vergebens bestrebt, alle Abänderungen unter einer bestimmten Ordnung aufzuzählen.

Indessen
*) [Spaltenumbruch] S. 1ster B. S. 229.
**) [Spaltenumbruch] S. 1ster B. S. 210.
Dritter Abſchnitt. Gaͤrten

Dritter Abſchnitt.
Gaͤrten nach dem Charakter der Gegenden.
*)
I.
Angenehmer, muntrer, heitrer Garten.
1.

Die Natur hat den Landſchaften nach den ewigen Geſetzen der Mannigfaltigkeit
und Schoͤnheit, denen ſie immer folgt, eine große Abwechſelung von Cha-
rakteren mitgetheilt; und bey dieſer Einrichtung ſcheint ſie auf die Verſchiedenheit des
Geſchmacks und der Neigungen der Menſchen, die dieſe Reviere bewohnen ſollten,
geachtet zu haben. Dieſer lieht ſtille Anmuth und ruhige Empfindung, jener Sce-
nen von einem blendenden und lebhaften Reiz; ein anderer ergoͤtzt ſich an dem Son-
derbaren, und verliert ſich gern in abentheuerliche Romane und in fabelhafte Feener-
zaͤhlungen; ein andrer zieht die Einſamkeit und eine ſuͤße Schwermuth jeder geſelligen
Freude vor, wandelt oft unter den Graͤbern ſeiner Freunde, und betrachtet mit Sehn-
ſucht den geſtirnten Himmel in der Mitternacht; ein andrer eroͤffnet lieber ſeine Bruſt
den erhebenden Gefuͤhlen, die Groͤße und Staͤrke einfloͤßen, entzuͤckt ſeinen Geiſt un-
ter heroiſchen Thaten, und ſchaut mit Vergnuͤgen die Schrecken des Sturms auf dem
tobenden Meere. Alle dieſe verſchiedenen Temperamente und Neigungen befriedigt
die Natur, ſelbſt durch die verſchiedenen Charaktere der Gegenden. Und wir koͤnnen
unſern Geſchmack auf eine eben ſo mannigfaltige und noch reichere Art in Gaͤrten un-
terhalten, als in den verſchiedenen Gattungen der Malerey und der Poeſie. Daher
hat jeder Anleger ſelbſt von der Natur das Recht, in der Wahl des beſondern Cha-
rakters ſeines Gartens dem Triebe ſeines individuellen Geſchmacks zu folgen.

Da das Angenehme, Muntre und Heitre nur durch die Grade unterſchieden
iſt,**) ſo verlieren ſie ſich in den Scenen der Natur, die dieſen Charakter ausma-
chen, nicht ſelten ſo unvermerkt in einander, daß ſich die Graͤnzlinien nicht mehr be-
zeichnen laſſen. Lage, Verbindungen und tauſend abwechſelnde Zufaͤlligkeiten bewir-
ken die Unterſchiede oft ſo fein und ſchnell, machen ſie unter einander ſo abſtechend, ſo
hervorſpringend und wieder ſo zuruͤckweichend, daß die Kunſt des Beobachters ſich
vergebens beſtrebt, alle Abaͤnderungen unter einer beſtimmten Ordnung aufzuzaͤhlen.

Indeſſen
*) [Spaltenumbruch] S. 1ſter B. S. 229.
**) [Spaltenumbruch] S. 1ſter B. S. 210.
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[38/0042] Dritter Abſchnitt. Gaͤrten Dritter Abſchnitt. Gaͤrten nach dem Charakter der Gegenden. *) I. Angenehmer, muntrer, heitrer Garten. 1. Die Natur hat den Landſchaften nach den ewigen Geſetzen der Mannigfaltigkeit und Schoͤnheit, denen ſie immer folgt, eine große Abwechſelung von Cha- rakteren mitgetheilt; und bey dieſer Einrichtung ſcheint ſie auf die Verſchiedenheit des Geſchmacks und der Neigungen der Menſchen, die dieſe Reviere bewohnen ſollten, geachtet zu haben. Dieſer lieht ſtille Anmuth und ruhige Empfindung, jener Sce- nen von einem blendenden und lebhaften Reiz; ein anderer ergoͤtzt ſich an dem Son- derbaren, und verliert ſich gern in abentheuerliche Romane und in fabelhafte Feener- zaͤhlungen; ein andrer zieht die Einſamkeit und eine ſuͤße Schwermuth jeder geſelligen Freude vor, wandelt oft unter den Graͤbern ſeiner Freunde, und betrachtet mit Sehn- ſucht den geſtirnten Himmel in der Mitternacht; ein andrer eroͤffnet lieber ſeine Bruſt den erhebenden Gefuͤhlen, die Groͤße und Staͤrke einfloͤßen, entzuͤckt ſeinen Geiſt un- ter heroiſchen Thaten, und ſchaut mit Vergnuͤgen die Schrecken des Sturms auf dem tobenden Meere. Alle dieſe verſchiedenen Temperamente und Neigungen befriedigt die Natur, ſelbſt durch die verſchiedenen Charaktere der Gegenden. Und wir koͤnnen unſern Geſchmack auf eine eben ſo mannigfaltige und noch reichere Art in Gaͤrten un- terhalten, als in den verſchiedenen Gattungen der Malerey und der Poeſie. Daher hat jeder Anleger ſelbſt von der Natur das Recht, in der Wahl des beſondern Cha- rakters ſeines Gartens dem Triebe ſeines individuellen Geſchmacks zu folgen. Da das Angenehme, Muntre und Heitre nur durch die Grade unterſchieden iſt, **) ſo verlieren ſie ſich in den Scenen der Natur, die dieſen Charakter ausma- chen, nicht ſelten ſo unvermerkt in einander, daß ſich die Graͤnzlinien nicht mehr be- zeichnen laſſen. Lage, Verbindungen und tauſend abwechſelnde Zufaͤlligkeiten bewir- ken die Unterſchiede oft ſo fein und ſchnell, machen ſie unter einander ſo abſtechend, ſo hervorſpringend und wieder ſo zuruͤckweichend, daß die Kunſt des Beobachters ſich vergebens beſtrebt, alle Abaͤnderungen unter einer beſtimmten Ordnung aufzuzaͤhlen. Indeſſen *) S. 1ſter B. S. 229. **) S. 1ſter B. S. 210.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 4. Leipzig, 1782, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst4_1782/42>, abgerufen am 26.04.2024.