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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Erster Anhang.


II.
Marienwerder.
*)

Der erste Blick aus dem Wohnhause, der offen, frey und groß ist, läßt gleich
eine Anlage von einem beträchtlichen Umfang erwarten. Zuerst breitet sich
vor dem Auge ein ansehnlicher Rasen von edler Form aus, mit verschiedenen Grup-
pen von Bäumen, die seinen Rand sehr malerisch bekränzen; zwischen ihnen öffnen
sich drey Aussichten, die schon die Ausdehnung des Ganzen ankündigen. Gerade
aus wird das Auge über den Rasen in die Ferne hin, zwischen einer langen Oeffnung
großer Gruppen und Gebüsche, geleitet, und zuletzt von einem Gegenstande be-
gränzt, worüber in diesem Prospect noch ein ungewisses Dunkel schwebt, einem
Schirmsitz auf einer Höhe. Zur Rechten hat man durch einige schöne Gruppen
wieder zwey malerische Durchsichten über eben so viele Brücken, die hier am Ende
des Rasens erscheinen; die erste Aussicht fällt bald auf die nähere Pflanzung, die
andere streicht über einen Theil des Wassers, über entfernte Rasen und verliert sich
zwischen den Hervorsprüngen und Einbuchten der großen Baumgruppen, die, von
hier betrachtet, eine zusammenhängende Waldmasse bilden.

Reizend ist dieser Vorplatz oder dieser Anfang des Parks, noch reizender in den
frühen Stunden des erwachenden Tages. Indem das aufglimmende Morgenlicht
sich zur Rechten erhebt, werfen die Gruppen nahe vor dem Auge ihre Schatten auf
den sich immer mehr erheiternden Rasen und brechen seinen Schimmer hin und wie-
der mit dem stillen Spiel einer lieblichen Dämmerung. Schöner hebt sich das
Wasser, mit dem Spiegel seiner grünen Ufer. Fernhin irret das Auge zwischen
stark beschatteten Stellen, die der Morgenstrahl nicht trifft, und zwischen erleuchte-
ten Flächen in die buschigte Dunkelheit der Gränze hin; aber es verweilt mit Ent-
zücken bey den lieblichen Malereyen des Lichts auf den Spitzen der Hayne und Ge-
büsche, die ihre Abwechselung von Grün in einem sanftern Reiz spielen lassen. In
der zweyten Oeffnung machen die Pflanzungen einige Vorsprünge, welche die
Durchsicht malerischer bilden. Die Heiterkeit des überglänzten Wassers wird von
dem jenseits grünenden Rasen erhöht, der frey vor dem Blick der Sonne liegt und
gleichsam in ihren Strahlen schwimmt; demnächst die Dunkelheit der sich zusam-
menziehenden Gruppen; sodann wieder Helligkeit; endlich die sanfte Finsterniß der
Pflanzungen im Hintergrunde, wo das Auge ruht -- alles dieß macht ein reizendes

Morgen-
*) Einige Stunden von Hannover.
Erſter Anhang.


II.
Marienwerder.
*)

Der erſte Blick aus dem Wohnhauſe, der offen, frey und groß iſt, laͤßt gleich
eine Anlage von einem betraͤchtlichen Umfang erwarten. Zuerſt breitet ſich
vor dem Auge ein anſehnlicher Raſen von edler Form aus, mit verſchiedenen Grup-
pen von Baͤumen, die ſeinen Rand ſehr maleriſch bekraͤnzen; zwiſchen ihnen oͤffnen
ſich drey Ausſichten, die ſchon die Ausdehnung des Ganzen ankuͤndigen. Gerade
aus wird das Auge uͤber den Raſen in die Ferne hin, zwiſchen einer langen Oeffnung
großer Gruppen und Gebuͤſche, geleitet, und zuletzt von einem Gegenſtande be-
graͤnzt, woruͤber in dieſem Proſpect noch ein ungewiſſes Dunkel ſchwebt, einem
Schirmſitz auf einer Hoͤhe. Zur Rechten hat man durch einige ſchoͤne Gruppen
wieder zwey maleriſche Durchſichten uͤber eben ſo viele Bruͤcken, die hier am Ende
des Raſens erſcheinen; die erſte Ausſicht faͤllt bald auf die naͤhere Pflanzung, die
andere ſtreicht uͤber einen Theil des Waſſers, uͤber entfernte Raſen und verliert ſich
zwiſchen den Hervorſpruͤngen und Einbuchten der großen Baumgruppen, die, von
hier betrachtet, eine zuſammenhaͤngende Waldmaſſe bilden.

Reizend iſt dieſer Vorplatz oder dieſer Anfang des Parks, noch reizender in den
fruͤhen Stunden des erwachenden Tages. Indem das aufglimmende Morgenlicht
ſich zur Rechten erhebt, werfen die Gruppen nahe vor dem Auge ihre Schatten auf
den ſich immer mehr erheiternden Raſen und brechen ſeinen Schimmer hin und wie-
der mit dem ſtillen Spiel einer lieblichen Daͤmmerung. Schoͤner hebt ſich das
Waſſer, mit dem Spiegel ſeiner gruͤnen Ufer. Fernhin irret das Auge zwiſchen
ſtark beſchatteten Stellen, die der Morgenſtrahl nicht trifft, und zwiſchen erleuchte-
ten Flaͤchen in die buſchigte Dunkelheit der Graͤnze hin; aber es verweilt mit Ent-
zuͤcken bey den lieblichen Malereyen des Lichts auf den Spitzen der Hayne und Ge-
buͤſche, die ihre Abwechſelung von Gruͤn in einem ſanftern Reiz ſpielen laſſen. In
der zweyten Oeffnung machen die Pflanzungen einige Vorſpruͤnge, welche die
Durchſicht maleriſcher bilden. Die Heiterkeit des uͤberglaͤnzten Waſſers wird von
dem jenſeits gruͤnenden Raſen erhoͤht, der frey vor dem Blick der Sonne liegt und
gleichſam in ihren Strahlen ſchwimmt; demnaͤchſt die Dunkelheit der ſich zuſam-
menziehenden Gruppen; ſodann wieder Helligkeit; endlich die ſanfte Finſterniß der
Pflanzungen im Hintergrunde, wo das Auge ruht — alles dieß macht ein reizendes

Morgen-
*) Einige Stunden von Hannover.
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[204/0212] Erſter Anhang. II. Marienwerder. *) Der erſte Blick aus dem Wohnhauſe, der offen, frey und groß iſt, laͤßt gleich eine Anlage von einem betraͤchtlichen Umfang erwarten. Zuerſt breitet ſich vor dem Auge ein anſehnlicher Raſen von edler Form aus, mit verſchiedenen Grup- pen von Baͤumen, die ſeinen Rand ſehr maleriſch bekraͤnzen; zwiſchen ihnen oͤffnen ſich drey Ausſichten, die ſchon die Ausdehnung des Ganzen ankuͤndigen. Gerade aus wird das Auge uͤber den Raſen in die Ferne hin, zwiſchen einer langen Oeffnung großer Gruppen und Gebuͤſche, geleitet, und zuletzt von einem Gegenſtande be- graͤnzt, woruͤber in dieſem Proſpect noch ein ungewiſſes Dunkel ſchwebt, einem Schirmſitz auf einer Hoͤhe. Zur Rechten hat man durch einige ſchoͤne Gruppen wieder zwey maleriſche Durchſichten uͤber eben ſo viele Bruͤcken, die hier am Ende des Raſens erſcheinen; die erſte Ausſicht faͤllt bald auf die naͤhere Pflanzung, die andere ſtreicht uͤber einen Theil des Waſſers, uͤber entfernte Raſen und verliert ſich zwiſchen den Hervorſpruͤngen und Einbuchten der großen Baumgruppen, die, von hier betrachtet, eine zuſammenhaͤngende Waldmaſſe bilden. Reizend iſt dieſer Vorplatz oder dieſer Anfang des Parks, noch reizender in den fruͤhen Stunden des erwachenden Tages. Indem das aufglimmende Morgenlicht ſich zur Rechten erhebt, werfen die Gruppen nahe vor dem Auge ihre Schatten auf den ſich immer mehr erheiternden Raſen und brechen ſeinen Schimmer hin und wie- der mit dem ſtillen Spiel einer lieblichen Daͤmmerung. Schoͤner hebt ſich das Waſſer, mit dem Spiegel ſeiner gruͤnen Ufer. Fernhin irret das Auge zwiſchen ſtark beſchatteten Stellen, die der Morgenſtrahl nicht trifft, und zwiſchen erleuchte- ten Flaͤchen in die buſchigte Dunkelheit der Graͤnze hin; aber es verweilt mit Ent- zuͤcken bey den lieblichen Malereyen des Lichts auf den Spitzen der Hayne und Ge- buͤſche, die ihre Abwechſelung von Gruͤn in einem ſanftern Reiz ſpielen laſſen. In der zweyten Oeffnung machen die Pflanzungen einige Vorſpruͤnge, welche die Durchſicht maleriſcher bilden. Die Heiterkeit des uͤberglaͤnzten Waſſers wird von dem jenſeits gruͤnenden Raſen erhoͤht, der frey vor dem Blick der Sonne liegt und gleichſam in ihren Strahlen ſchwimmt; demnaͤchſt die Dunkelheit der ſich zuſam- menziehenden Gruppen; ſodann wieder Helligkeit; endlich die ſanfte Finſterniß der Pflanzungen im Hintergrunde, wo das Auge ruht — alles dieß macht ein reizendes Morgen- *) Einige Stunden von Hannover.

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/212>, abgerufen am 26.04.2024.