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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Beschreibungen von Gärten.
Gruppen, das Annähern und Zurückweichen der Scenen, alles strebt, dem Auge
Erwartung, Täuschung, Unterhaltung, Ueberraschung und Ruhe zu geben. Es
ist eine nicht gemeine Kunst, die Scenen, die auf einander folgen sollen, so lange
einzeln zu verschließen, bis sie sich allmählich zu ihrem Vortheil, ohne sich auf ein-
ander zu häufen, ohne sich durch sich selbst zu zerstören, oder ihre Wirkun-
gen zu schwächen, entwickeln können. Wer nur durchläuft oder unaufmerk-
sam ist, für den gilt freylich diese Beobachtung nicht, noch das Vergnügen, das
sie gewährt.

Der Garten zu Marienwerder bleibt eine der ersten Merkwürdigkeiten in
der Nähe von Hannover, der mit Recht Einheimische und Fremde ruft; unter
allen neuen Anlagen in Deutschland behauptet er einen sehr ansehnlichen Rang.
Er ist ein Denkmal des gesunden, männlichen und edlen Geschmacks. Es giebt
fast keine Empfindung, die er nicht erweckte, Heiterkeit, Freude, sanfte Melan-
cholie, süße Schwermuth, Liebe der Ruhe und der Einsamkeit, der Freundschaft
und der Tugend, Vergessenheit der Sorgen, Erhebung über die Thorheiten
des Lebens, und selbst ein Vorgefühl von den Scenen einer noch schönern
Welt.



III. Neue

Beſchreibungen von Gaͤrten.
Gruppen, das Annaͤhern und Zuruͤckweichen der Scenen, alles ſtrebt, dem Auge
Erwartung, Taͤuſchung, Unterhaltung, Ueberraſchung und Ruhe zu geben. Es
iſt eine nicht gemeine Kunſt, die Scenen, die auf einander folgen ſollen, ſo lange
einzeln zu verſchließen, bis ſie ſich allmaͤhlich zu ihrem Vortheil, ohne ſich auf ein-
ander zu haͤufen, ohne ſich durch ſich ſelbſt zu zerſtoͤren, oder ihre Wirkun-
gen zu ſchwaͤchen, entwickeln koͤnnen. Wer nur durchlaͤuft oder unaufmerk-
ſam iſt, fuͤr den gilt freylich dieſe Beobachtung nicht, noch das Vergnuͤgen, das
ſie gewaͤhrt.

Der Garten zu Marienwerder bleibt eine der erſten Merkwuͤrdigkeiten in
der Naͤhe von Hannover, der mit Recht Einheimiſche und Fremde ruft; unter
allen neuen Anlagen in Deutſchland behauptet er einen ſehr anſehnlichen Rang.
Er iſt ein Denkmal des geſunden, maͤnnlichen und edlen Geſchmacks. Es giebt
faſt keine Empfindung, die er nicht erweckte, Heiterkeit, Freude, ſanfte Melan-
cholie, ſuͤße Schwermuth, Liebe der Ruhe und der Einſamkeit, der Freundſchaft
und der Tugend, Vergeſſenheit der Sorgen, Erhebung uͤber die Thorheiten
des Lebens, und ſelbſt ein Vorgefuͤhl von den Scenen einer noch ſchoͤnern
Welt.



III. Neue
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[231/0239] Beſchreibungen von Gaͤrten. Gruppen, das Annaͤhern und Zuruͤckweichen der Scenen, alles ſtrebt, dem Auge Erwartung, Taͤuſchung, Unterhaltung, Ueberraſchung und Ruhe zu geben. Es iſt eine nicht gemeine Kunſt, die Scenen, die auf einander folgen ſollen, ſo lange einzeln zu verſchließen, bis ſie ſich allmaͤhlich zu ihrem Vortheil, ohne ſich auf ein- ander zu haͤufen, ohne ſich durch ſich ſelbſt zu zerſtoͤren, oder ihre Wirkun- gen zu ſchwaͤchen, entwickeln koͤnnen. Wer nur durchlaͤuft oder unaufmerk- ſam iſt, fuͤr den gilt freylich dieſe Beobachtung nicht, noch das Vergnuͤgen, das ſie gewaͤhrt. Der Garten zu Marienwerder bleibt eine der erſten Merkwuͤrdigkeiten in der Naͤhe von Hannover, der mit Recht Einheimiſche und Fremde ruft; unter allen neuen Anlagen in Deutſchland behauptet er einen ſehr anſehnlichen Rang. Er iſt ein Denkmal des geſunden, maͤnnlichen und edlen Geſchmacks. Es giebt faſt keine Empfindung, die er nicht erweckte, Heiterkeit, Freude, ſanfte Melan- cholie, ſuͤße Schwermuth, Liebe der Ruhe und der Einſamkeit, der Freundſchaft und der Tugend, Vergeſſenheit der Sorgen, Erhebung uͤber die Thorheiten des Lebens, und ſelbſt ein Vorgefuͤhl von den Scenen einer noch ſchoͤnern Welt. III. Neue

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/239>, abgerufen am 26.04.2024.