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Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785.

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Sechster Abschnitt. Gärten
2.

Um dem wahren Charakter, der dieser Gattung von Landwohnungen und Gär-
ten zukömmt, uns mehr zu nähern, verdient zuvörderst bemerkt zu werden, daß sehr
viel von ihrer Lage abhängt, wenn sie einen vortheilhaften Prospect nicht allein zur
Verschönerung einer Gegend verbreiten, sondern auch selbst genießen sollen. Eine
ungemein frische Lage geben die Ufer eines Flusses, noch mehr eines Sees. Hier ver-
doppeln die Gebäude in dem Wiederschein den Reiz ihres Anschauens aus der Ferne,
und empfangen selbst von dem Licht und der spielenden Bewegung des Wassers eine neue
Heiterkeit. Auf Anhöhen, zwischen wellenförmig sich dahin schmiegenden Hügeln,
an sanften Abhängen hoher Berge, gewinnen kleine Sommerhäuser mit ihren Gär-
ten ein malerisch reizendes Ansehen. Noch schöner, wenn gleich an den Fuß der Hö-
hen, von welchen sie herabhängen, das Meer seine Wogen hinwälzt, wie an dem
seeländischen Ufer zwischen Kopenhagen und Helsingör, oder heitere Landseen,
wie um Genf und Neuschatel, ihre leichtern Wellen sanft hinspielen lassen. Nicht
weniger trägt zur Schönheit der Lage bey, wenn rings umher die Gegend um die
Sommerhäuser viel Gebüsch und Pflanzung zeigt, aus deren dunklem Grün die weis-
sen Vorderseiten hervorschimmern.

Alle diese Lagen gewähren den Vortheil einer anmuthig unterhaltenden Aus-
sicht. Dieser Vortheil ist hier um so wichtiger, weil diese Gärten nicht allemal einen
so weiten Bezirk umfassen, daß darinn eine beträchtliche Mannichfaltigkeit von innern
Scenen Platz finden könnte. Die Aussicht in die Landschaft, die überhaupt bey jeder
Anlage vom heitern Charakter unentbehrlich ist, vergütet hier die Einschränkung des
Besitzes und den Mangel vieler Auftritte und Veränderungen in dem innern Vezirk.
Ein kleiner Platz kann durch die Aussicht höchst interessant werden, wie man besonders
in so vielen Gärten der Schweiz sieht. Und diese Lebhaftigkeit, diese Größe, die-
ser Reichthum, diese Mannichfaltigkeit, dieser Zauber in landschaftlichen Aussich-
ten, die oft aus einem engen Winkel genossen werden, wird, wo die Natur sie ver-
sagt, von keiner Macht der Kunst für weite Anlagen hervorgerufen.

Eben der engere Raum, der gemeiniglich nur dieser Gattung von Gärten ver-
stattet ist, erlaubt keinen Reichthum von Scenen, der ihn bald zu sehr überladen und
verstellen würde. Die Gegend ist meistens nur von einem gewissen bestimmten, aber
einfachen Charakter. Und diese Einfachheit muß auch bey allem, was Kunst und
Geschmack bey einem solchen Platz vornehmen, beybehalten werden. Alle Verschö-
nerungen müssen nach dem natürlichen Charakter der Gegend sich richten.

Wird
Sechster Abſchnitt. Gaͤrten
2.

Um dem wahren Charakter, der dieſer Gattung von Landwohnungen und Gaͤr-
ten zukoͤmmt, uns mehr zu naͤhern, verdient zuvoͤrderſt bemerkt zu werden, daß ſehr
viel von ihrer Lage abhaͤngt, wenn ſie einen vortheilhaften Proſpect nicht allein zur
Verſchoͤnerung einer Gegend verbreiten, ſondern auch ſelbſt genießen ſollen. Eine
ungemein friſche Lage geben die Ufer eines Fluſſes, noch mehr eines Sees. Hier ver-
doppeln die Gebaͤude in dem Wiederſchein den Reiz ihres Anſchauens aus der Ferne,
und empfangen ſelbſt von dem Licht und der ſpielenden Bewegung des Waſſers eine neue
Heiterkeit. Auf Anhoͤhen, zwiſchen wellenfoͤrmig ſich dahin ſchmiegenden Huͤgeln,
an ſanften Abhaͤngen hoher Berge, gewinnen kleine Sommerhaͤuſer mit ihren Gaͤr-
ten ein maleriſch reizendes Anſehen. Noch ſchoͤner, wenn gleich an den Fuß der Hoͤ-
hen, von welchen ſie herabhaͤngen, das Meer ſeine Wogen hinwaͤlzt, wie an dem
ſeelaͤndiſchen Ufer zwiſchen Kopenhagen und Helſingoͤr, oder heitere Landſeen,
wie um Genf und Neuſchatel, ihre leichtern Wellen ſanft hinſpielen laſſen. Nicht
weniger traͤgt zur Schoͤnheit der Lage bey, wenn rings umher die Gegend um die
Sommerhaͤuſer viel Gebuͤſch und Pflanzung zeigt, aus deren dunklem Gruͤn die weiſ-
ſen Vorderſeiten hervorſchimmern.

Alle dieſe Lagen gewaͤhren den Vortheil einer anmuthig unterhaltenden Aus-
ſicht. Dieſer Vortheil iſt hier um ſo wichtiger, weil dieſe Gaͤrten nicht allemal einen
ſo weiten Bezirk umfaſſen, daß darinn eine betraͤchtliche Mannichfaltigkeit von innern
Scenen Platz finden koͤnnte. Die Ausſicht in die Landſchaft, die uͤberhaupt bey jeder
Anlage vom heitern Charakter unentbehrlich iſt, verguͤtet hier die Einſchraͤnkung des
Beſitzes und den Mangel vieler Auftritte und Veraͤnderungen in dem innern Vezirk.
Ein kleiner Platz kann durch die Ausſicht hoͤchſt intereſſant werden, wie man beſonders
in ſo vielen Gaͤrten der Schweiz ſieht. Und dieſe Lebhaftigkeit, dieſe Groͤße, die-
ſer Reichthum, dieſe Mannichfaltigkeit, dieſer Zauber in landſchaftlichen Ausſich-
ten, die oft aus einem engen Winkel genoſſen werden, wird, wo die Natur ſie ver-
ſagt, von keiner Macht der Kunſt fuͤr weite Anlagen hervorgerufen.

Eben der engere Raum, der gemeiniglich nur dieſer Gattung von Gaͤrten ver-
ſtattet iſt, erlaubt keinen Reichthum von Scenen, der ihn bald zu ſehr uͤberladen und
verſtellen wuͤrde. Die Gegend iſt meiſtens nur von einem gewiſſen beſtimmten, aber
einfachen Charakter. Und dieſe Einfachheit muß auch bey allem, was Kunſt und
Geſchmack bey einem ſolchen Platz vornehmen, beybehalten werden. Alle Verſchoͤ-
nerungen muͤſſen nach dem natuͤrlichen Charakter der Gegend ſich richten.

Wird
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[52/0060] Sechster Abſchnitt. Gaͤrten 2. Um dem wahren Charakter, der dieſer Gattung von Landwohnungen und Gaͤr- ten zukoͤmmt, uns mehr zu naͤhern, verdient zuvoͤrderſt bemerkt zu werden, daß ſehr viel von ihrer Lage abhaͤngt, wenn ſie einen vortheilhaften Proſpect nicht allein zur Verſchoͤnerung einer Gegend verbreiten, ſondern auch ſelbſt genießen ſollen. Eine ungemein friſche Lage geben die Ufer eines Fluſſes, noch mehr eines Sees. Hier ver- doppeln die Gebaͤude in dem Wiederſchein den Reiz ihres Anſchauens aus der Ferne, und empfangen ſelbſt von dem Licht und der ſpielenden Bewegung des Waſſers eine neue Heiterkeit. Auf Anhoͤhen, zwiſchen wellenfoͤrmig ſich dahin ſchmiegenden Huͤgeln, an ſanften Abhaͤngen hoher Berge, gewinnen kleine Sommerhaͤuſer mit ihren Gaͤr- ten ein maleriſch reizendes Anſehen. Noch ſchoͤner, wenn gleich an den Fuß der Hoͤ- hen, von welchen ſie herabhaͤngen, das Meer ſeine Wogen hinwaͤlzt, wie an dem ſeelaͤndiſchen Ufer zwiſchen Kopenhagen und Helſingoͤr, oder heitere Landſeen, wie um Genf und Neuſchatel, ihre leichtern Wellen ſanft hinſpielen laſſen. Nicht weniger traͤgt zur Schoͤnheit der Lage bey, wenn rings umher die Gegend um die Sommerhaͤuſer viel Gebuͤſch und Pflanzung zeigt, aus deren dunklem Gruͤn die weiſ- ſen Vorderſeiten hervorſchimmern. Alle dieſe Lagen gewaͤhren den Vortheil einer anmuthig unterhaltenden Aus- ſicht. Dieſer Vortheil iſt hier um ſo wichtiger, weil dieſe Gaͤrten nicht allemal einen ſo weiten Bezirk umfaſſen, daß darinn eine betraͤchtliche Mannichfaltigkeit von innern Scenen Platz finden koͤnnte. Die Ausſicht in die Landſchaft, die uͤberhaupt bey jeder Anlage vom heitern Charakter unentbehrlich iſt, verguͤtet hier die Einſchraͤnkung des Beſitzes und den Mangel vieler Auftritte und Veraͤnderungen in dem innern Vezirk. Ein kleiner Platz kann durch die Ausſicht hoͤchſt intereſſant werden, wie man beſonders in ſo vielen Gaͤrten der Schweiz ſieht. Und dieſe Lebhaftigkeit, dieſe Groͤße, die- ſer Reichthum, dieſe Mannichfaltigkeit, dieſer Zauber in landſchaftlichen Ausſich- ten, die oft aus einem engen Winkel genoſſen werden, wird, wo die Natur ſie ver- ſagt, von keiner Macht der Kunſt fuͤr weite Anlagen hervorgerufen. Eben der engere Raum, der gemeiniglich nur dieſer Gattung von Gaͤrten ver- ſtattet iſt, erlaubt keinen Reichthum von Scenen, der ihn bald zu ſehr uͤberladen und verſtellen wuͤrde. Die Gegend iſt meiſtens nur von einem gewiſſen beſtimmten, aber einfachen Charakter. Und dieſe Einfachheit muß auch bey allem, was Kunſt und Geſchmack bey einem ſolchen Platz vornehmen, beybehalten werden. Alle Verſchoͤ- nerungen muͤſſen nach dem natuͤrlichen Charakter der Gegend ſich richten. Wird

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Zitationshilfe: Hirschfeld, Christian Cay Lorenz: Theorie der Gartenkunst. Bd. 5. Leipzig, 1785, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hirschfeld_gartenkunst5_1785/60>, abgerufen am 26.04.2024.