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Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Umschatten ihn, und deine Lüfte wehn
Am milden Herbsttag freundlich über ihm,
Dein Abendlicht vergoldet seinen Hügel.

Ach! dorthin möcht' ich wohl, doch hälf' es nicht.
Ich sucht' ihn, so wie hier. Ich würde fast
Dort weniger, wie hier, mich sein entwöhnen.
So wuchs ich auf mit ihm, und weinen muß ich
Und lächeln, denk' ich, wie mir's ehmals oft
Beschwerlich ward, dem Wilden nachzukommen,
Wenn nirgend er beim Spiele bleiben wollte.
Nun bist du dennoch fort und lässest mich
Allein, du Lieber! und ich habe nun
Kein Bleiben auch, und meine Augen sehn
Das Gegenwärtige nicht mehr, o Gott!
Und mit Phantomen peiniget und tröstet
Nun meine Seele sich, die einsame.
Das weißt du, gutes Mädchen! nicht, wie sehr
Ich unvernünftig bin. Ich will dir's all'
Erzählen. Morgen! Mich besucht doch immer
Der süße Schlaf, und wie die Kinder bin ich,
Die besser schlummern, wenn sie ausgeweint.

Emilie an Klara.
Der Vater schwieg im Leide tagelang,
Da er's erfuhr; und scheuen mußt' ich mich,

Umſchatten ihn, und deine Luͤfte wehn
Am milden Herbſttag freundlich uͤber ihm,
Dein Abendlicht vergoldet ſeinen Huͤgel.

Ach! dorthin moͤcht' ich wohl, doch haͤlf' es nicht.
Ich ſucht' ihn, ſo wie hier. Ich wuͤrde faſt
Dort weniger, wie hier, mich ſein entwoͤhnen.
So wuchs ich auf mit ihm, und weinen muß ich
Und laͤcheln, denk' ich, wie mir's ehmals oft
Beſchwerlich ward, dem Wilden nachzukommen,
Wenn nirgend er beim Spiele bleiben wollte.
Nun biſt du dennoch fort und laͤſſeſt mich
Allein, du Lieber! und ich habe nun
Kein Bleiben auch, und meine Augen ſehn
Das Gegenwaͤrtige nicht mehr, o Gott!
Und mit Phantomen peiniget und troͤſtet
Nun meine Seele ſich, die einſame.
Das weißt du, gutes Maͤdchen! nicht, wie ſehr
Ich unvernuͤnftig bin. Ich will dir's all'
Erzaͤhlen. Morgen! Mich beſucht doch immer
Der ſuͤße Schlaf, und wie die Kinder bin ich,
Die beſſer ſchlummern, wenn ſie ausgeweint.

Emilie an Klara.
Der Vater ſchwieg im Leide tagelang,
Da er's erfuhr; und ſcheuen mußt' ich mich,
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[93/0101] Umſchatten ihn, und deine Luͤfte wehn Am milden Herbſttag freundlich uͤber ihm, Dein Abendlicht vergoldet ſeinen Huͤgel. Ach! dorthin moͤcht' ich wohl, doch haͤlf' es nicht. Ich ſucht' ihn, ſo wie hier. Ich wuͤrde faſt Dort weniger, wie hier, mich ſein entwoͤhnen. So wuchs ich auf mit ihm, und weinen muß ich Und laͤcheln, denk' ich, wie mir's ehmals oft Beſchwerlich ward, dem Wilden nachzukommen, Wenn nirgend er beim Spiele bleiben wollte. Nun biſt du dennoch fort und laͤſſeſt mich Allein, du Lieber! und ich habe nun Kein Bleiben auch, und meine Augen ſehn Das Gegenwaͤrtige nicht mehr, o Gott! Und mit Phantomen peiniget und troͤſtet Nun meine Seele ſich, die einſame. Das weißt du, gutes Maͤdchen! nicht, wie ſehr Ich unvernuͤnftig bin. Ich will dir's all' Erzaͤhlen. Morgen! Mich beſucht doch immer Der ſuͤße Schlaf, und wie die Kinder bin ich, Die beſſer ſchlummern, wenn ſie ausgeweint. Emilie an Klara. Der Vater ſchwieg im Leide tagelang, Da er's erfuhr; und ſcheuen mußt' ich mich,

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Zitationshilfe: Hölderlin, Friedrich: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/hoelderlin_gedichte_1826/101>, abgerufen am 26.04.2024.