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Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839.

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Unglücklicher, verließest du die Tasche? -- Die
Lage des Kindes war schaudervoll! Ueber mir der
goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden
Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken
oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders,
welches dem Geier seine Beute mißgönnt, tief,
schwindlicht tief unten Land und Meer wechselnd
als dunkele und blanke Streifen! -- Der Geier
fliegt und fliegt; er ist ein Geier, der auf Reisen
geht und sich seinen Mundproviant hat mitnehmen
wollen. Das Ungeheuer schreit beständig: Pfy!
Pfy! -- Da rufe ich mit dem Witze der Ver-
zweiflung: O, wenn du Pfy! schreien kannst, so
rufe doch zuerst über dich Pfy! aus, abscheulicher
Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr
als unredliche Handlungsweise! Nach der Natur-
geschichte fällst du zuweilen ausnahmsweise Hirten-
knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich
nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Hast
du nicht selbst Kinder, Barbar? Jammert dich der
Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen
den Oelbaum gelehnt sitzt, vermuthlich noch immer
die Sonne sinken sieht, und an den Sohn in der
Tasche glaubt?


Unglücklicher, verließeſt du die Taſche? — Die
Lage des Kindes war ſchaudervoll! Ueber mir der
goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden
Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken
oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders,
welches dem Geier ſeine Beute mißgönnt, tief,
ſchwindlicht tief unten Land und Meer wechſelnd
als dunkele und blanke Streifen! — Der Geier
fliegt und fliegt; er iſt ein Geier, der auf Reiſen
geht und ſich ſeinen Mundproviant hat mitnehmen
wollen. Das Ungeheuer ſchreit beſtändig: Pfy!
Pfy! — Da rufe ich mit dem Witze der Ver-
zweiflung: O, wenn du Pfy! ſchreien kannſt, ſo
rufe doch zuerſt über dich Pfy! aus, abſcheulicher
Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr
als unredliche Handlungsweiſe! Nach der Natur-
geſchichte fällſt du zuweilen ausnahmsweiſe Hirten-
knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich
nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Haſt
du nicht ſelbſt Kinder, Barbar? Jammert dich der
Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen
den Oelbaum gelehnt ſitzt, vermuthlich noch immer
die Sonne ſinken ſieht, und an den Sohn in der
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[117/0135] Unglücklicher, verließeſt du die Taſche? — Die Lage des Kindes war ſchaudervoll! Ueber mir der goldgelbe Bauch und die corallenroth glühenden Augen des Ungeheuers, um mich Luft und Wolken oder Schwärme folgenden und krächzenden Gefieders, welches dem Geier ſeine Beute mißgönnt, tief, ſchwindlicht tief unten Land und Meer wechſelnd als dunkele und blanke Streifen! — Der Geier fliegt und fliegt; er iſt ein Geier, der auf Reiſen geht und ſich ſeinen Mundproviant hat mitnehmen wollen. Das Ungeheuer ſchreit beſtändig: Pfy! Pfy! — Da rufe ich mit dem Witze der Ver- zweiflung: O, wenn du Pfy! ſchreien kannſt, ſo rufe doch zuerſt über dich Pfy! aus, abſcheulicher Franz Moor der Lüfte; Pfy! über deine mehr als unredliche Handlungsweiſe! Nach der Natur- geſchichte fällſt du zuweilen ausnahmsweiſe Hirten- knaben an. Bin ich denn ein Hirtenknabe? Bin ich nicht das gebildete Kind gebildeter Eltern? Haſt du nicht ſelbſt Kinder, Barbar? Jammert dich der Vater nicht, der drunten mit dem Rücken gegen den Oelbaum gelehnt ſitzt, vermuthlich noch immer die Sonne ſinken ſieht, und an den Sohn in der Taſche glaubt?

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Zitationshilfe: Immermann, Karl: Münchhausen. Bd. 2. Düsseldorf, 1839, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/immermann_muenchhausen02_1839/135>, abgerufen am 26.04.2024.