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Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766.

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§. 22.
Jn wie fer-
ne man
Schlüsse
von einer
verbothe-
nen Ehe
auf die an-
dere ma-
chen kann.

Aus diesem Gesetze folget ein anderes,
so hier nicht ausdrücklich stehet, nämlich
dieses, daß ein Enkel seine Großmutter
nicht ehelichen soll. Ein jeder siehet leicht,
warum der weiseste Gesetzgeber dieses Ge-
setz dem vorhergehenden nicht beyfügen las-
sen. Es würde ein solches Gesetz zum La-
chen reizen, da die Natur schon dafür ge-
sorget, daß ein Enkel keinen Reiz empfin-
den wird, seine Großmutter zu heirathen.
Jch mache hierbey die Anmerkung, daß ob
ich gleich nicht von dem einen verbothenen
Grade der Verwandschaft schliesse, daß
alle übrige Verwandschaften von gleichem
Grade auch verbothen sind, ich dennoch
Schlüsse von einer verbothenen Ehe auf die
andere gelten lasse. Wo nämlich bey einer
nicht genannten Ehe eben die Ursachen und
Absichten sind, welche das Verboth einer
genannten Ehe veranlasset, da sehe ich sel-
bige gleichfalls als verbothen an. Den
Grad der Verwandschaft halte ich aber
nicht für die Ursache des Gesetzes. Denn
wenn das Gesetz will: Du sollst deine
nächsten Verwandtinnen nicht heirathen,
und es wird nach der Ursache gefraget,
habe ich sie alsdenn angegeben, wenn ich
antworte: weil es deine nächsten Ver-
wandtinnen sind? Auf diese Art machte
man ja das Verboth selber zur Ursache des
Verbothes.

§. 23.
§. 22.
Jn wie fer-
ne man
Schluͤſſe
von einer
verbothe-
nen Ehe
auf die an-
dere ma-
chen kann.

Aus dieſem Geſetze folget ein anderes,
ſo hier nicht ausdruͤcklich ſtehet, naͤmlich
dieſes, daß ein Enkel ſeine Großmutter
nicht ehelichen ſoll. Ein jeder ſiehet leicht,
warum der weiſeſte Geſetzgeber dieſes Ge-
ſetz dem vorhergehenden nicht beyfuͤgen laſ-
ſen. Es wuͤrde ein ſolches Geſetz zum La-
chen reizen, da die Natur ſchon dafuͤr ge-
ſorget, daß ein Enkel keinen Reiz empfin-
den wird, ſeine Großmutter zu heirathen.
Jch mache hierbey die Anmerkung, daß ob
ich gleich nicht von dem einen verbothenen
Grade der Verwandſchaft ſchlieſſe, daß
alle uͤbrige Verwandſchaften von gleichem
Grade auch verbothen ſind, ich dennoch
Schluͤſſe von einer verbothenen Ehe auf die
andere gelten laſſe. Wo naͤmlich bey einer
nicht genannten Ehe eben die Urſachen und
Abſichten ſind, welche das Verboth einer
genannten Ehe veranlaſſet, da ſehe ich ſel-
bige gleichfalls als verbothen an. Den
Grad der Verwandſchaft halte ich aber
nicht fuͤr die Urſache des Geſetzes. Denn
wenn das Geſetz will: Du ſollſt deine
naͤchſten Verwandtinnen nicht heirathen,
und es wird nach der Urſache gefraget,
habe ich ſie alsdenn angegeben, wenn ich
antworte: weil es deine naͤchſten Ver-
wandtinnen ſind? Auf dieſe Art machte
man ja das Verboth ſelber zur Urſache des
Verbothes.

§. 23.
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[380/0400] §. 22. Aus dieſem Geſetze folget ein anderes, ſo hier nicht ausdruͤcklich ſtehet, naͤmlich dieſes, daß ein Enkel ſeine Großmutter nicht ehelichen ſoll. Ein jeder ſiehet leicht, warum der weiſeſte Geſetzgeber dieſes Ge- ſetz dem vorhergehenden nicht beyfuͤgen laſ- ſen. Es wuͤrde ein ſolches Geſetz zum La- chen reizen, da die Natur ſchon dafuͤr ge- ſorget, daß ein Enkel keinen Reiz empfin- den wird, ſeine Großmutter zu heirathen. Jch mache hierbey die Anmerkung, daß ob ich gleich nicht von dem einen verbothenen Grade der Verwandſchaft ſchlieſſe, daß alle uͤbrige Verwandſchaften von gleichem Grade auch verbothen ſind, ich dennoch Schluͤſſe von einer verbothenen Ehe auf die andere gelten laſſe. Wo naͤmlich bey einer nicht genannten Ehe eben die Urſachen und Abſichten ſind, welche das Verboth einer genannten Ehe veranlaſſet, da ſehe ich ſel- bige gleichfalls als verbothen an. Den Grad der Verwandſchaft halte ich aber nicht fuͤr die Urſache des Geſetzes. Denn wenn das Geſetz will: Du ſollſt deine naͤchſten Verwandtinnen nicht heirathen, und es wird nach der Urſache gefraget, habe ich ſie alsdenn angegeben, wenn ich antworte: weil es deine naͤchſten Ver- wandtinnen ſind? Auf dieſe Art machte man ja das Verboth ſelber zur Urſache des Verbothes. §. 23.

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Zitationshilfe: Jacobi, Johann Friedrich: Betrachtungen über die Weisen Absichten Gottes, bey denen Dingen, die wir in der menschlichen Gesellschaft und der Offenbarung antreffen. Bd. 4. Hannover, 1766, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jacobi_betrachtungen04_1766/400>, abgerufen am 26.04.2024.