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Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960.

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72. An Karoline von Feuchtersleben. [44]
[Kopie]

-- einen Freundschaftsonnentempel bauen und einweihen. Berlin
wird unter den Gestirnen schimmern, aus denen jed[er] seinen Jugend-
Himmel zusammen wölbt -- Bleibe meine Freundin und sei deine.5

*73. An Thieriot in Dresden.

Ihre Fastnachtsspiele und Moralitäten, die Sie vor und mit Rakniz
aufführten, sind mir freilich in der Erzählung lieber als alles was Sie
dafür hätten geigen können.10

Ich habe nichts dagegen, daß Sie so die Poesie des Scherzes in die
Wirklichkeit hereintreiben, sobald Sie nach der Fortuna, die allein
über diese herschen wil, nichts fragen und nach den Stössen ihres
Rads. Ich kenne aus eigner Erfahrung die pikante Süssigkeit dieser
Doppelrolle, worin man sein Leben zugleich spielt, lebt und parodiert.15
Aber wie gesagt, unter den erbärmlich-gesteiften schlafröckigen Deut-
schen (vollends Sachsen) -- oft sogar vor Gegen-Humoristen -- ver-
schüttet man sich dadurch unausbleiblich seine Goldschachte und die
Ehrenbogen fallen dem Spasvögelein auf die Hirnschaale.

Unter allen Schlechtigkeiten komt die lügender Verheissungen am20
öftersten vor.

Freudig würd' ich Sie meine Thüre aufmachen sehen; Violinisten
giebts hier zwar viele, aber meine Konnexionen würden Ihnen leicht
die Erlaubnis auswirken, sich vor ein Notenpult mit Ihrer Brille zu
stellen.25

Unter allen geselschaftlichen Tönen stell' ich den hiesigen am höchsten.
Juden, Minister, Offiziere, Gelehrte, Weiber, diese macht das ge-
sellige Band oft zu Einem Straus; in Dresden hätten sie in einem
ganzen Garten nicht Plaz. -- Die Gedankenstriche sind die Isolatorien,
worauf ich die Gedanken stelle und so auseinanderhalte. -- Ich habe30
Haydns Schöpfung -- gesehen beinahe; weit über Reichard. -- Ueber
die Maria Stuart von Schiller kan ich nicht urtheilen, weil ich blos
das Ende der Maria, aber nicht des Stüks abwartete; "fröhlich, singen[45]
die Xenien, sprang der Grieche aus seinem Theater heraus". Diesen
Sprung that ich munter nach.35

72. An Karoline von Feuchtersleben. [44]
[Kopie]

— einen Freundſchaftſonnentempel bauen und einweihen. Berlin
wird unter den Geſtirnen ſchimmern, aus denen jed[er] ſeinen Jugend-
Himmel zuſammen wölbt — Bleibe meine Freundin und ſei deine.5

*73. An Thieriot in Dresden.

Ihre Faſtnachtsſpiele und Moralitäten, die Sie vor und mit Rakniz
aufführten, ſind mir freilich in der Erzählung lieber als alles was Sie
dafür hätten geigen können.10

Ich habe nichts dagegen, daß Sie ſo die Poeſie des Scherzes in die
Wirklichkeit hereintreiben, ſobald Sie nach der Fortuna, die allein
über dieſe herſchen wil, nichts fragen und nach den Stöſſen ihres
Rads. Ich kenne aus eigner Erfahrung die pikante Süſſigkeit dieſer
Doppelrolle, worin man ſein Leben zugleich ſpielt, lebt und parodiert.15
Aber wie geſagt, unter den erbärmlich-geſteiften ſchlafröckigen Deut-
ſchen (vollends Sachſen) — oft ſogar vor Gegen-Humoriſten — ver-
ſchüttet man ſich dadurch unausbleiblich ſeine Goldſchachte und die
Ehrenbogen fallen dem Spasvögelein auf die Hirnſchaale.

Unter allen Schlechtigkeiten komt die lügender Verheiſſungen am20
öfterſten vor.

Freudig würd’ ich Sie meine Thüre aufmachen ſehen; Violiniſten
giebts hier zwar viele, aber meine Konnexionen würden Ihnen leicht
die Erlaubnis auswirken, ſich vor ein Notenpult mit Ihrer Brille zu
ſtellen.25

Unter allen geſelſchaftlichen Tönen ſtell’ ich den hieſigen am höchſten.
Juden, Miniſter, Offiziere, Gelehrte, Weiber, dieſe macht das ge-
ſellige Band oft zu Einem Straus; in Dresden hätten ſie in einem
ganzen Garten nicht Plaz. — Die Gedankenſtriche ſind die Iſolatorien,
worauf ich die Gedanken ſtelle und ſo auseinanderhalte. — Ich habe30
Haydns Schöpfung — geſehen beinahe; weit über Reichard. — Ueber
die Maria Stuart von Schiller kan ich nicht urtheilen, weil ich blos
das Ende der Maria, aber nicht des Stüks abwartete; „fröhlich, ſingen[45]
die Xenien, ſprang der Grieche aus ſeinem Theater heraus“. Dieſen
Sprung that ich munter nach.35

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[39/0045] 72. An Karoline von Feuchtersleben. [Berlin, 17. Jan. 1801] — einen Freundſchaftſonnentempel bauen und einweihen. Berlin wird unter den Geſtirnen ſchimmern, aus denen jed[er] ſeinen Jugend- Himmel zuſammen wölbt — Bleibe meine Freundin und ſei deine. 5 *73. An Thieriot in Dresden. Berlin d. 17. Jenn. 1801. Ihre Faſtnachtsſpiele und Moralitäten, die Sie vor und mit Rakniz aufführten, ſind mir freilich in der Erzählung lieber als alles was Sie dafür hätten geigen können. 10 Ich habe nichts dagegen, daß Sie ſo die Poeſie des Scherzes in die Wirklichkeit hereintreiben, ſobald Sie nach der Fortuna, die allein über dieſe herſchen wil, nichts fragen und nach den Stöſſen ihres Rads. Ich kenne aus eigner Erfahrung die pikante Süſſigkeit dieſer Doppelrolle, worin man ſein Leben zugleich ſpielt, lebt und parodiert. 15 Aber wie geſagt, unter den erbärmlich-geſteiften ſchlafröckigen Deut- ſchen (vollends Sachſen) — oft ſogar vor Gegen-Humoriſten — ver- ſchüttet man ſich dadurch unausbleiblich ſeine Goldſchachte und die Ehrenbogen fallen dem Spasvögelein auf die Hirnſchaale. Unter allen Schlechtigkeiten komt die lügender Verheiſſungen am 20 öfterſten vor. Freudig würd’ ich Sie meine Thüre aufmachen ſehen; Violiniſten giebts hier zwar viele, aber meine Konnexionen würden Ihnen leicht die Erlaubnis auswirken, ſich vor ein Notenpult mit Ihrer Brille zu ſtellen. 25 Unter allen geſelſchaftlichen Tönen ſtell’ ich den hieſigen am höchſten. Juden, Miniſter, Offiziere, Gelehrte, Weiber, dieſe macht das ge- ſellige Band oft zu Einem Straus; in Dresden hätten ſie in einem ganzen Garten nicht Plaz. — Die Gedankenſtriche ſind die Iſolatorien, worauf ich die Gedanken ſtelle und ſo auseinanderhalte. — Ich habe 30 Haydns Schöpfung — geſehen beinahe; weit über Reichard. — Ueber die Maria Stuart von Schiller kan ich nicht urtheilen, weil ich blos das Ende der Maria, aber nicht des Stüks abwartete; „fröhlich, ſingen die Xenien, ſprang der Grieche aus ſeinem Theater heraus“. Dieſen Sprung that ich munter nach. 35 [45]

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Historisch-kritische Ausgabe der Werke und Briefe von Jean Paul. Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-11-22T15:08:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Markus Bernauer, Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-11-22T15:08:29Z)

Weitere Informationen:

Die digitale Edition der Briefe Jean Pauls im Deutschen Textarchiv basiert auf der von Eduard Berend herausgegebenen III. Abteilung der Historisch-kritischen Ausgabe mit den Briefen Jean Pauls. Die Bände werden im Faksimile und in getreuer Umschrift ohne Korrekturen vollständig zugänglich gemacht. Nicht aufgenommen, da in der hier gewählten Präsentation kaum nutzbar, sind Berends umfangreiche Register über die III. Abteilung in Band III/9, die in das elektronische Gesamtregister über die Briefe von und an Jean Paul eingegangen sind. Das bedeutet: Aufbewahrungsorte von Handschriften sowie veraltete Literaturverweise blieben ebenso bestehen wie die Nummern der von Jean Paul beantworteten Briefe oder der an ihn gerichteten Antworten, Nummern, die sich auf die Regesten in den digitalisierten Bänden beziehen und nicht auf die neue IV. Abteilung mit den Briefen an Jean Paul (s. dort die Konkordanzen).

Eine andere, briefzentrierte digitale Edition der Briefe Jean Pauls ist derzeit als Gemeinschaftsprojekt der Jean-Paul-Edition und der Initiative TELOTA in Vorbereitung. Die Metadaten dieser Ausgabe sowie veraltete Verweise in den Erläuterungen werden dort so weit als möglich aktualisiert. Die Digitalisierung wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.




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Zitationshilfe: Jean Paul: Dritte Abteilung Briefe. In: Jean Pauls Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Abt. 3, Bd. 4. Berlin, 1960, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jeanpaul_briefe04_1960/45>, abgerufen am 26.04.2024.