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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852.

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Gemeinsame Betrachtung derselben. §. 19.
Hause zu schaffen. Wenn Jemand, der zur Geißelung abgeführt
ward, ihm begegnete und ihm zu Füßen fiel, so mußte die Exe-
kution aufgeschoben werden. 216) So durchbrach die Religion ge-
wiß noch in manchen Fällen die strenge Ordnung des Rechts
und des bürgerlichen Lebens, und auch in die kalte römische
Rechtswelt fällt doch, zurückgestrahlt von den Göttern, der
warme Sonnenblick eines menschlichen Gefühls.

Gemeinsames aller dieser Ausgangspunkte.

XIX. Der normale Charakter einer Anfangsbildung be-
steht in der Einheit ohne Verschiedenheit, d. h. der Gebunden-
heit der Gegensätze, der Unselbständigkeit der einzelnen Theile.
Bevor die Unterschiede, die dem Keime nach in ihr bereits vor-
handen sind, sich regen und bewegen dürfen, muß eine Zeit vor-
ausgegangen sein, die das Moment der Einheit möglichst kräftig,
wenn auch einseitig entwickelte, soll anders letzteres nicht im
verfrühten Kampf der Gegensätze rasch erliegen. Zu dieser Be-
merkung veranlaßt uns ein Rückblick auf unsere bisherige Dar-
stellung. Der Grundzug des bisher geschilderten Rechtssystems
-- wenn wir es nämlich ein System nennen wollen, worüber
unten das Weitere -- besteht eben in jener ursprünglichen Ge-
bundenheit der Gegensätze, jener Unselbständigkeit, Ununter-
schiedenheit der einzelnen Theile desselben. Erst jetzt, nachdem
wir die Ausgangspunkte des Rechts im Einzelnen haben kennen
lernen, ist es uns möglich gemacht, diese sie alle gemeinschaftlich
betreffende Bemerkung unter Bezugnahme auf frühere Ausfüh-
rungen rasch zu erledigen.

Wir erinnern daran, daß es sich hier nur um die ur-

216) Gellius X, 15.

Gemeinſame Betrachtung derſelben. §. 19.
Hauſe zu ſchaffen. Wenn Jemand, der zur Geißelung abgeführt
ward, ihm begegnete und ihm zu Füßen fiel, ſo mußte die Exe-
kution aufgeſchoben werden. 216) So durchbrach die Religion ge-
wiß noch in manchen Fällen die ſtrenge Ordnung des Rechts
und des bürgerlichen Lebens, und auch in die kalte römiſche
Rechtswelt fällt doch, zurückgeſtrahlt von den Göttern, der
warme Sonnenblick eines menſchlichen Gefühls.

Gemeinſames aller dieſer Ausgangspunkte.

XIX. Der normale Charakter einer Anfangsbildung be-
ſteht in der Einheit ohne Verſchiedenheit, d. h. der Gebunden-
heit der Gegenſätze, der Unſelbſtändigkeit der einzelnen Theile.
Bevor die Unterſchiede, die dem Keime nach in ihr bereits vor-
handen ſind, ſich regen und bewegen dürfen, muß eine Zeit vor-
ausgegangen ſein, die das Moment der Einheit möglichſt kräftig,
wenn auch einſeitig entwickelte, ſoll anders letzteres nicht im
verfrühten Kampf der Gegenſätze raſch erliegen. Zu dieſer Be-
merkung veranlaßt uns ein Rückblick auf unſere bisherige Dar-
ſtellung. Der Grundzug des bisher geſchilderten Rechtsſyſtems
— wenn wir es nämlich ein Syſtem nennen wollen, worüber
unten das Weitere — beſteht eben in jener urſprünglichen Ge-
bundenheit der Gegenſätze, jener Unſelbſtändigkeit, Ununter-
ſchiedenheit der einzelnen Theile deſſelben. Erſt jetzt, nachdem
wir die Ausgangspunkte des Rechts im Einzelnen haben kennen
lernen, iſt es uns möglich gemacht, dieſe ſie alle gemeinſchaftlich
betreffende Bemerkung unter Bezugnahme auf frühere Ausfüh-
rungen raſch zu erledigen.

Wir erinnern daran, daß es ſich hier nur um die ur-

216) Gellius X, 15.
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[281/0299] Gemeinſame Betrachtung derſelben. §. 19. Hauſe zu ſchaffen. Wenn Jemand, der zur Geißelung abgeführt ward, ihm begegnete und ihm zu Füßen fiel, ſo mußte die Exe- kution aufgeſchoben werden. 216) So durchbrach die Religion ge- wiß noch in manchen Fällen die ſtrenge Ordnung des Rechts und des bürgerlichen Lebens, und auch in die kalte römiſche Rechtswelt fällt doch, zurückgeſtrahlt von den Göttern, der warme Sonnenblick eines menſchlichen Gefühls. Gemeinſames aller dieſer Ausgangspunkte. XIX. Der normale Charakter einer Anfangsbildung be- ſteht in der Einheit ohne Verſchiedenheit, d. h. der Gebunden- heit der Gegenſätze, der Unſelbſtändigkeit der einzelnen Theile. Bevor die Unterſchiede, die dem Keime nach in ihr bereits vor- handen ſind, ſich regen und bewegen dürfen, muß eine Zeit vor- ausgegangen ſein, die das Moment der Einheit möglichſt kräftig, wenn auch einſeitig entwickelte, ſoll anders letzteres nicht im verfrühten Kampf der Gegenſätze raſch erliegen. Zu dieſer Be- merkung veranlaßt uns ein Rückblick auf unſere bisherige Dar- ſtellung. Der Grundzug des bisher geſchilderten Rechtsſyſtems — wenn wir es nämlich ein Syſtem nennen wollen, worüber unten das Weitere — beſteht eben in jener urſprünglichen Ge- bundenheit der Gegenſätze, jener Unſelbſtändigkeit, Ununter- ſchiedenheit der einzelnen Theile deſſelben. Erſt jetzt, nachdem wir die Ausgangspunkte des Rechts im Einzelnen haben kennen lernen, iſt es uns möglich gemacht, dieſe ſie alle gemeinſchaftlich betreffende Bemerkung unter Bezugnahme auf frühere Ausfüh- rungen raſch zu erledigen. Wir erinnern daran, daß es ſich hier nur um die ur- 216) Gellius X, 15.

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 1. Leipzig, 1852, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht01_1852/299>, abgerufen am 19.03.2024.