Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweit. Buch. Erst. Abschn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
ken geflohen und in einer absoluten Monarchie sich niedergelas-
sen. Wo die Staatsgewalt sich zur ausschließlichen Quelle
alles Rechts und aller Kraft gemacht, die Freiheit und Bewe-
gung, die über den ganzen Organismus ausgebreitet sein sollte,
sich allein zugeeignet hat und nur von sich aus entläßt, da hört
der Raub, den die Staatsgewalt hier an der wahren Freiheit
begangen, dadurch nicht auf es zu sein, daß die republikanische
Form der Verfassung jedem Einzelnen seinen homöopathisch
verdünnten Antheil an demselben verstattet.

Darum gilt mir diese Form der römischen Staatsverfassung
an und für sich noch nicht als Beweis, daß der Geist ächter
Freiheit sie beseelt habe. Aber es genügt wohl ein Blick auf die
römische Welt, um diese Ueberzeugung in sich hervorzurufen,
und ich würde mir schwerlich den Dank des Lesers verdienen,
wenn ich alle die Momente, auf die sich dieselbe stützen läßt,
hier zusammenstellen wollte; ich müßte zu dem Zwecke Dinge
anführen, die theils allbekannt, theils bereits an verschiedenen
Stellen der bisherigen Darstellung (S. z. B. S. 137 fl.) berührt
worden sind. Ich will mich lieber beschränken auf einen einzigen
Punkt, aber einen Punkt, der zu den interessantesten, lehrreich-
sten und doch am wenigsten gewürdigten Parthien der römi-
schen Verfassung gehört.

Das Prinzip der Civilrechtspflege ist die Gerechtigkeit d. i.
die Gleichmäßigkeit, und als Mittel zur Erreichung dieses
Zweckes haben wir früher (S. 31 fl.) die möglichste Objektivi-
rung der anzuwendenden Rechtsnormen kennen lernen. Je
schärfer, bestimmter, detaillirter dieselben bezeichnet werden kön-
nen, je mehr der Einfluß des persönlichen Elements auf die
Rechtspflege dadurch zurückgedrängt wird, desto besser.411) Ganz

411) Darum war denn auch die Stellung des Prätors in der Rechts-
pflege eine ganz andere, als die der übrigen römischen Beamten, und alles,
was von letzteren in der Folge gesagt werden wird, bezieht sich, wie ich schon
hier bemerken will, nur auf sie, nicht auf den Prätor. Die Stellung des
letztern ist bereits früher (S. 80 u. 108) berührt.

Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb.
ken geflohen und in einer abſoluten Monarchie ſich niedergelaſ-
ſen. Wo die Staatsgewalt ſich zur ausſchließlichen Quelle
alles Rechts und aller Kraft gemacht, die Freiheit und Bewe-
gung, die über den ganzen Organismus ausgebreitet ſein ſollte,
ſich allein zugeeignet hat und nur von ſich aus entläßt, da hört
der Raub, den die Staatsgewalt hier an der wahren Freiheit
begangen, dadurch nicht auf es zu ſein, daß die republikaniſche
Form der Verfaſſung jedem Einzelnen ſeinen homöopathiſch
verdünnten Antheil an demſelben verſtattet.

Darum gilt mir dieſe Form der römiſchen Staatsverfaſſung
an und für ſich noch nicht als Beweis, daß der Geiſt ächter
Freiheit ſie beſeelt habe. Aber es genügt wohl ein Blick auf die
römiſche Welt, um dieſe Ueberzeugung in ſich hervorzurufen,
und ich würde mir ſchwerlich den Dank des Leſers verdienen,
wenn ich alle die Momente, auf die ſich dieſelbe ſtützen läßt,
hier zuſammenſtellen wollte; ich müßte zu dem Zwecke Dinge
anführen, die theils allbekannt, theils bereits an verſchiedenen
Stellen der bisherigen Darſtellung (S. z. B. S. 137 fl.) berührt
worden ſind. Ich will mich lieber beſchränken auf einen einzigen
Punkt, aber einen Punkt, der zu den intereſſanteſten, lehrreich-
ſten und doch am wenigſten gewürdigten Parthien der römi-
ſchen Verfaſſung gehört.

Das Prinzip der Civilrechtspflege iſt die Gerechtigkeit d. i.
die Gleichmäßigkeit, und als Mittel zur Erreichung dieſes
Zweckes haben wir früher (S. 31 fl.) die möglichſte Objektivi-
rung der anzuwendenden Rechtsnormen kennen lernen. Je
ſchärfer, beſtimmter, detaillirter dieſelben bezeichnet werden kön-
nen, je mehr der Einfluß des perſönlichen Elements auf die
Rechtspflege dadurch zurückgedrängt wird, deſto beſſer.411) Ganz

411) Darum war denn auch die Stellung des Prätors in der Rechts-
pflege eine ganz andere, als die der übrigen römiſchen Beamten, und alles,
was von letzteren in der Folge geſagt werden wird, bezieht ſich, wie ich ſchon
hier bemerken will, nur auf ſie, nicht auf den Prätor. Die Stellung des
letztern iſt bereits früher (S. 80 u. 108) berührt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <p><pb facs="#f0282" n="268"/><fw place="top" type="header">Zweit. Buch. Er&#x017F;t. Ab&#x017F;chn. <hi rendition="#aq">II.</hi> Die Grundtriebe. <hi rendition="#aq">III.</hi> Der Freiheitstrieb.</fw><lb/>
ken geflohen und in einer ab&#x017F;oluten Monarchie &#x017F;ich niedergela&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. Wo die Staatsgewalt &#x017F;ich zur aus&#x017F;chließlichen Quelle<lb/>
alles Rechts und aller Kraft gemacht, die Freiheit und Bewe-<lb/>
gung, die über den ganzen Organismus ausgebreitet &#x017F;ein &#x017F;ollte,<lb/>
&#x017F;ich allein zugeeignet hat und nur von &#x017F;ich aus entläßt, da hört<lb/>
der Raub, den die Staatsgewalt hier an der wahren Freiheit<lb/>
begangen, dadurch nicht auf es zu &#x017F;ein, daß die republikani&#x017F;che<lb/>
Form der Verfa&#x017F;&#x017F;ung jedem Einzelnen &#x017F;einen homöopathi&#x017F;ch<lb/>
verdünnten Antheil an dem&#x017F;elben ver&#x017F;tattet.</p><lb/>
                    <p>Darum gilt mir die&#x017F;e Form der römi&#x017F;chen Staatsverfa&#x017F;&#x017F;ung<lb/>
an und für &#x017F;ich noch nicht als Beweis, daß der Gei&#x017F;t ächter<lb/>
Freiheit &#x017F;ie be&#x017F;eelt habe. Aber es genügt wohl ein Blick auf die<lb/>
römi&#x017F;che Welt, um die&#x017F;e Ueberzeugung in &#x017F;ich hervorzurufen,<lb/>
und ich würde mir &#x017F;chwerlich den Dank des Le&#x017F;ers verdienen,<lb/>
wenn ich alle die Momente, auf die &#x017F;ich die&#x017F;elbe &#x017F;tützen läßt,<lb/>
hier zu&#x017F;ammen&#x017F;tellen wollte; ich müßte zu dem Zwecke Dinge<lb/>
anführen, die theils allbekannt, theils bereits an ver&#x017F;chiedenen<lb/>
Stellen der bisherigen Dar&#x017F;tellung (S. z. B. S. 137 fl.) berührt<lb/>
worden &#x017F;ind. Ich will mich lieber be&#x017F;chränken auf einen einzigen<lb/>
Punkt, aber einen Punkt, der zu den intere&#x017F;&#x017F;ante&#x017F;ten, lehrreich-<lb/>
&#x017F;ten und doch am wenig&#x017F;ten gewürdigten Parthien der römi-<lb/>
&#x017F;chen Verfa&#x017F;&#x017F;ung gehört.</p><lb/>
                    <p>Das Prinzip der Civilrechtspflege i&#x017F;t die Gerechtigkeit d. i.<lb/>
die Gleichmäßigkeit, und als Mittel zur Erreichung die&#x017F;es<lb/>
Zweckes haben wir früher (S. 31 fl.) die möglich&#x017F;te Objektivi-<lb/>
rung der anzuwendenden Rechtsnormen kennen lernen. Je<lb/>
&#x017F;chärfer, be&#x017F;timmter, detaillirter die&#x017F;elben bezeichnet werden kön-<lb/>
nen, je mehr der Einfluß des per&#x017F;önlichen Elements auf die<lb/>
Rechtspflege dadurch zurückgedrängt wird, de&#x017F;to be&#x017F;&#x017F;er.<note place="foot" n="411)">Darum war denn auch die Stellung des Prätors in der Rechts-<lb/>
pflege eine ganz andere, als die der übrigen römi&#x017F;chen Beamten, und alles,<lb/>
was von letzteren in der Folge ge&#x017F;agt werden wird, bezieht &#x017F;ich, wie ich &#x017F;chon<lb/>
hier bemerken will, nur auf &#x017F;ie, nicht auf den Prätor. Die Stellung des<lb/>
letztern i&#x017F;t bereits früher (S. 80 u. 108) berührt.</note> Ganz<lb/></p>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[268/0282] Zweit. Buch. Erſt. Abſchn. II. Die Grundtriebe. III. Der Freiheitstrieb. ken geflohen und in einer abſoluten Monarchie ſich niedergelaſ- ſen. Wo die Staatsgewalt ſich zur ausſchließlichen Quelle alles Rechts und aller Kraft gemacht, die Freiheit und Bewe- gung, die über den ganzen Organismus ausgebreitet ſein ſollte, ſich allein zugeeignet hat und nur von ſich aus entläßt, da hört der Raub, den die Staatsgewalt hier an der wahren Freiheit begangen, dadurch nicht auf es zu ſein, daß die republikaniſche Form der Verfaſſung jedem Einzelnen ſeinen homöopathiſch verdünnten Antheil an demſelben verſtattet. Darum gilt mir dieſe Form der römiſchen Staatsverfaſſung an und für ſich noch nicht als Beweis, daß der Geiſt ächter Freiheit ſie beſeelt habe. Aber es genügt wohl ein Blick auf die römiſche Welt, um dieſe Ueberzeugung in ſich hervorzurufen, und ich würde mir ſchwerlich den Dank des Leſers verdienen, wenn ich alle die Momente, auf die ſich dieſelbe ſtützen läßt, hier zuſammenſtellen wollte; ich müßte zu dem Zwecke Dinge anführen, die theils allbekannt, theils bereits an verſchiedenen Stellen der bisherigen Darſtellung (S. z. B. S. 137 fl.) berührt worden ſind. Ich will mich lieber beſchränken auf einen einzigen Punkt, aber einen Punkt, der zu den intereſſanteſten, lehrreich- ſten und doch am wenigſten gewürdigten Parthien der römi- ſchen Verfaſſung gehört. Das Prinzip der Civilrechtspflege iſt die Gerechtigkeit d. i. die Gleichmäßigkeit, und als Mittel zur Erreichung dieſes Zweckes haben wir früher (S. 31 fl.) die möglichſte Objektivi- rung der anzuwendenden Rechtsnormen kennen lernen. Je ſchärfer, beſtimmter, detaillirter dieſelben bezeichnet werden kön- nen, je mehr der Einfluß des perſönlichen Elements auf die Rechtspflege dadurch zurückgedrängt wird, deſto beſſer. 411) Ganz 411) Darum war denn auch die Stellung des Prätors in der Rechts- pflege eine ganz andere, als die der übrigen römiſchen Beamten, und alles, was von letzteren in der Folge geſagt werden wird, bezieht ſich, wie ich ſchon hier bemerken will, nur auf ſie, nicht auf den Prätor. Die Stellung des letztern iſt bereits früher (S. 80 u. 108) berührt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/282
Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 1. Leipzig, 1854, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0201_1854/282>, abgerufen am 26.04.2024.