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Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858.

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Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
damit die beiden Theile derselben unter einen Gesichtspunkt
zusammen -- daß das Festhalten an den Formen als solchen
nicht etwas rein Aeußerliches und Werthloses ist, sondern ein
Ausfluß und wesentliches Förderungsmittel des Zuges nach
Continuität der Entwicklung. Darum eben finden wir diese
Eigenschaft bei den Völkern am stärksten entwickelt, die sich
durch diesen Zug am meisten hervorthun; und so namentlich
auch beim römischen.

2. Der Formalismus des ältern Rechts.

Extensive Erstreckung der Form -- Uebersicht der formellen Ge-
schäfte -- die Scheingeschäfte, Begriff, Arten und Behandlung
derselben von Seiten der ältern Jurisprudenz -- die mancipatio,
in jure cessio, stipulatio.

XLVI. Hätte uns die Geschichte jede directe Auskunft über
das Verhalten des ältern Rechts zum Formalismus vorenthal-
ten, die übrigen Theile des römischen Alterthums würden uns
die Frage beantworten. Die Lust und Liebe zu der Form, das
Streben, das menschliche Thun und Treiben in feste Formen zu
bringen, das Unsichtbare sichtbar zu machen, kurz der Zug zum
Formalismus geht durch die ganze alte Welt. Der religiöse
Cultus, das Opfer, das Gebet, das Gelübde, die Auspi-
cien, kurz jede Berührung mit den Göttern hatte in alter
Zeit ihre bestimmten Formen und Formeln. In ebenso abge-
messenen und fest bestimmten Formen und Formeln bewegte
sich das öffentliche Leben, daheim wie nach außen, in der Volks-
versammlung wie in der Curie, im Krieg wie im Frieden. Der-
selbe Zug nach der Form beherrschte das Privatleben, die Sitte
des Hauses, das Auftreten in der Gesellschaft, den Verkehr. An
dem Kleide, das er trug, erkannte man den Freien und Skla-
ven, den Mündigen und Unmündigen, den Rang und den
Stand, den Bewerber um ein Amt und den in Anklagestand
Versetzten.

Jhering, Geist d. röm. Rechts. II. 35

Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46.
damit die beiden Theile derſelben unter einen Geſichtspunkt
zuſammen — daß das Feſthalten an den Formen als ſolchen
nicht etwas rein Aeußerliches und Werthloſes iſt, ſondern ein
Ausfluß und weſentliches Förderungsmittel des Zuges nach
Continuität der Entwicklung. Darum eben finden wir dieſe
Eigenſchaft bei den Völkern am ſtärkſten entwickelt, die ſich
durch dieſen Zug am meiſten hervorthun; und ſo namentlich
auch beim römiſchen.

2. Der Formalismus des ältern Rechts.

Extenſive Erſtreckung der Form — Ueberſicht der formellen Ge-
ſchäfte — die Scheingeſchäfte, Begriff, Arten und Behandlung
derſelben von Seiten der ältern Jurisprudenz — die mancipatio,
in jure cessio, stipulatio.

XLVI. Hätte uns die Geſchichte jede directe Auskunft über
das Verhalten des ältern Rechts zum Formalismus vorenthal-
ten, die übrigen Theile des römiſchen Alterthums würden uns
die Frage beantworten. Die Luſt und Liebe zu der Form, das
Streben, das menſchliche Thun und Treiben in feſte Formen zu
bringen, das Unſichtbare ſichtbar zu machen, kurz der Zug zum
Formalismus geht durch die ganze alte Welt. Der religiöſe
Cultus, das Opfer, das Gebet, das Gelübde, die Auſpi-
cien, kurz jede Berührung mit den Göttern hatte in alter
Zeit ihre beſtimmten Formen und Formeln. In ebenſo abge-
meſſenen und feſt beſtimmten Formen und Formeln bewegte
ſich das öffentliche Leben, daheim wie nach außen, in der Volks-
verſammlung wie in der Curie, im Krieg wie im Frieden. Der-
ſelbe Zug nach der Form beherrſchte das Privatleben, die Sitte
des Hauſes, das Auftreten in der Geſellſchaft, den Verkehr. An
dem Kleide, das er trug, erkannte man den Freien und Skla-
ven, den Mündigen und Unmündigen, den Rang und den
Stand, den Bewerber um ein Amt und den in Anklageſtand
Verſetzten.

Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 35
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[545/0251] Haften an der Aeußerlichkeit. III. Der Formalismus. §. 46. damit die beiden Theile derſelben unter einen Geſichtspunkt zuſammen — daß das Feſthalten an den Formen als ſolchen nicht etwas rein Aeußerliches und Werthloſes iſt, ſondern ein Ausfluß und weſentliches Förderungsmittel des Zuges nach Continuität der Entwicklung. Darum eben finden wir dieſe Eigenſchaft bei den Völkern am ſtärkſten entwickelt, die ſich durch dieſen Zug am meiſten hervorthun; und ſo namentlich auch beim römiſchen. 2. Der Formalismus des ältern Rechts. Extenſive Erſtreckung der Form — Ueberſicht der formellen Ge- ſchäfte — die Scheingeſchäfte, Begriff, Arten und Behandlung derſelben von Seiten der ältern Jurisprudenz — die mancipatio, in jure cessio, stipulatio. XLVI. Hätte uns die Geſchichte jede directe Auskunft über das Verhalten des ältern Rechts zum Formalismus vorenthal- ten, die übrigen Theile des römiſchen Alterthums würden uns die Frage beantworten. Die Luſt und Liebe zu der Form, das Streben, das menſchliche Thun und Treiben in feſte Formen zu bringen, das Unſichtbare ſichtbar zu machen, kurz der Zug zum Formalismus geht durch die ganze alte Welt. Der religiöſe Cultus, das Opfer, das Gebet, das Gelübde, die Auſpi- cien, kurz jede Berührung mit den Göttern hatte in alter Zeit ihre beſtimmten Formen und Formeln. In ebenſo abge- meſſenen und feſt beſtimmten Formen und Formeln bewegte ſich das öffentliche Leben, daheim wie nach außen, in der Volks- verſammlung wie in der Curie, im Krieg wie im Frieden. Der- ſelbe Zug nach der Form beherrſchte das Privatleben, die Sitte des Hauſes, das Auftreten in der Geſellſchaft, den Verkehr. An dem Kleide, das er trug, erkannte man den Freien und Skla- ven, den Mündigen und Unmündigen, den Rang und den Stand, den Bewerber um ein Amt und den in Anklageſtand Verſetzten. Jhering, Geiſt d. röm. Rechts. II. 35

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Zitationshilfe: Jhering, Rudolf von: Geist des römischen Rechts auf den verschiedenen Stufen seiner Entwicklung. Teil 2, Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/jhering_recht0202_1858/251>, abgerufen am 26.04.2024.