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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Philipp der Vierte.
in Saragossa die dort von Philipp II in Folge der Perez'schen
Händel errichtete, von den Aragonesen mit Ingrimm betrachtete
Bastille bemerkte und deren Bestimmung erfuhr, wandte er sich
sofort zu Olivares: "Graf, nehmt dieses presidio weg; ich will
nicht, dass meine jetzigen treuen Vasallen in dieser Weise ge-
kränkt werden." Sein gutes Herz zeigte sich in dem verzwei-
felten Kummer, als er einmal auf der Jagd durch Zufall einen
Bauern erschossen hatte. Gegen Bluturtheile hatte er ein solches
Widerstreben, dass die Gerechtigkeit darunter zu leiden schien,
troppo clemente nennt ihn Zorzi. Gut katholisch mit seinem Haus,
war in ihm nichts von der Bigotterie des Vaters und Gross-
vaters. Zweifelhafter ist sein Verdienst als Held zahlloser ga-
lanter Abenteuer, die sich indess meist unter dem Stand be-
wegten, der ihm am nächsten lag. Zane weiss, dass man ihm
zweiunddreissig natürliche Kinder zuschrieb, von denen er acht
anerkannt hatte.

Dabei war er ohne Zweifel ein Mann von vielseitigem Ta-
lent, wenn auch in Schilderungen der Zeitgenossen, eines Cal-
deron z. B., höfisch-dichterische Uebertreibung natürlich abzu-
ziehen ist1). Im Carneval von 1636 hatte er für das Fest in
Buen Retiro eine Arie componirt, die nach dem Zeugniss des
toskanischen Gesandten "nicht bloss Laien gefiel, sondern auch
von den Maestri gelobt wurde". Er spielte leidenschaftlich gern
in den improvisirten Comödien (comedias de repente), die im
engsten Kreise des Schlosses, in den Gemächern der Königin
gegeben wurden. Man traute ihm sogar zu, dass er unter einem
Ingenio de esta corte verborgen sei, von dem einige noch erhaltene
Comödien herrühren. Er lernte Sprachen und las Geschichtswerke,
er hatte eine Uebersetzung von Guicciardini begonnen. Die
spanischen Kunstschriftsteller nennen mit Lob allerlei Gemälde
und Zeichnungen von ihm, die längst verschollen sind, und von
denen das Richtige wol Zane gesagt haben mag, "dass wenn
sonst die Werke den Meister loben, hier der Meister es ist, der
der Arbeit ihren Werth gibt". Doch gesteht ihm auch dieser

1) [Spaltenumbruch]
Con el pincel es segundo
autor de naturaleza;
las clausulas mas suaves
de la musica penetra.
En efecto de las artes
[Spaltenumbruch] no hay alguna, que no sepa,
y todas, sin profesion,
halladas por excelencia.
Calderon, la banda y la flor.
13

Philipp der Vierte.
in Saragossa die dort von Philipp II in Folge der Perez’schen
Händel errichtete, von den Aragonesen mit Ingrimm betrachtete
Bastille bemerkte und deren Bestimmung erfuhr, wandte er sich
sofort zu Olivares: „Graf, nehmt dieses presidio weg; ich will
nicht, dass meine jetzigen treuen Vasallen in dieser Weise ge-
kränkt werden.“ Sein gutes Herz zeigte sich in dem verzwei-
felten Kummer, als er einmal auf der Jagd durch Zufall einen
Bauern erschossen hatte. Gegen Bluturtheile hatte er ein solches
Widerstreben, dass die Gerechtigkeit darunter zu leiden schien,
troppo clemente nennt ihn Zorzi. Gut katholisch mit seinem Haus,
war in ihm nichts von der Bigotterie des Vaters und Gross-
vaters. Zweifelhafter ist sein Verdienst als Held zahlloser ga-
lanter Abenteuer, die sich indess meist unter dem Stand be-
wegten, der ihm am nächsten lag. Zane weiss, dass man ihm
zweiunddreissig natürliche Kinder zuschrieb, von denen er acht
anerkannt hatte.

Dabei war er ohne Zweifel ein Mann von vielseitigem Ta-
lent, wenn auch in Schilderungen der Zeitgenossen, eines Cal-
deron z. B., höfisch-dichterische Uebertreibung natürlich abzu-
ziehen ist1). Im Carneval von 1636 hatte er für das Fest in
Buen Retiro eine Arie componirt, die nach dem Zeugniss des
toskanischen Gesandten „nicht bloss Laien gefiel, sondern auch
von den Maestri gelobt wurde“. Er spielte leidenschaftlich gern
in den improvisirten Comödien (comedias de repente), die im
engsten Kreise des Schlosses, in den Gemächern der Königin
gegeben wurden. Man traute ihm sogar zu, dass er unter einem
Ingenio de esta corte verborgen sei, von dem einige noch erhaltene
Comödien herrühren. Er lernte Sprachen und las Geschichtswerke,
er hatte eine Uebersetzung von Guicciardini begonnen. Die
spanischen Kunstschriftsteller nennen mit Lob allerlei Gemälde
und Zeichnungen von ihm, die längst verschollen sind, und von
denen das Richtige wol Zane gesagt haben mag, „dass wenn
sonst die Werke den Meister loben, hier der Meister es ist, der
der Arbeit ihren Werth gibt“. Doch gesteht ihm auch dieser

1) [Spaltenumbruch]
Con el pincel es segundo
autor de naturaleza;
las claúsulas mas suaves
de la música penetra.
En efecto de las artes
[Spaltenumbruch] no hay alguna, que no sepa,
y todas, sin profesion,
halladas por excelencia.
Calderon, la banda y la flor.
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[193/0215] Philipp der Vierte. in Saragossa die dort von Philipp II in Folge der Perez’schen Händel errichtete, von den Aragonesen mit Ingrimm betrachtete Bastille bemerkte und deren Bestimmung erfuhr, wandte er sich sofort zu Olivares: „Graf, nehmt dieses presidio weg; ich will nicht, dass meine jetzigen treuen Vasallen in dieser Weise ge- kränkt werden.“ Sein gutes Herz zeigte sich in dem verzwei- felten Kummer, als er einmal auf der Jagd durch Zufall einen Bauern erschossen hatte. Gegen Bluturtheile hatte er ein solches Widerstreben, dass die Gerechtigkeit darunter zu leiden schien, troppo clemente nennt ihn Zorzi. Gut katholisch mit seinem Haus, war in ihm nichts von der Bigotterie des Vaters und Gross- vaters. Zweifelhafter ist sein Verdienst als Held zahlloser ga- lanter Abenteuer, die sich indess meist unter dem Stand be- wegten, der ihm am nächsten lag. Zane weiss, dass man ihm zweiunddreissig natürliche Kinder zuschrieb, von denen er acht anerkannt hatte. Dabei war er ohne Zweifel ein Mann von vielseitigem Ta- lent, wenn auch in Schilderungen der Zeitgenossen, eines Cal- deron z. B., höfisch-dichterische Uebertreibung natürlich abzu- ziehen ist 1). Im Carneval von 1636 hatte er für das Fest in Buen Retiro eine Arie componirt, die nach dem Zeugniss des toskanischen Gesandten „nicht bloss Laien gefiel, sondern auch von den Maestri gelobt wurde“. Er spielte leidenschaftlich gern in den improvisirten Comödien (comedias de repente), die im engsten Kreise des Schlosses, in den Gemächern der Königin gegeben wurden. Man traute ihm sogar zu, dass er unter einem Ingenio de esta corte verborgen sei, von dem einige noch erhaltene Comödien herrühren. Er lernte Sprachen und las Geschichtswerke, er hatte eine Uebersetzung von Guicciardini begonnen. Die spanischen Kunstschriftsteller nennen mit Lob allerlei Gemälde und Zeichnungen von ihm, die längst verschollen sind, und von denen das Richtige wol Zane gesagt haben mag, „dass wenn sonst die Werke den Meister loben, hier der Meister es ist, der der Arbeit ihren Werth gibt“. Doch gesteht ihm auch dieser 1) Con el pincel es segundo autor de naturaleza; las claúsulas mas suaves de la música penetra. En efecto de las artes no hay alguna, que no sepa, y todas, sin profesion, halladas por excelencia. Calderon, la banda y la flor. 13

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/215>, abgerufen am 26.04.2024.