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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Drittes Buch.
Ribera's noch 1648: "Und mein Schwiegersohn befolgt denselben
Weg" (II, 16).

Wie erstaunte er, als ihm gerade von dieser Seite eine Be-
stätigung seiner neuen Methode zu Theil wurde! Als er ihn mit
Verehrung von den Malern des sechszehnten Jahrhunderts reden
hörte, den finstern Chiaroscuristen als Schöpfer ganz lichter,
farbenschöner, sonniger Bilder kennen lernte, in welchen Tizian's
Kunst wiederaufgelebt schien, während er zu verstehen gab,
dass jener dunkle und schreckliche Stil ein Zugeständniss an den
Modegeschmack sei.

Freilich fehlt über die Begegnung beider Männer jeder Be-
richt. Allein ich glaube, man wird meiner Vermuthung Wahr-
scheinlichkeit nicht absprechen. Wie dieser Mann wirklich ge-
dacht hat, darüber ist man neuerdings durch den ganz glaubwür-
digen Bericht eines Zeitgenossen belehrt worden 1). Diese authen-
tischen Aeusserungen, zusammen mit einem sorgfältigen Studium
seiner Werke geben ein ganz anderes Bild von ihm, als die
Ueberlieferung. Die Kunstgeschichte malt ihn als einen Natu-
ralisten, "Faustmaler", Verächter der grossen Vorfahren; und
was noch schlimmer ist, als das eingebildete, eifer- und herrsch-
süchtige, neidisch-intriguante, gegen seine Kollegen sogar ge-
waltthätige Haupt einer Camorra. Aber Ribera ist mehr als
andere ein Stiefkind der Ueberlieferung: diesen Mann, der sich
nie durch kupplerische Speculation auf die rohe Sinnlichkeit
des Zeitalters erniedrigt hat, kannten wir nur aus den im That-
sächlichen unzuverlässigen, in der Gesinnung feindseligen Auf-
zeichnungen der Neapolitaner. Das ist aber noch nicht alles:
auch die Urkunden seiner Kunst sind in weitestem Umfang ver-
fälscht worden: Schulbilder und Nachahmungen überschwemmen
unsere Galerien, und selbst das wenige was echt ist, gehört der
geringwerthigeren Hälfte seines Werks an; in Deutschland giebt
es von ihm nur zwei vorzügliche Bilder; da ist es kein Wunder,
dass noch Niemand Lust gehabt hat, seine "Rettung" zu unter-
nehmen, ja nur sich mit ihm zu beschäftigen.

Es war im Jahre 1625, als ihn der Maler Jusepe Martinez
aus Saragossa in Neapel aufsuchte. Da Leute wie er überhaupt
nicht viele Ideen im Kopf zu haben pflegen, so darf man anneh-
men, dass er zu Velazquez ungefähr dasselbe gesagt hat, wie

1) Jusepe Martinez, Discursos practicables del nobilisimo arte de la pintura,
public. p. D. Valentin Carderera. Madrid 1866. S. 33 ff.

Drittes Buch.
Ribera’s noch 1648: „Und mein Schwiegersohn befolgt denselben
Weg“ (II, 16).

Wie erstaunte er, als ihm gerade von dieser Seite eine Be-
stätigung seiner neuen Methode zu Theil wurde! Als er ihn mit
Verehrung von den Malern des sechszehnten Jahrhunderts reden
hörte, den finstern Chiaroscuristen als Schöpfer ganz lichter,
farbenschöner, sonniger Bilder kennen lernte, in welchen Tizian’s
Kunst wiederaufgelebt schien, während er zu verstehen gab,
dass jener dunkle und schreckliche Stil ein Zugeständniss an den
Modegeschmack sei.

Freilich fehlt über die Begegnung beider Männer jeder Be-
richt. Allein ich glaube, man wird meiner Vermuthung Wahr-
scheinlichkeit nicht absprechen. Wie dieser Mann wirklich ge-
dacht hat, darüber ist man neuerdings durch den ganz glaubwür-
digen Bericht eines Zeitgenossen belehrt worden 1). Diese authen-
tischen Aeusserungen, zusammen mit einem sorgfältigen Studium
seiner Werke geben ein ganz anderes Bild von ihm, als die
Ueberlieferung. Die Kunstgeschichte malt ihn als einen Natu-
ralisten, „Faustmaler“, Verächter der grossen Vorfahren; und
was noch schlimmer ist, als das eingebildete, eifer- und herrsch-
süchtige, neidisch-intriguante, gegen seine Kollegen sogar ge-
waltthätige Haupt einer Camorra. Aber Ribera ist mehr als
andere ein Stiefkind der Ueberlieferung: diesen Mann, der sich
nie durch kupplerische Speculation auf die rohe Sinnlichkeit
des Zeitalters erniedrigt hat, kannten wir nur aus den im That-
sächlichen unzuverlässigen, in der Gesinnung feindseligen Auf-
zeichnungen der Neapolitaner. Das ist aber noch nicht alles:
auch die Urkunden seiner Kunst sind in weitestem Umfang ver-
fälscht worden: Schulbilder und Nachahmungen überschwemmen
unsere Galerien, und selbst das wenige was echt ist, gehört der
geringwerthigeren Hälfte seines Werks an; in Deutschland giebt
es von ihm nur zwei vorzügliche Bilder; da ist es kein Wunder,
dass noch Niemand Lust gehabt hat, seine „Rettung“ zu unter-
nehmen, ja nur sich mit ihm zu beschäftigen.

Es war im Jahre 1625, als ihn der Maler Jusepe Martinez
aus Saragossa in Neapel aufsuchte. Da Leute wie er überhaupt
nicht viele Ideen im Kopf zu haben pflegen, so darf man anneh-
men, dass er zu Velazquez ungefähr dasselbe gesagt hat, wie

1) Jusepe Martinez, Discursos practicables del nobilísimo arte de la pintura,
public. p. D. Valentin Carderera. Madrid 1866. S. 33 ff.
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[320/0346] Drittes Buch. Ribera’s noch 1648: „Und mein Schwiegersohn befolgt denselben Weg“ (II, 16). Wie erstaunte er, als ihm gerade von dieser Seite eine Be- stätigung seiner neuen Methode zu Theil wurde! Als er ihn mit Verehrung von den Malern des sechszehnten Jahrhunderts reden hörte, den finstern Chiaroscuristen als Schöpfer ganz lichter, farbenschöner, sonniger Bilder kennen lernte, in welchen Tizian’s Kunst wiederaufgelebt schien, während er zu verstehen gab, dass jener dunkle und schreckliche Stil ein Zugeständniss an den Modegeschmack sei. Freilich fehlt über die Begegnung beider Männer jeder Be- richt. Allein ich glaube, man wird meiner Vermuthung Wahr- scheinlichkeit nicht absprechen. Wie dieser Mann wirklich ge- dacht hat, darüber ist man neuerdings durch den ganz glaubwür- digen Bericht eines Zeitgenossen belehrt worden 1). Diese authen- tischen Aeusserungen, zusammen mit einem sorgfältigen Studium seiner Werke geben ein ganz anderes Bild von ihm, als die Ueberlieferung. Die Kunstgeschichte malt ihn als einen Natu- ralisten, „Faustmaler“, Verächter der grossen Vorfahren; und was noch schlimmer ist, als das eingebildete, eifer- und herrsch- süchtige, neidisch-intriguante, gegen seine Kollegen sogar ge- waltthätige Haupt einer Camorra. Aber Ribera ist mehr als andere ein Stiefkind der Ueberlieferung: diesen Mann, der sich nie durch kupplerische Speculation auf die rohe Sinnlichkeit des Zeitalters erniedrigt hat, kannten wir nur aus den im That- sächlichen unzuverlässigen, in der Gesinnung feindseligen Auf- zeichnungen der Neapolitaner. Das ist aber noch nicht alles: auch die Urkunden seiner Kunst sind in weitestem Umfang ver- fälscht worden: Schulbilder und Nachahmungen überschwemmen unsere Galerien, und selbst das wenige was echt ist, gehört der geringwerthigeren Hälfte seines Werks an; in Deutschland giebt es von ihm nur zwei vorzügliche Bilder; da ist es kein Wunder, dass noch Niemand Lust gehabt hat, seine „Rettung“ zu unter- nehmen, ja nur sich mit ihm zu beschäftigen. Es war im Jahre 1625, als ihn der Maler Jusepe Martinez aus Saragossa in Neapel aufsuchte. Da Leute wie er überhaupt nicht viele Ideen im Kopf zu haben pflegen, so darf man anneh- men, dass er zu Velazquez ungefähr dasselbe gesagt hat, wie 1) Jusepe Martinez, Discursos practicables del nobilísimo arte de la pintura, public. p. D. Valentin Carderera. Madrid 1866. S. 33 ff.

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/346>, abgerufen am 19.03.2024.