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Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888.

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Erstes Buch.
Einfalt altflämischer Meister an (Taufkapelle der Kathedrale),
da taucht auf einmal der goldene Schein wieder auf; zuweilen
steht ein Verehrer unten (in dem wenig glücklichen Berliner
Exemplar der abstossend hässliche Fernando de Mata). Doch
blieb er in dieser Gestalt immer etwas hieratisch, und so gefiel er
seinen Landsleuten besser als in seinen freieren, mehr und mehr
in Licht und Farbe sich entzündenden Bildern. Dieser ersten
Zeit gehört auch der Tod des Hermenegildus im Hospital de la
Sangre an. Der Unterschied zwischen den Bildern dieser ersten
Manier und den nun folgenden ist ausserordentlich gross.

Der Santiago in der Schlacht bei Clavijo (Cathedrale, 1609),
dieser im kampflustigen Castilien zu einem Cid verweltlichte
Apostel (ein zweiter Würgengel des Sanherib, sagt Lope) wie
er im weissen Mantel, die weisse Fahne schwingend, auf dämo-
nischem Schimmel, wie eine Windsbraut, in das Gewühl über-
einander stürzender und zerhauener Mohren hineinbraust und
aus dem Bild heraus; im Hintergrund ein Meer von hundert-
tausend Reitern; dieser sagrado adalid ist eine Gestalt von dort
noch nicht gesehener Gewalt der Bewegung und des Helldunkels:
er ist von der Folgezeit, die sich auf Leidenschaftlichkeit etwas
zu Gute that (wie von Francisco Ricci in Santiago zu Madrid)
nicht von ferne erreicht worden.

Sein Tod des heil. Isidor von Sevilla (in dessen Kirche), eine
Scene zugleich liturgisch feierlich und pathetisch unmittelbar, ist
dagegen ein Versuch, den figurenreichen Vorgang in vollem Tages-
licht einer hellen Kirche zu malen, deren Perspektive wie ein Spie-
gelbild erscheint (denn ebendort sollte die Geschichte stattgefunden
haben). Es ist ein Klerusstück, in dem uns Wesen und Gebahren
spanischer Geistlichen und Laien bei Funktionen von berufenster
Hand vor Augen geführt wird: Zurbaran scheint hier anticipirt.
Die Erzählung ist rein realistisch; aber er hat in dem sterben-
den Greis die unendliche, vergeistigende Arbeit eines langen
Lebens von That und Gedanken ausgedrückt, während Domeni-
chino z. B. in seinem heil. Hieronymus nur den widrigen physischen
Verfall malte.

Die Marter des Apostels Andreas (aus der Kapelle der
Flamländer in S. Thomas, im Museum) ist im Geschmack der
pasos, mit allem Pomp einer heiligen Schaffotscene: Paschas,
geschäftseifrigen Henkersknechten, grinsenden Buben, verschüch-
terten Gläubigen. Die ausführliche Physiognomik der gemeinen
Männer im Vordergrund, die lebhaften Farben (gelb, orange,

Erstes Buch.
Einfalt altflämischer Meister an (Taufkapelle der Kathedrale),
da taucht auf einmal der goldene Schein wieder auf; zuweilen
steht ein Verehrer unten (in dem wenig glücklichen Berliner
Exemplar der abstossend hässliche Fernando de Mata). Doch
blieb er in dieser Gestalt immer etwas hieratisch, und so gefiel er
seinen Landsleuten besser als in seinen freieren, mehr und mehr
in Licht und Farbe sich entzündenden Bildern. Dieser ersten
Zeit gehört auch der Tod des Hermenegildus im Hospital de la
Sangre an. Der Unterschied zwischen den Bildern dieser ersten
Manier und den nun folgenden ist ausserordentlich gross.

Der Santiago in der Schlacht bei Clavijo (Cathedrale, 1609),
dieser im kampflustigen Castilien zu einem Cid verweltlichte
Apostel (ein zweiter Würgengel des Sanherib, sagt Lope) wie
er im weissen Mantel, die weisse Fahne schwingend, auf dämo-
nischem Schimmel, wie eine Windsbraut, in das Gewühl über-
einander stürzender und zerhauener Mohren hineinbraust und
aus dem Bild heraus; im Hintergrund ein Meer von hundert-
tausend Reitern; dieser sagrado adalid ist eine Gestalt von dort
noch nicht gesehener Gewalt der Bewegung und des Helldunkels:
er ist von der Folgezeit, die sich auf Leidenschaftlichkeit etwas
zu Gute that (wie von Francisco Ricci in Santiago zu Madrid)
nicht von ferne erreicht worden.

Sein Tod des heil. Isidor von Sevilla (in dessen Kirche), eine
Scene zugleich liturgisch feierlich und pathetisch unmittelbar, ist
dagegen ein Versuch, den figurenreichen Vorgang in vollem Tages-
licht einer hellen Kirche zu malen, deren Perspektive wie ein Spie-
gelbild erscheint (denn ebendort sollte die Geschichte stattgefunden
haben). Es ist ein Klerusstück, in dem uns Wesen und Gebahren
spanischer Geistlichen und Laien bei Funktionen von berufenster
Hand vor Augen geführt wird: Zurbaran scheint hier anticipirt.
Die Erzählung ist rein realistisch; aber er hat in dem sterben-
den Greis die unendliche, vergeistigende Arbeit eines langen
Lebens von That und Gedanken ausgedrückt, während Domeni-
chino z. B. in seinem heil. Hieronymus nur den widrigen physischen
Verfall malte.

Die Marter des Apostels Andreas (aus der Kapelle der
Flamländer in S. Thomas, im Museum) ist im Geschmack der
pasos, mit allem Pomp einer heiligen Schaffotscene: Paschas,
geschäftseifrigen Henkersknechten, grinsenden Buben, verschüch-
terten Gläubigen. Die ausführliche Physiognomik der gemeinen
Männer im Vordergrund, die lebhaften Farben (gelb, orange,

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[54/0074] Erstes Buch. Einfalt altflämischer Meister an (Taufkapelle der Kathedrale), da taucht auf einmal der goldene Schein wieder auf; zuweilen steht ein Verehrer unten (in dem wenig glücklichen Berliner Exemplar der abstossend hässliche Fernando de Mata). Doch blieb er in dieser Gestalt immer etwas hieratisch, und so gefiel er seinen Landsleuten besser als in seinen freieren, mehr und mehr in Licht und Farbe sich entzündenden Bildern. Dieser ersten Zeit gehört auch der Tod des Hermenegildus im Hospital de la Sangre an. Der Unterschied zwischen den Bildern dieser ersten Manier und den nun folgenden ist ausserordentlich gross. Der Santiago in der Schlacht bei Clavijo (Cathedrale, 1609), dieser im kampflustigen Castilien zu einem Cid verweltlichte Apostel (ein zweiter Würgengel des Sanherib, sagt Lope) wie er im weissen Mantel, die weisse Fahne schwingend, auf dämo- nischem Schimmel, wie eine Windsbraut, in das Gewühl über- einander stürzender und zerhauener Mohren hineinbraust und aus dem Bild heraus; im Hintergrund ein Meer von hundert- tausend Reitern; dieser sagrado adalid ist eine Gestalt von dort noch nicht gesehener Gewalt der Bewegung und des Helldunkels: er ist von der Folgezeit, die sich auf Leidenschaftlichkeit etwas zu Gute that (wie von Francisco Ricci in Santiago zu Madrid) nicht von ferne erreicht worden. Sein Tod des heil. Isidor von Sevilla (in dessen Kirche), eine Scene zugleich liturgisch feierlich und pathetisch unmittelbar, ist dagegen ein Versuch, den figurenreichen Vorgang in vollem Tages- licht einer hellen Kirche zu malen, deren Perspektive wie ein Spie- gelbild erscheint (denn ebendort sollte die Geschichte stattgefunden haben). Es ist ein Klerusstück, in dem uns Wesen und Gebahren spanischer Geistlichen und Laien bei Funktionen von berufenster Hand vor Augen geführt wird: Zurbaran scheint hier anticipirt. Die Erzählung ist rein realistisch; aber er hat in dem sterben- den Greis die unendliche, vergeistigende Arbeit eines langen Lebens von That und Gedanken ausgedrückt, während Domeni- chino z. B. in seinem heil. Hieronymus nur den widrigen physischen Verfall malte. Die Marter des Apostels Andreas (aus der Kapelle der Flamländer in S. Thomas, im Museum) ist im Geschmack der pasos, mit allem Pomp einer heiligen Schaffotscene: Paschas, geschäftseifrigen Henkersknechten, grinsenden Buben, verschüch- terten Gläubigen. Die ausführliche Physiognomik der gemeinen Männer im Vordergrund, die lebhaften Farben (gelb, orange,

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Zitationshilfe: Justi, Carl: Diego Velazquez und sein Jahrhundert. Bd. 1. Bonn, 1888, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/justi_velazquez01_1888/74>, abgerufen am 26.04.2024.