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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777.

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Drit. Kap. Folge der geistlichen Erbkaiser etc.
aus dem Geschlechte Cin, der ein berühmter Prinz sowol in den chinesischen als japanischen
Geschichten ist; er war wegen seiner Verschwendung und Pracht auch sehr berüchtigt, und
wurde seiner Grausamkeit und tyrannischen Regierung halber über alle Maaße gefürchtet.
Er kam auf den chinesischen Thron im 246ten Jahr vor Christi Geburt, und starb nach
37jähriger Regierung im 50ten Jahr seines Alters. Von den vielen Exempeln seiner
Verschwendung und grausamen Regierung, deren in meinen japanischen Quellen Meldung
geschieht, wil ich nur wenige anführen. Er lies einmal eine große See ausgraben mit
chinesischem Reisbiere füllen, und dann mit seinen Maitressen ganz nakt in Booten sich über-
fahren. Er bauete auch die berühmte chinesische Mauer 300*) deutsche Meilen lang, um

da-
[Spaltenumbruch] sehr merkwürdiges Wesen, in die sinesische Ge-
schichte hineingebracht und dadurch also seine Nach-
richten überhaupt verdächtig gemacht habe. Der
gute Mann hätte aber bey einer nur einigermaßen
aufmerksamen Vergleichung der angeführten Schrift-
steller leicht wahrnehmen können, daß eben der Kai-
ser, den Kämpfer nach japanischen Annalen Sikwo
nent, bey Couplet Xi- hoamti und bey Martinius
Chingus oder Xius heiße. Nach jenem fieng er
seine Regierung 237, nach diesem 246 Jahre vor
Christo an. Deguignes nent ihn Tshing-vang
und sezt ihn ins J. 246. Dieser Gelehrte sucht
ihn gegen die Beschuldigungen der Grausamkeit
und Tyrannei zu rechtfertigen, die ihm von un-
serm Schriftsteller und andern gemacht werden, ---
wie mich dünkt, aber nicht mit Ueberzeugung eines
aufmerksamen Lesers. So lange man die von ihm
erzählte Handlungen als wahr annimt; (und dies
thut Deguignes) so kan man auch wol nicht läug-
nen, daß Tshing-vang ein wahrer sinesischer Nero
war; und meiner Einsicht nach, behandelt der
hochachtungswürdige Herr Hofrath Gatterer den
Tshing-vang viel zu gütig, wenn er (s. sein Hand-
buch der Universalhistorie Th. 2. p. 60) die Aeuße-
rungen seiner so unmenschlichen, barbarischen, die
Aufklärung der Nation hassenden (dies beweist der
Bücherbrand) Tyrannei mit der manchmal freilich
[Spaltenumbruch] auch despotischen und grausamen Härte Peters des
Großen von Rusland vergleicht.
*) Tshing-vang bauete diese Mauer nicht
zuerst, sondern er verband nur die verschiednen An-
lagen von Mauern, welche die kleinen, von ihm
überwundnen Könige lange vorher gegen die Ein-
fälle der Tataren gemacht hatten. Daß diese Mauer
aber bei weitem nicht den gewöhnlichen Begriffen
in Europa von derselben entspreche, oder vielmehr
wahrscheinlich gar nicht die heutige chinesische Mauer
sey, wird schon dadurch hinlänglich bewiesen, daß
Marko Polo im 13ten Jahrhundert mit der ganzen
Armee des Kublaikhaus nach China kommen, und
wieder zurükreisen konte, ohne von der chinesischen
Mauer etwas gesehn oder nur gehört zu haben.
Diese Bemerkung, dünkt mich, ist entscheidend,
wenn gleich einige Gelehrte sich ängstlich bemüht
haben, einen Weg auszufinden, wie Marko Polo
hätte nach China kommen können, ohne von der
großen Mauer etwas zu sehen. S. Kircheri Sina
illustrata, p.
90. und Martinii Atlas Sin. p. 74.
Jn einem Buche, das vermuthlich allen meinen
Lesern zur Hand ist, sind noch neuerlich so scharf-
sinnige, und, meiner Ueberzeugung nach, gegrün-
dete Bemerkungen über diese berühmte Mauer
gemacht, daß ich es besser halte, dahin (S. Ke
cherche'

Drit. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer ꝛc.
aus dem Geſchlechte Cin, der ein beruͤhmter Prinz ſowol in den chineſiſchen als japaniſchen
Geſchichten iſt; er war wegen ſeiner Verſchwendung und Pracht auch ſehr beruͤchtigt, und
wurde ſeiner Grauſamkeit und tyranniſchen Regierung halber uͤber alle Maaße gefuͤrchtet.
Er kam auf den chineſiſchen Thron im 246ten Jahr vor Chriſti Geburt, und ſtarb nach
37jaͤhriger Regierung im 50ten Jahr ſeines Alters. Von den vielen Exempeln ſeiner
Verſchwendung und grauſamen Regierung, deren in meinen japaniſchen Quellen Meldung
geſchieht, wil ich nur wenige anfuͤhren. Er lies einmal eine große See ausgraben mit
chineſiſchem Reisbiere fuͤllen, und dann mit ſeinen Maitreſſen ganz nakt in Booten ſich uͤber-
fahren. Er bauete auch die beruͤhmte chineſiſche Mauer 300*) deutſche Meilen lang, um

da-
[Spaltenumbruch] ſehr merkwuͤrdiges Weſen, in die ſineſiſche Ge-
ſchichte hineingebracht und dadurch alſo ſeine Nach-
richten uͤberhaupt verdaͤchtig gemacht habe. Der
gute Mann haͤtte aber bey einer nur einigermaßen
aufmerkſamen Vergleichung der angefuͤhrten Schrift-
ſteller leicht wahrnehmen koͤnnen, daß eben der Kai-
ſer, den Kaͤmpfer nach japaniſchen Annalen Sikwo
nent, bey Couplet Xi- hoamti und bey Martinius
Chingus oder Xius heiße. Nach jenem fieng er
ſeine Regierung 237, nach dieſem 246 Jahre vor
Chriſto an. Deguignes nent ihn Tſhing-vang
und ſezt ihn ins J. 246. Dieſer Gelehrte ſucht
ihn gegen die Beſchuldigungen der Grauſamkeit
und Tyrannei zu rechtfertigen, die ihm von un-
ſerm Schriftſteller und andern gemacht werden, ---
wie mich duͤnkt, aber nicht mit Ueberzeugung eines
aufmerkſamen Leſers. So lange man die von ihm
erzaͤhlte Handlungen als wahr annimt; (und dies
thut Deguignes) ſo kan man auch wol nicht laͤug-
nen, daß Tſhing-vang ein wahrer ſineſiſcher Nero
war; und meiner Einſicht nach, behandelt der
hochachtungswuͤrdige Herr Hofrath Gatterer den
Tſhing-vang viel zu guͤtig, wenn er (ſ. ſein Hand-
buch der Univerſalhiſtorie Th. 2. p. 60) die Aeuße-
rungen ſeiner ſo unmenſchlichen, barbariſchen, die
Aufklaͤrung der Nation haſſenden (dies beweiſt der
Buͤcherbrand) Tyrannei mit der manchmal freilich
[Spaltenumbruch] auch deſpotiſchen und grauſamen Haͤrte Peters des
Großen von Rusland vergleicht.
*) Tſhing-vang bauete dieſe Mauer nicht
zuerſt, ſondern er verband nur die verſchiednen An-
lagen von Mauern, welche die kleinen, von ihm
uͤberwundnen Koͤnige lange vorher gegen die Ein-
faͤlle der Tataren gemacht hatten. Daß dieſe Mauer
aber bei weitem nicht den gewoͤhnlichen Begriffen
in Europa von derſelben entſpreche, oder vielmehr
wahrſcheinlich gar nicht die heutige chineſiſche Mauer
ſey, wird ſchon dadurch hinlaͤnglich bewieſen, daß
Marko Polo im 13ten Jahrhundert mit der ganzen
Armee des Kublaikhaus nach China kommen, und
wieder zuruͤkreiſen konte, ohne von der chineſiſchen
Mauer etwas geſehn oder nur gehoͤrt zu haben.
Dieſe Bemerkung, duͤnkt mich, iſt entſcheidend,
wenn gleich einige Gelehrte ſich aͤngſtlich bemuͤht
haben, einen Weg auszufinden, wie Marko Polo
haͤtte nach China kommen koͤnnen, ohne von der
großen Mauer etwas zu ſehen. S. Kircheri Sina
illuſtrata, p.
90. und Martinii Atlas Sin. p. 74.
Jn einem Buche, das vermuthlich allen meinen
Leſern zur Hand iſt, ſind noch neuerlich ſo ſcharf-
ſinnige, und, meiner Ueberzeugung nach, gegruͤn-
dete Bemerkungen uͤber dieſe beruͤhmte Mauer
gemacht, daß ich es beſſer halte, dahin (S. Ke
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[191/0295] Drit. Kap. Folge der geiſtlichen Erbkaiſer ꝛc. aus dem Geſchlechte Cin, der ein beruͤhmter Prinz ſowol in den chineſiſchen als japaniſchen Geſchichten iſt; er war wegen ſeiner Verſchwendung und Pracht auch ſehr beruͤchtigt, und wurde ſeiner Grauſamkeit und tyranniſchen Regierung halber uͤber alle Maaße gefuͤrchtet. Er kam auf den chineſiſchen Thron im 246ten Jahr vor Chriſti Geburt, und ſtarb nach 37jaͤhriger Regierung im 50ten Jahr ſeines Alters. Von den vielen Exempeln ſeiner Verſchwendung und grauſamen Regierung, deren in meinen japaniſchen Quellen Meldung geſchieht, wil ich nur wenige anfuͤhren. Er lies einmal eine große See ausgraben mit chineſiſchem Reisbiere fuͤllen, und dann mit ſeinen Maitreſſen ganz nakt in Booten ſich uͤber- fahren. Er bauete auch die beruͤhmte chineſiſche Mauer 300 *) deutſche Meilen lang, um da- ††††) *) Tſhing-vang bauete dieſe Mauer nicht zuerſt, ſondern er verband nur die verſchiednen An- lagen von Mauern, welche die kleinen, von ihm uͤberwundnen Koͤnige lange vorher gegen die Ein- faͤlle der Tataren gemacht hatten. Daß dieſe Mauer aber bei weitem nicht den gewoͤhnlichen Begriffen in Europa von derſelben entſpreche, oder vielmehr wahrſcheinlich gar nicht die heutige chineſiſche Mauer ſey, wird ſchon dadurch hinlaͤnglich bewieſen, daß Marko Polo im 13ten Jahrhundert mit der ganzen Armee des Kublaikhaus nach China kommen, und wieder zuruͤkreiſen konte, ohne von der chineſiſchen Mauer etwas geſehn oder nur gehoͤrt zu haben. Dieſe Bemerkung, duͤnkt mich, iſt entſcheidend, wenn gleich einige Gelehrte ſich aͤngſtlich bemuͤht haben, einen Weg auszufinden, wie Marko Polo haͤtte nach China kommen koͤnnen, ohne von der großen Mauer etwas zu ſehen. S. Kircheri Sina illuſtrata, p. 90. und Martinii Atlas Sin. p. 74. Jn einem Buche, das vermuthlich allen meinen Leſern zur Hand iſt, ſind noch neuerlich ſo ſcharf- ſinnige, und, meiner Ueberzeugung nach, gegruͤn- dete Bemerkungen uͤber dieſe beruͤhmte Mauer gemacht, daß ich es beſſer halte, dahin (S. Ke cherche’ ††††) ſehr merkwuͤrdiges Weſen, in die ſineſiſche Ge- ſchichte hineingebracht und dadurch alſo ſeine Nach- richten uͤberhaupt verdaͤchtig gemacht habe. Der gute Mann haͤtte aber bey einer nur einigermaßen aufmerkſamen Vergleichung der angefuͤhrten Schrift- ſteller leicht wahrnehmen koͤnnen, daß eben der Kai- ſer, den Kaͤmpfer nach japaniſchen Annalen Sikwo nent, bey Couplet Xi- hoamti und bey Martinius Chingus oder Xius heiße. Nach jenem fieng er ſeine Regierung 237, nach dieſem 246 Jahre vor Chriſto an. Deguignes nent ihn Tſhing-vang und ſezt ihn ins J. 246. Dieſer Gelehrte ſucht ihn gegen die Beſchuldigungen der Grauſamkeit und Tyrannei zu rechtfertigen, die ihm von un- ſerm Schriftſteller und andern gemacht werden, --- wie mich duͤnkt, aber nicht mit Ueberzeugung eines aufmerkſamen Leſers. So lange man die von ihm erzaͤhlte Handlungen als wahr annimt; (und dies thut Deguignes) ſo kan man auch wol nicht laͤug- nen, daß Tſhing-vang ein wahrer ſineſiſcher Nero war; und meiner Einſicht nach, behandelt der hochachtungswuͤrdige Herr Hofrath Gatterer den Tſhing-vang viel zu guͤtig, wenn er (ſ. ſein Hand- buch der Univerſalhiſtorie Th. 2. p. 60) die Aeuße- rungen ſeiner ſo unmenſchlichen, barbariſchen, die Aufklaͤrung der Nation haſſenden (dies beweiſt der Buͤcherbrand) Tyrannei mit der manchmal freilich auch deſpotiſchen und grauſamen Haͤrte Peters des Großen von Rusland vergleicht.

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 1. Lemgo, 1777, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan01_1777/295>, abgerufen am 27.04.2024.