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Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779.

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Nacherinnerungen des Herausgebers.
auch mehr und größere Thätigkeit, und es ist doch besser, von Feinden zu leiden, als unauf.
hörlich den Plackereien der Obern und einer Japanischen Polizei ausgesezt zu seyn.

III.
Die Japanische Geschichte ist sehr reich an großen Thaten, bewiesen von Muth
und Standhaftigkeit, und hat Mutios, Scävolas und Horatier in
Menge hervorgebracht.

Die Japanische Geschichte, die uns Kämpfer selbst im zweiten Buche gegeben
hat, widerspricht geradezu diesem Satze. Wo findet man da die großen Thaten der Hora-
tier? Und doch hat Kämpfer diese Geschichte mit vieler Mühe aus Japanischen Annalen
zusammengetragen. Die ausnehmende Dürre an erheblichen Faktis ist also nicht Kämpfers,
sondern der Geschichte eigne Schuld. Einzelne große Thaten giebt es unstreitig auch in der
Japanischen Geschichte, und noch izt findet man Beispiele von Verachtung des Lebens,
die aber, wie ich schon angemerkt habe, meistens aus Unmuth und Ueberdrus abfließen.
Aber jene sind in den Japanischen Geschichtbüchern nur sparsam aufgezeichnet, und eine ge-
wisse Größe fehlt den größten Thaten der Asiater immer, nemlich daß sie für Vaterland
und wirkliche oder geglaubte Freiheit gethan würden. Ueberhaupt, dünkt mich, dürfen
wir uns von der asiatischen Geschichte, aus ihren eignen Geschichtschreibern studiert, nicht
so große Erwartungen machen, als wohl seit einiger Zeit durch das lebhaftere Studium der-
selben in Frankreich, England und auch Deutschland erregt sind. Je mehr wir diese asia-
tischen Annalen kennen lernen, desto mehr werden wir überzeugt, daß wir von ihnen weit
weniger wichtige Erweiterung unsrer Kentnisse erwarten dürfen, als man wohl vorher gehoft
hat. Die Geschichte der östlichen Reiche stelt immer durch alle Zeiten die einförmigste Folge
von Revolutionen dar, die, ohne große Tugenden und ohne große Laster bewirkt, eben so
schwach erhalten werden, als sie errungen wurden; immer eine ermüdende Erzählung elen-
der Kleinigkeiten, oder erheblicher Umstände ohne Angaben von Ursachen und Folgen.
Man kan ihre Geschichte in den verschiedensten Zeiten aufschlagen, und glaubt dieselbe Ge-
schichte nur mit veränderten Namen zu lesen, und kein Mensch von Geschmak wird eine
Geschichte von Sina in sinesischem Geschichtschreiberton (wie im Deguignes, oder den neulich
in Frankreich publicirten großen sinesischen Annalen, oder auch dem zweiten Buch unsers
Verf.) ohne Ueberdrus vom Anfang bis zu Ende lesen können, er möchte denn Namen
und Jahrzahlen in ihr berichtigen, oder sonst eine unmittelbare litterarische Anwendung von
seiner Lektüre machen. Unsre schlechtesten Chronikenschreiber sind Taciti gegen die asiatischen
Historiographen, und so sehr man auch oft die Bekantmachung der Schätze morgenländi-

scher
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Nacherinnerungen des Herausgebers.
auch mehr und groͤßere Thaͤtigkeit, und es iſt doch beſſer, von Feinden zu leiden, als unauf.
hoͤrlich den Plackereien der Obern und einer Japaniſchen Polizei ausgeſezt zu ſeyn.

III.
Die Japaniſche Geſchichte iſt ſehr reich an großen Thaten, bewieſen von Muth
und Standhaftigkeit, und hat Mutios, Scaͤvolas und Horatier in
Menge hervorgebracht.

Die Japaniſche Geſchichte, die uns Kaͤmpfer ſelbſt im zweiten Buche gegeben
hat, widerſpricht geradezu dieſem Satze. Wo findet man da die großen Thaten der Hora-
tier? Und doch hat Kaͤmpfer dieſe Geſchichte mit vieler Muͤhe aus Japaniſchen Annalen
zuſammengetragen. Die ausnehmende Duͤrre an erheblichen Faktis iſt alſo nicht Kaͤmpfers,
ſondern der Geſchichte eigne Schuld. Einzelne große Thaten giebt es unſtreitig auch in der
Japaniſchen Geſchichte, und noch izt findet man Beiſpiele von Verachtung des Lebens,
die aber, wie ich ſchon angemerkt habe, meiſtens aus Unmuth und Ueberdrus abfließen.
Aber jene ſind in den Japaniſchen Geſchichtbuͤchern nur ſparſam aufgezeichnet, und eine ge-
wiſſe Groͤße fehlt den groͤßten Thaten der Aſiater immer, nemlich daß ſie fuͤr Vaterland
und wirkliche oder geglaubte Freiheit gethan wuͤrden. Ueberhaupt, duͤnkt mich, duͤrfen
wir uns von der aſiatiſchen Geſchichte, aus ihren eignen Geſchichtſchreibern ſtudiert, nicht
ſo große Erwartungen machen, als wohl ſeit einiger Zeit durch das lebhaftere Studium der-
ſelben in Frankreich, England und auch Deutſchland erregt ſind. Je mehr wir dieſe aſia-
tiſchen Annalen kennen lernen, deſto mehr werden wir uͤberzeugt, daß wir von ihnen weit
weniger wichtige Erweiterung unſrer Kentniſſe erwarten duͤrfen, als man wohl vorher gehoft
hat. Die Geſchichte der oͤſtlichen Reiche ſtelt immer durch alle Zeiten die einfoͤrmigſte Folge
von Revolutionen dar, die, ohne große Tugenden und ohne große Laſter bewirkt, eben ſo
ſchwach erhalten werden, als ſie errungen wurden; immer eine ermuͤdende Erzaͤhlung elen-
der Kleinigkeiten, oder erheblicher Umſtaͤnde ohne Angaben von Urſachen und Folgen.
Man kan ihre Geſchichte in den verſchiedenſten Zeiten aufſchlagen, und glaubt dieſelbe Ge-
ſchichte nur mit veraͤnderten Namen zu leſen, und kein Menſch von Geſchmak wird eine
Geſchichte von Sina in ſineſiſchem Geſchichtſchreiberton (wie im Deguignes, oder den neulich
in Frankreich publicirten großen ſineſiſchen Annalen, oder auch dem zweiten Buch unſers
Verf.) ohne Ueberdrus vom Anfang bis zu Ende leſen koͤnnen, er moͤchte denn Namen
und Jahrzahlen in ihr berichtigen, oder ſonſt eine unmittelbare litterariſche Anwendung von
ſeiner Lektuͤre machen. Unſre ſchlechteſten Chronikenſchreiber ſind Taciti gegen die aſiatiſchen
Hiſtoriographen, und ſo ſehr man auch oft die Bekantmachung der Schaͤtze morgenlaͤndi-

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[419/0475] Nacherinnerungen des Herausgebers. auch mehr und groͤßere Thaͤtigkeit, und es iſt doch beſſer, von Feinden zu leiden, als unauf. hoͤrlich den Plackereien der Obern und einer Japaniſchen Polizei ausgeſezt zu ſeyn. III. Die Japaniſche Geſchichte iſt ſehr reich an großen Thaten, bewieſen von Muth und Standhaftigkeit, und hat Mutios, Scaͤvolas und Horatier in Menge hervorgebracht. Die Japaniſche Geſchichte, die uns Kaͤmpfer ſelbſt im zweiten Buche gegeben hat, widerſpricht geradezu dieſem Satze. Wo findet man da die großen Thaten der Hora- tier? Und doch hat Kaͤmpfer dieſe Geſchichte mit vieler Muͤhe aus Japaniſchen Annalen zuſammengetragen. Die ausnehmende Duͤrre an erheblichen Faktis iſt alſo nicht Kaͤmpfers, ſondern der Geſchichte eigne Schuld. Einzelne große Thaten giebt es unſtreitig auch in der Japaniſchen Geſchichte, und noch izt findet man Beiſpiele von Verachtung des Lebens, die aber, wie ich ſchon angemerkt habe, meiſtens aus Unmuth und Ueberdrus abfließen. Aber jene ſind in den Japaniſchen Geſchichtbuͤchern nur ſparſam aufgezeichnet, und eine ge- wiſſe Groͤße fehlt den groͤßten Thaten der Aſiater immer, nemlich daß ſie fuͤr Vaterland und wirkliche oder geglaubte Freiheit gethan wuͤrden. Ueberhaupt, duͤnkt mich, duͤrfen wir uns von der aſiatiſchen Geſchichte, aus ihren eignen Geſchichtſchreibern ſtudiert, nicht ſo große Erwartungen machen, als wohl ſeit einiger Zeit durch das lebhaftere Studium der- ſelben in Frankreich, England und auch Deutſchland erregt ſind. Je mehr wir dieſe aſia- tiſchen Annalen kennen lernen, deſto mehr werden wir uͤberzeugt, daß wir von ihnen weit weniger wichtige Erweiterung unſrer Kentniſſe erwarten duͤrfen, als man wohl vorher gehoft hat. Die Geſchichte der oͤſtlichen Reiche ſtelt immer durch alle Zeiten die einfoͤrmigſte Folge von Revolutionen dar, die, ohne große Tugenden und ohne große Laſter bewirkt, eben ſo ſchwach erhalten werden, als ſie errungen wurden; immer eine ermuͤdende Erzaͤhlung elen- der Kleinigkeiten, oder erheblicher Umſtaͤnde ohne Angaben von Urſachen und Folgen. Man kan ihre Geſchichte in den verſchiedenſten Zeiten aufſchlagen, und glaubt dieſelbe Ge- ſchichte nur mit veraͤnderten Namen zu leſen, und kein Menſch von Geſchmak wird eine Geſchichte von Sina in ſineſiſchem Geſchichtſchreiberton (wie im Deguignes, oder den neulich in Frankreich publicirten großen ſineſiſchen Annalen, oder auch dem zweiten Buch unſers Verf.) ohne Ueberdrus vom Anfang bis zu Ende leſen koͤnnen, er moͤchte denn Namen und Jahrzahlen in ihr berichtigen, oder ſonſt eine unmittelbare litterariſche Anwendung von ſeiner Lektuͤre machen. Unſre ſchlechteſten Chronikenſchreiber ſind Taciti gegen die aſiatiſchen Hiſtoriographen, und ſo ſehr man auch oft die Bekantmachung der Schaͤtze morgenlaͤndi- ſcher G g g 2

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Zitationshilfe: Kaempfer, Engelbert: Geschichte und Beschreibung von Japan. Hrsg. v. Christian Wilhelm von Dohm. Bd. 2. Lemgo, 1779, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kaempfer_japan02_1779/475>, abgerufen am 26.04.2024.