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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.

Also nur unter der Voraussetzung, daß es einen
Gemeinsinn gebe (wodurch wir aber keinen äußern Sinn,
sondern die Wirkung aus dem freyen Spiel unsrer Er-
kenntniskräfte, verstehen) nur unter Voraussetzung,
sage ich, eines solchen Gemeinsinnes kann das Ge-
schmacksurtheil gefällt werden.

§. 21.
Ob man mit Grunde einen Gemeinsinn vor-
aussetzen könne.

Erkenntnisse und Urtheile müssen sich, samt der Ue-
berzeugung, die sie begleitet, allgemein mittheilen lassen;
denn sonst käme ihnen keine Uebereinstimmung mit dem
Object zu; sie wären insgesamt ein blos subjectives Spiel
der Vorstellungskräfte, gerade so wie es der Scepticism
verlangt. Sollen sich aber Erkenntnisse mittheilen lassen,
so muß sich auch der Gemüthszustand, d. i. die Stim-
mung der Erkenntniskräfte zu einer Erkenntnis über-
haupt und zwar diejenige Proportion, welche sich für
eine Vorstellung (dadurch uns ein Gegenstand gegeben
wird) gebührt, um daraus Erkenntnis zu machen, all-
gemein mittheilen lassen; weil ohne diese, als subjective
Bedingung des Erkennens, das Erkenntnis, als Wir-
kung, nicht entspringen könnte. Dieses geschieht auch
wirklich jederzeit, wenn ein gegebener Gegenstand ver-
mittelst der Sinne die Einbildungskraft zur Zusammen-
setzung des Mannigfaltigen, diese aber den Verstand zur
Einheit derselben in Begriffen, in Thätigkeit bringt.

Aber
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.

Alſo nur unter der Vorausſetzung, daß es einen
Gemeinſinn gebe (wodurch wir aber keinen aͤußern Sinn,
ſondern die Wirkung aus dem freyen Spiel unſrer Er-
kenntniskraͤfte, verſtehen) nur unter Vorausſetzung,
ſage ich, eines ſolchen Gemeinſinnes kann das Ge-
ſchmacksurtheil gefaͤllt werden.

§. 21.
Ob man mit Grunde einen Gemeinſinn vor-
ausſetzen koͤnne.

Erkenntniſſe und Urtheile muͤſſen ſich, ſamt der Ue-
berzeugung, die ſie begleitet, allgemein mittheilen laſſen;
denn ſonſt kaͤme ihnen keine Uebereinſtimmung mit dem
Object zu; ſie waͤren insgeſamt ein blos ſubjectives Spiel
der Vorſtellungskraͤfte, gerade ſo wie es der Scepticism
verlangt. Sollen ſich aber Erkenntniſſe mittheilen laſſen,
ſo muß ſich auch der Gemuͤthszuſtand, d. i. die Stim-
mung der Erkenntniskraͤfte zu einer Erkenntnis uͤber-
haupt und zwar diejenige Proportion, welche ſich fuͤr
eine Vorſtellung (dadurch uns ein Gegenſtand gegeben
wird) gebuͤhrt, um daraus Erkenntnis zu machen, all-
gemein mittheilen laſſen; weil ohne dieſe, als ſubjective
Bedingung des Erkennens, das Erkenntnis, als Wir-
kung, nicht entſpringen koͤnnte. Dieſes geſchieht auch
wirklich jederzeit, wenn ein gegebener Gegenſtand ver-
mittelſt der Sinne die Einbildungskraft zur Zuſammen-
ſetzung des Mannigfaltigen, dieſe aber den Verſtand zur
Einheit derſelben in Begriffen, in Thaͤtigkeit bringt.

Aber
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[64/0128] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Alſo nur unter der Vorausſetzung, daß es einen Gemeinſinn gebe (wodurch wir aber keinen aͤußern Sinn, ſondern die Wirkung aus dem freyen Spiel unſrer Er- kenntniskraͤfte, verſtehen) nur unter Vorausſetzung, ſage ich, eines ſolchen Gemeinſinnes kann das Ge- ſchmacksurtheil gefaͤllt werden. §. 21. Ob man mit Grunde einen Gemeinſinn vor- ausſetzen koͤnne. Erkenntniſſe und Urtheile muͤſſen ſich, ſamt der Ue- berzeugung, die ſie begleitet, allgemein mittheilen laſſen; denn ſonſt kaͤme ihnen keine Uebereinſtimmung mit dem Object zu; ſie waͤren insgeſamt ein blos ſubjectives Spiel der Vorſtellungskraͤfte, gerade ſo wie es der Scepticism verlangt. Sollen ſich aber Erkenntniſſe mittheilen laſſen, ſo muß ſich auch der Gemuͤthszuſtand, d. i. die Stim- mung der Erkenntniskraͤfte zu einer Erkenntnis uͤber- haupt und zwar diejenige Proportion, welche ſich fuͤr eine Vorſtellung (dadurch uns ein Gegenſtand gegeben wird) gebuͤhrt, um daraus Erkenntnis zu machen, all- gemein mittheilen laſſen; weil ohne dieſe, als ſubjective Bedingung des Erkennens, das Erkenntnis, als Wir- kung, nicht entſpringen koͤnnte. Dieſes geſchieht auch wirklich jederzeit, wenn ein gegebener Gegenſtand ver- mittelſt der Sinne die Einbildungskraft zur Zuſammen- ſetzung des Mannigfaltigen, dieſe aber den Verſtand zur Einheit derſelben in Begriffen, in Thaͤtigkeit bringt. Aber

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/128>, abgerufen am 26.04.2024.