Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
darf, daß jedermann ihm beypflichten soll; so muß ihm ir-
gend ein (es sey objectives oder subjectives) Princip a priori
zum Grunde liegen, zu welchem man durch Aufspähung em-
pirischer Gesetze der Gemüthsveränderungen niemals gelan-
gen kann; weil diese nur zu erkennen geben, wie geurtheilt
wird, nicht aber gebieten, wie geurtheilt werden soll und
zwar gar so, daß das Gebot unbedingt ist, dergleichen die
Geschmacksurtheile voraussetzen, indem sie das Wohlgefallen
mit einer Vorstellung unmittelbar verknüpft wissen wollen.
Also mag die empirische Exposition der ästhetischen Urtheile
immer den Anfang machen, um den Stoff zu einer höhern
Untersuchung herbeyzuschaffen, so ist doch eine transcenden-
tale Erörterung dieses Vermögens zur Critik des Geschmacks
wesentlich gehörig; denn, ohne daß dieser Principien a priori
habe, könnte er unmöglich die Urtheile anderer richten und
über sie, auch nur mit einigem Scheine des Rechts, Billi-
gungs- oder Verwerfungsurtheile fällen.

Drittes Buch.
Deduction der ästhetischen Urtheile.
§. 30.
Die Deduction der ästhetischen Urtheile über
die Gegenstände der Natur darf nicht auf
das, was wir in dieser erhaben nennen, son-
dern nur auf das Schöne gerichtet werden.

Der Anspruch eines ästhetischen Urtheils auf allgemeine
Gültigkeit für jedes Subject bedarf, als ein Urtheil, wel-
ches sich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einer

Kants Crit. d. Urtheilskr. J

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
darf, daß jedermann ihm beypflichten ſoll; ſo muß ihm ir-
gend ein (es ſey objectives oder ſubjectives) Princip a priori
zum Grunde liegen, zu welchem man durch Aufſpaͤhung em-
piriſcher Geſetze der Gemuͤthsveraͤnderungen niemals gelan-
gen kann; weil dieſe nur zu erkennen geben, wie geurtheilt
wird, nicht aber gebieten, wie geurtheilt werden ſoll und
zwar gar ſo, daß das Gebot unbedingt iſt, dergleichen die
Geſchmacksurtheile vorausſetzen, indem ſie das Wohlgefallen
mit einer Vorſtellung unmittelbar verknuͤpft wiſſen wollen.
Alſo mag die empiriſche Expoſition der aͤſthetiſchen Urtheile
immer den Anfang machen, um den Stoff zu einer hoͤhern
Unterſuchung herbeyzuſchaffen, ſo iſt doch eine tranſcenden-
tale Eroͤrterung dieſes Vermoͤgens zur Critik des Geſchmacks
weſentlich gehoͤrig; denn, ohne daß dieſer Principien a priori
habe, koͤnnte er unmoͤglich die Urtheile anderer richten und
uͤber ſie, auch nur mit einigem Scheine des Rechts, Billi-
gungs- oder Verwerfungsurtheile faͤllen.

Drittes Buch.
Deduction der aͤſthetiſchen Urtheile.
§. 30.
Die Deduction der aͤſthetiſchen Urtheile uͤber
die Gegenſtaͤnde der Natur darf nicht auf
das, was wir in dieſer erhaben nennen, ſon-
dern nur auf das Schoͤne gerichtet werden.

Der Anſpruch eines aͤſthetiſchen Urtheils auf allgemeine
Guͤltigkeit fuͤr jedes Subject bedarf, als ein Urtheil, wel-
ches ſich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einer

Kants Crit. d. Urtheilskr. J
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0193" n="129"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheilskraft.</fw><lb/>
darf, daß jedermann ihm beypflichten &#x017F;oll; &#x017F;o muß ihm ir-<lb/>
gend ein (es &#x017F;ey objectives oder &#x017F;ubjectives) Princip <hi rendition="#aq">a priori</hi><lb/>
zum Grunde liegen, zu welchem man durch Auf&#x017F;pa&#x0364;hung em-<lb/>
piri&#x017F;cher Ge&#x017F;etze der Gemu&#x0364;thsvera&#x0364;nderungen niemals gelan-<lb/>
gen kann; weil die&#x017F;e nur zu erkennen geben, wie geurtheilt<lb/>
wird, nicht aber gebieten, wie geurtheilt werden &#x017F;oll und<lb/>
zwar gar &#x017F;o, daß das Gebot <hi rendition="#fr">unbedingt</hi> i&#x017F;t, dergleichen die<lb/>
Ge&#x017F;chmacksurtheile voraus&#x017F;etzen, indem &#x017F;ie das Wohlgefallen<lb/>
mit einer Vor&#x017F;tellung <hi rendition="#fr">unmittelbar</hi> verknu&#x0364;pft wi&#x017F;&#x017F;en wollen.<lb/>
Al&#x017F;o mag die empiri&#x017F;che Expo&#x017F;ition der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheile<lb/>
immer den Anfang machen, um den Stoff zu einer ho&#x0364;hern<lb/>
Unter&#x017F;uchung herbeyzu&#x017F;chaffen, &#x017F;o i&#x017F;t doch eine tran&#x017F;cenden-<lb/>
tale Ero&#x0364;rterung die&#x017F;es Vermo&#x0364;gens zur Critik des Ge&#x017F;chmacks<lb/>
we&#x017F;entlich geho&#x0364;rig; denn, ohne daß die&#x017F;er Principien <hi rendition="#aq">a priori</hi><lb/>
habe, ko&#x0364;nnte er unmo&#x0364;glich die Urtheile anderer richten und<lb/>
u&#x0364;ber &#x017F;ie, auch nur mit einigem Scheine des Rechts, Billi-<lb/>
gungs- oder Verwerfungsurtheile fa&#x0364;llen.</p>
              </div>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Drittes Buch.</hi><lb/>
Deduction der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheile.</hi> </head><lb/>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">§. 30.<lb/>
Die Deduction der a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheile u&#x0364;ber<lb/>
die Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde der Natur darf nicht auf<lb/>
das, was wir in die&#x017F;er erhaben nennen, &#x017F;on-<lb/>
dern nur auf das Scho&#x0364;ne gerichtet werden.</hi> </head><lb/>
              <p><hi rendition="#in">D</hi>er An&#x017F;pruch eines a&#x0364;&#x017F;theti&#x017F;chen Urtheils auf allgemeine<lb/>
Gu&#x0364;ltigkeit fu&#x0364;r jedes Subject bedarf, als ein Urtheil, wel-<lb/>
ches &#x017F;ich auf irgend ein Princip <hi rendition="#aq">a priori</hi> fußen muß, einer<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Kants Crit. d. Urtheilskr</hi>. J</fw><lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[129/0193] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. darf, daß jedermann ihm beypflichten ſoll; ſo muß ihm ir- gend ein (es ſey objectives oder ſubjectives) Princip a priori zum Grunde liegen, zu welchem man durch Aufſpaͤhung em- piriſcher Geſetze der Gemuͤthsveraͤnderungen niemals gelan- gen kann; weil dieſe nur zu erkennen geben, wie geurtheilt wird, nicht aber gebieten, wie geurtheilt werden ſoll und zwar gar ſo, daß das Gebot unbedingt iſt, dergleichen die Geſchmacksurtheile vorausſetzen, indem ſie das Wohlgefallen mit einer Vorſtellung unmittelbar verknuͤpft wiſſen wollen. Alſo mag die empiriſche Expoſition der aͤſthetiſchen Urtheile immer den Anfang machen, um den Stoff zu einer hoͤhern Unterſuchung herbeyzuſchaffen, ſo iſt doch eine tranſcenden- tale Eroͤrterung dieſes Vermoͤgens zur Critik des Geſchmacks weſentlich gehoͤrig; denn, ohne daß dieſer Principien a priori habe, koͤnnte er unmoͤglich die Urtheile anderer richten und uͤber ſie, auch nur mit einigem Scheine des Rechts, Billi- gungs- oder Verwerfungsurtheile faͤllen. Drittes Buch. Deduction der aͤſthetiſchen Urtheile. §. 30. Die Deduction der aͤſthetiſchen Urtheile uͤber die Gegenſtaͤnde der Natur darf nicht auf das, was wir in dieſer erhaben nennen, ſon- dern nur auf das Schoͤne gerichtet werden. Der Anſpruch eines aͤſthetiſchen Urtheils auf allgemeine Guͤltigkeit fuͤr jedes Subject bedarf, als ein Urtheil, wel- ches ſich auf irgend ein Princip a priori fußen muß, einer Kants Crit. d. Urtheilskr. J

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/193
Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/193>, abgerufen am 27.04.2024.