Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite
Vermischte Gedichte.
Ben-Ha-Alim gieng einst mit seinem Großvezier
Lustwandeln in breitschattigten Alleen.
Ein armer alter Mann blieb in der Ferne stehen;
Wie ich im schlechten Rock einst an der Kirchenthür
Versteckt, anbethen stand, und schüchtern neben mir
Vorbey sah reiche Leute gehen:
So niederblickend blieb der arme Perser stehen.
"Gegrüsset seyst du mir, o Greiß!
"Dich seegne der Prophet, und Gott, der ihn gesendet!
So spricht Ben-Ha-Alim zum alten Mann gewendet,
Der ihn mit nichts zu danken weiß,
Als nur mit einer stillen Zähre,
Die von der Wang herunter fließt.
Schon froh, daß ihn der Prinz gegrüßt,
Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig wäre;
Die Hände faltet er auf seinem Stab, und hebt
Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt
Auf Erden, Speise giebt. Ach! spricht Ben-Ha-Alim,
Der arme Mann! er betet für mein Leben!
Ich wolt ihm ohne dies schon geben.
Vermiſchte Gedichte.
Ben-Ha-Alim gieng einſt mit ſeinem Großvezier
Luſtwandeln in breitſchattigten Alleen.
Ein armer alter Mann blieb in der Ferne ſtehen;
Wie ich im ſchlechten Rock einſt an der Kirchenthuͤr
Verſteckt, anbethen ſtand, und ſchuͤchtern neben mir
Vorbey ſah reiche Leute gehen:
So niederblickend blieb der arme Perſer ſtehen.
”Gegruͤſſet ſeyſt du mir, o Greiß!
”Dich ſeegne der Prophet, und Gott, der ihn geſendet!
So ſpricht Ben-Ha-Alim zum alten Mann gewendet,
Der ihn mit nichts zu danken weiß,
Als nur mit einer ſtillen Zaͤhre,
Die von der Wang herunter fließt.
Schon froh, daß ihn der Prinz gegruͤßt,
Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig waͤre;
Die Haͤnde faltet er auf ſeinem Stab, und hebt
Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt
Auf Erden, Speiſe giebt. Ach! ſpricht Ben-Ha-Alim,
Der arme Mann! er betet fuͤr mein Leben!
Ich wolt ihm ohne dies ſchon geben.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0352" n="308"/>
            <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Vermi&#x017F;chte Gedichte.</hi> </fw><lb/>
            <l>Ben-Ha-Alim gieng ein&#x017F;t mit &#x017F;einem Großvezier</l><lb/>
            <l>Lu&#x017F;twandeln in breit&#x017F;chattigten Alleen.</l><lb/>
            <l>Ein armer alter Mann blieb in der Ferne &#x017F;tehen;</l><lb/>
            <l>Wie ich im &#x017F;chlechten Rock ein&#x017F;t an der Kirchenthu&#x0364;r</l><lb/>
            <l>Ver&#x017F;teckt, anbethen &#x017F;tand, und &#x017F;chu&#x0364;chtern neben mir</l><lb/>
            <l>Vorbey &#x017F;ah reiche Leute gehen:</l><lb/>
            <l>So niederblickend blieb der arme Per&#x017F;er &#x017F;tehen.</l><lb/>
            <l>&#x201D;Gegru&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ey&#x017F;t du mir, o Greiß!</l><lb/>
            <l>&#x201D;Dich &#x017F;eegne der Prophet, und Gott, der ihn ge&#x017F;endet!</l><lb/>
            <l>So &#x017F;pricht Ben-Ha-Alim zum alten Mann gewendet,</l><lb/>
            <l>Der ihn mit nichts zu danken weiß,</l><lb/>
            <l>Als nur mit einer &#x017F;tillen Za&#x0364;hre,</l><lb/>
            <l>Die von der Wang herunter fließt.</l><lb/>
            <l>Schon froh, daß ihn der Prinz gegru&#x0364;ßt,</l><lb/>
            <l>Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig wa&#x0364;re;</l><lb/>
            <l>Die Ha&#x0364;nde faltet er auf &#x017F;einem Stab, und hebt</l><lb/>
            <l>Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt</l><lb/>
            <l>Auf Erden, Spei&#x017F;e giebt. Ach! &#x017F;pricht Ben-Ha-Alim,</l><lb/>
            <l>Der arme Mann! er betet fu&#x0364;r mein Leben!</l><lb/>
            <l>Ich wolt ihm ohne dies &#x017F;chon geben.</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[308/0352] Vermiſchte Gedichte. Ben-Ha-Alim gieng einſt mit ſeinem Großvezier Luſtwandeln in breitſchattigten Alleen. Ein armer alter Mann blieb in der Ferne ſtehen; Wie ich im ſchlechten Rock einſt an der Kirchenthuͤr Verſteckt, anbethen ſtand, und ſchuͤchtern neben mir Vorbey ſah reiche Leute gehen: So niederblickend blieb der arme Perſer ſtehen. ”Gegruͤſſet ſeyſt du mir, o Greiß! ”Dich ſeegne der Prophet, und Gott, der ihn geſendet! So ſpricht Ben-Ha-Alim zum alten Mann gewendet, Der ihn mit nichts zu danken weiß, Als nur mit einer ſtillen Zaͤhre, Die von der Wang herunter fließt. Schon froh, daß ihn der Prinz gegruͤßt, Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig waͤre; Die Haͤnde faltet er auf ſeinem Stab, und hebt Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt Auf Erden, Speiſe giebt. Ach! ſpricht Ben-Ha-Alim, Der arme Mann! er betet fuͤr mein Leben! Ich wolt ihm ohne dies ſchon geben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1764/352
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1764/352>, abgerufen am 26.04.2024.