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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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Du reinrer Spiegel der Natur!
Viel schöner blühet dir die Rose,
Weit zärtlicher weint dir ein Pylades,
Und heldenmüthiger in Wunden
Stirbt dir ein Held, noch mehr, ein Kleist.
Weit grüner winket dir die Aue,
Und lauter singt die Lerche dir,
Und schmachtender seufzt Philomele,
Wenn sie dir ihr Geheimniß sagt,
Daß sie um ihren Gatten klagt,
Und willst Du Zärtlichkeit und Kuß vermählt beschreiben;
So küßt nicht Damon seine Phyllis,
Nein, beide küsset die Natur --
Die meisten Dichter sind nur Träumer,
Für sie liegt die Natur im tiefen Schlaf,
Für dich erwachet sie, wenn du sie grüßest,
Und reicht dir, würdiger, die Hand,
Und zeigt Dir die geheimen Wunder.
Für dich entfaltet sie der Rose Blätter,
Für Dich zieht sie der Wolken Flor vom Himmel,
Für dich entlarvt sie das geputzte Laster
Und zeigt die Tugend dir im ächten Glanze,
Und endlich läßt in Andachtsvollen Stunden
Die ewge Wahrheit und die ewge Liebe
Für dich, anbetende gerührte Karschin,
Den Schleyer fallen -- Heilig ist ihr Name! --
Entfern dich, Muse, stöhre sie anbetend nicht!

Diese wahre dichterische Apologie von ihrem Selbst
werfe den göttlichen Strahl der Wahrheit auf diese
Lebensbeschreibung, und kröne der Dichterin Ruhm
mit Unsterblichkeit.

C. L. von Klenke, geb. Karschin.


Gedichte
Du reinrer Spiegel der Natur!
Viel ſchoͤner bluͤhet dir die Roſe,
Weit zaͤrtlicher weint dir ein Pylades,
Und heldenmuͤthiger in Wunden
Stirbt dir ein Held, noch mehr, ein Kleiſt.
Weit gruͤner winket dir die Aue,
Und lauter ſingt die Lerche dir,
Und ſchmachtender ſeufzt Philomele,
Wenn ſie dir ihr Geheimniß ſagt,
Daß ſie um ihren Gatten klagt,
Und willſt Du Zaͤrtlichkeit und Kuß vermaͤhlt beſchreiben;
So kuͤßt nicht Damon ſeine Phyllis,
Nein, beide kuͤſſet die Natur —
Die meiſten Dichter ſind nur Traͤumer,
Fuͤr ſie liegt die Natur im tiefen Schlaf,
Fuͤr dich erwachet ſie, wenn du ſie gruͤßeſt,
Und reicht dir, wuͤrdiger, die Hand,
Und zeigt Dir die geheimen Wunder.
Fuͤr dich entfaltet ſie der Roſe Blaͤtter,
Fuͤr Dich zieht ſie der Wolken Flor vom Himmel,
Fuͤr dich entlarvt ſie das geputzte Laſter
Und zeigt die Tugend dir im aͤchten Glanze,
Und endlich laͤßt in Andachtsvollen Stunden
Die ewge Wahrheit und die ewge Liebe
Fuͤr dich, anbetende geruͤhrte Karſchin,
Den Schleyer fallen — Heilig iſt ihr Name! —
Entfern dich, Muſe, ſtoͤhre ſie anbetend nicht!

Dieſe wahre dichteriſche Apologie von ihrem Selbſt
werfe den goͤttlichen Strahl der Wahrheit auf dieſe
Lebensbeſchreibung, und kroͤne der Dichterin Ruhm
mit Unſterblichkeit.

C. L. von Klenke, geb. Karſchin.


Gedichte
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[128/0160] Du reinrer Spiegel der Natur! Viel ſchoͤner bluͤhet dir die Roſe, Weit zaͤrtlicher weint dir ein Pylades, Und heldenmuͤthiger in Wunden Stirbt dir ein Held, noch mehr, ein Kleiſt. Weit gruͤner winket dir die Aue, Und lauter ſingt die Lerche dir, Und ſchmachtender ſeufzt Philomele, Wenn ſie dir ihr Geheimniß ſagt, Daß ſie um ihren Gatten klagt, Und willſt Du Zaͤrtlichkeit und Kuß vermaͤhlt beſchreiben; So kuͤßt nicht Damon ſeine Phyllis, Nein, beide kuͤſſet die Natur — Die meiſten Dichter ſind nur Traͤumer, Fuͤr ſie liegt die Natur im tiefen Schlaf, Fuͤr dich erwachet ſie, wenn du ſie gruͤßeſt, Und reicht dir, wuͤrdiger, die Hand, Und zeigt Dir die geheimen Wunder. Fuͤr dich entfaltet ſie der Roſe Blaͤtter, Fuͤr Dich zieht ſie der Wolken Flor vom Himmel, Fuͤr dich entlarvt ſie das geputzte Laſter Und zeigt die Tugend dir im aͤchten Glanze, Und endlich laͤßt in Andachtsvollen Stunden Die ewge Wahrheit und die ewge Liebe Fuͤr dich, anbetende geruͤhrte Karſchin, Den Schleyer fallen — Heilig iſt ihr Name! — Entfern dich, Muſe, ſtoͤhre ſie anbetend nicht! Dieſe wahre dichteriſche Apologie von ihrem Selbſt werfe den goͤttlichen Strahl der Wahrheit auf dieſe Lebensbeſchreibung, und kroͤne der Dichterin Ruhm mit Unſterblichkeit. C. L. von Klenke, geb. Karſchin. Gedichte

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/160>, abgerufen am 27.04.2024.